
Hob doch die ungeheuerste Erschütterung der
Neuzeit, die französische Revolution, damit an, dass
eine markvolle grosse Persönlichkeit, J. J. Rousseau,
der immer tiefer in ein durch und durch verkünstel-
tes Dasein hineingerathenen Menschheit auf einmal
wieder das Spiegelbild einer ganz fessellosen mächtigen
Natürlichkeit entgegenhielt. — Sogleich entbrannte
da der Kampf dieser grossen Gegensätze,
denn einerseits wollte die Partei, welche durch die
Künstlichkeit der allgemeinen Zustände sich im Vortheile
fand, auf keine Weise aus ihrem vermeintlichen
Rechte sich verdrängen lassen, und andererseits hasste
wieder diejenige Partei, auf welche der Nachtheil und
der Druck dieser Verhältnisse fiel, um so mehr alle
und jede Künstlichkeit, weil sie nur von dem wiederkehrenden
Naturzustände erwartete, auch ihrerseits
zu angenehmem Lebensgenüsse gelangen zu können.
Der Streit des Reichthums und der Armuth, der Aristokratie
und Demokratie, des Pedantismus und Sans-
culottismus wurden von da an alles nur verschiedene
Namen des Kampfes zwischen natürlichen und künstlichen
Zuständen, eines Kampfes, welcher, unter man-
nichfaltigen Formen mehr oder weniger glühend, immer
noch fortwüthet und der längst den grössten
Theil der Civilisation zerstört haben würde, träten
nicht in der grossen Mannichfaltigkeit der Naturen
immer von Zeit zu Zeit wieder andere mächtige Persönlichkeiten
zwischen die streitenden Parteien, welche
durch ein höheres emgebornes schönes Gleichgewicht
berufen waren, in diesem Kampfe vermittelnd und
errettend einzuschreiten und den gequälten Völkern
mindestens vorübergehend den Frieden zu gewähren.
Für die germanischen Völker war jedenfalls eine der
grössten vermittelnden Persönlichkeiten dieser Art
Goethe; in ihm, dessen Individualität nicht nur einen
vollkommnen Prototyp aus den Tagvölkern, und zwar
aus einem ihrer edelsten Zweige, d. i. dem Zweige
der Germanen, darstellte, vereinigte sich der Inbegriff
einer gesunden vollkräftigen Natur mit der angebor-
nen Verehrung der Kunst, und der glückliche Verein
beider gab seinem Geiste jene edle Ruhe und Klarheit,
welche, je mehr sie von seinem Volke erkannt
werden könnet!, um so mehr ihm die Bedeutung
sichern müssen, maassgebend zu sein für die rechte
ächtmenschliche Mitte zwischen ursprünglicher unge-
zähmter Natur und sich überbietender gezwungener
Künstlichkeit des Empfindens und Lebens.
Mögen denn diese flüchtigen Umrisse, indem sie
ausgingen von Betrachtung der unendlichen Mannichfaltigkeit
der Menschheit, und endlich gleichsam einen
Ruhepunkt fassten bei einem einzigen grossen und
tüchtigen Menschen, den sie unter den Völkern höchster
geistiger Befähigung wahrhaft als Vorbild aufstellen
durften, dadurch ihrem Zwecke entsprechen,