20 R e i s e nach Rio de Janeiro R e i s e nach Piio de Janeiro 21
Wind bewegte stark das Meer, welches hier, wie an den Küsten von
Europa schon die hellgrüne Küstenfarbe angenommen hatte. Die Berge
von Brasilien, von den schönsten abwechselndsten Formen, alle grün
mit jetzt eben mannigfaltig beleuchteten schönen Waldungen bedeckt,
die sich in ununterbrochener Reihe längs der Küste hinziehen, versetzten
uns sämmtlich in eine ungemein fröhliche Stimmung; wir mahlten uns
im Geiste schon jene neuen noch nie gesehenen Scenen aus, und
erwarteten mit Sehnsucht den AugenbUck der Ankunft. Die Urgebürge,
an denen wir hinsegelten, haben die mannigfaltigsten Bildungen; oft
sind sie kegel - oder pyramidenförmig; Wolken waren auf ihnen gelagert
und ein leichter Nebel oder Dunst gab ihnen eine angenehme sanfte
Färbung. Am Mittage hatten wir im Schatten bey sehr schwachem
Winde 19° Reaumur (y/jV4 Fahrenheit) Wärme. Bey einer bald darauf
eingetretenen Windstille, die uns bis zum Abend aufhielt, stand um
9 Uhr das Thermometer auf 17 ° Fieaumur; etwas später erhob sich der
Wind hinlänglich stark, das Schiif segelte schnell, und am folgenden
Morgen befanden wir uns vor dem Eingange in das gi^ofse Binnenwasser
von Hio de Janeiro.
Bey einer von neuem eingetretenen Windstille lagen wir eine Zeit
lang auf ein und derselben Stelle, wurden aber von der bewegten See stark
geschaukelt. Nahe vor uns hatten wir die Oeffnung in der Küste, die
nach der-Königsstadt Rio de Janeiro führt; eine Menge kleiner Fels-Inseln
liegt darin zerstreut, von denen einige durch sehr ausgezeichnete Formen
auffallen, und mit den entfernteren Gebürgsmassen der Küste eine höchst
mahlerische Ansicht gewähren. Die dem zweyten Abschnitte beygefügte
Vignette liefert davon ein treues Bild, die Sonne geht auf und beleuchtet
mit ihren kräftigen Strahlen den glänzenden Spiegel des bey der
Windstille glatten ruhigen Meeres, so wie die sich zu beyden Selten in
mahlerische Perspektive verlierenden Gebürge. Unter ihnen zeichnet sich
zur Linken der sogenannte Zuckerhut {Päo d'assucar) durch seine kegelförmige
Gestalt besonders aus, und zur Rechten gewahrt man ihm gegenüber
in der Ferne die Landspitze, auf welcher zum Schutze der Hauptstadt
das Fort Cruz, eine kleine aber starke und mit vielen Kanonen
versehene Festung, erbauet ist.
Da sich der Wind gegen 11 Uhr äufserst leise erhoben hatte, so rückte
das Schiff kaum bemerl^ar vorwärts, wiewohl man ihm durch alle Segel
zu helfen suchte. Diese Zeit der Unthätigkeit beschlossen wir zu benutzen,
um durch die Untersuchung einer jener Fels-Inseln die erste nähere
Bekanntschaft des brasilianischen Bodens zu machen. Der Capitain liefs
das Boot in See setzen, nahm einige Matrosen mit, und drey der Passagiere,
xvorunter auch ich mich befand, begleiteten ihn. Man ruderte
vorwärts, ohne zu bemerken, dafs unser Boot sehr stark Wasser zog,
indem es immer am Hintertheile des Schiffes aufgehangen, durch die Hitze
der Sonnenstrahlen stark ausgetrocknet war. Als wir eine halbe Stunde
heftig gegen die hochschwellende See gearbeitet hatten, sahen wir uns
genöthigt, das eingedrungene Wasser auszuschöpfen; da es uns aber an
Schöpf-Instrumenten fehlte, so blieb nichts übrig als die Schuhe auszuziehen
und mit ihnen dies Geschäft zu verrichten. Das hohe Anschwellen
der See hatte das Schiff unsern Augen entzogen; wir erreichten indefs
naah zweymaligem Ausschöpfen des Bootes mit unsern Nothschaufeln
glücklich die Ilha raza (die flache fnsel zum Unterschied von der hohen,
ILha rotunda so genannt), wo wir zu landen wünschten. Leider zeigte
sich aber bey unserer Ankunft an dieser vyüsten Insel die Unmöglichkeit,
das Ufer zu ersteigen; denn rings umher waren steile, gebrochene^
bunte Felsen, woran eine Menge Fleischgewächse ein wahres Wurzelund
Zweignetz verbreiteten; die ungestüme mit weifsem Schaum hoch
aufspritzende Brandung tobte so heftig, dafs wir voll Ehrfurcht uns
begnügen mufsten, die schönen Baumformen in dem auf der Fläche der