33Ä A u f e n t h a l t am Rio Grande de Belmonte
Ich verschob nun mein Vorhaben bis zu einer günstigem Zeit, und kaum
war ich einige Schritte gegangen, als der Anführer jener Truppe, Capifam
JUNE, ein alter Mann von rauhem Aeufsern aber gutem Gemüthe,
mir plötzlich entgegen trat. Er begrüfste uns auf dieselbe Weise, wie
seine Landsleute, allein das Ansehen dieses Waldmenschen war noch
weit auffallender als das der andern, denn er trug Ohr - und Mundtafeln
von 4 Zoll 4 Linien englisches Maas im Durchmesser. Auch er war
stark und muskulös gebaut, doch hatte ihn das Alter schon mit Runzeln
gezeichnet. Da er seine Frau zurückgelassen hatte, so trug er selbst
zwey schwer angefüllte Säcke auf dem Rücken und einen grofsen Bündel
von Pfeilen und Pfeilrohr. Er keuchte unter dieser Last und lief mit vorgeneigtem
Körper schnell dahin, wie ihn die Vignette dieses Abschnittes
darstellt. Seine erste Frage an uns war ebenfalls: ob seine Landsleute
von Bio de Janeiro zurückgekehrt seyen, und lebhafte Freude äufserte
sich in seinem ganzen Wesen, als wir ihm dieselbe bejaheten.
Als ich bald darauf auch nach dem Quartel zurückkam, fand ich
schon eine grofse Menge von Botocuden in allen Zimmern des Hauses
nach ihrer Bequemlichk'eit gelagert. Einige safsen am Feuer und brateten
unreife 7»/ammao-Frächte ; andere afsen Mehl, welches sie vom Commandanten
erhalten hatten, und ein grofser Theil von ihnen war im
Anstaunen meiner ihnen fremdartig vorkommenden Leute begriifen. Sie
waren nicht wenig verwundert über die weifsere Haut, die blonden
Haare und die blauen Augen derselben. Alle Winkel des Hauses durchschlichen
sie, um Lebensmittel aufzusuchen, und immer rege war ihre
Efslust; alle Tfefemmdo-Stämme wurden von ihnen bestiegen, und wo
nur irgend eine Frucht, durch eine etwas mehr gelblich grüne Farbe,
den Anfang der Reife verrieth, ward sie abgenommen; ja sehr viele
verzehrten sie ganz unreif; sie rösteten sie alsdann auf den heifsen Kohlen,
oder kochten sie auch wohl. Ich trat mit diesen Wilden nun sogleich
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in einen Tauschhandel, indem ich ihnen Messer, rothe Schnupftücher,
Glascorallen und dergleichen Kleinigkeiten gegen ihre Waffen, Säcke
und andere Geräthschaften gab. Sie hebten ganz vorzüglich alles Eisengeräthe,
und befestigten, nach Art aller Tapujras der Ostküste, die eingehandelten
Messer sogleich an einer Schnur, die sie um ihren-Hals
trugen. Einen sehr interessanten Anblick gewährte uns die Bewillkommung
der jungen, mit dem Ouvidor in Rio §:ewesenen und nun nach
und nach herheykommenden Botocudos von Seiten ihrer Landsleute und
Verwandten; sie wurden recht herzhch von ihnen empfangen, der alte
Capitam June sang ein Freudenlied und einige wollten sogar gesehen
haben, dafs er vor Freude geweint habe. Nach Einigen sollen die
Botocudos zum Willkommen einander am Handgelenke beriechen; Herr
S E L L O w unter andern will diese Erfahrung gemacht haben, allein, ungeachtet
ich lange und oft unter diesen Wilden war, und sie öfters Ankommende
bewillkommen sah, habe ich doch nie etwas Aehnlichcs bemerkt
oder gehört. Der alte Capitam hatte sich mit seinen nächsten Freunden
in den, von allen Seiten offenen, und blos mit einem Strohdache bedeckten
Schoppen einquartiert, der zur Bereitung des Mandioccamehls bestimmt
war; hier hatten sie sich neben das Mandioccarad, und den zum
Trocknen des Mehls dienenden Ofen ein grofses Feuer angezündet, und
lagen um dasselbe her, umgeben von einem dicken Rauche, in der Asche,
von welcher ihre braune Hautfarbe jetzt zum Theil grau erschien. Oft
stand der Capitam selbst auf, forderte barsch und rauh eine Axt, und
gieng, um Brennholz zu holen; auch wagte er von Zeit zu Zeit einen
AngriiT auf uns und die Portugiesen, um Mehl zu erhalten, oder rüttelte
die Melonen-Bäume, um ihre Früchte zu bekommen. Diese Botocudos,
welche Rio Doge so unversöhnhch handeln, sind hier am Belmonte
so wenig gefürchtet, dafs man es wohl schon gewagt hat, mehrere Tagereisen
weit mit ihnen in die grofsen Wälder auf die Jagd zu gehen und