IQ R e i s e n a c h Ri o de J a n e i r o
mit günstiger Kraft auf das Schiff; denn nur mit wenigen kleinen Segeln
flogen wi r dermafsen schnell dahin, dafs wir in kurzer Zeit den Raum
zurücklegten, zu welchem wi r die ganze Nacht gebraucht hatten. Em
Br i g g , der mit uns segelte, wa.- von den Wel len immerfort bedeckt,
während wir auf dem höheren Schiffe noch ziemhch trocken bheben.
Wi r trafen vor Deal ein, jedoch mit solcher SchneUigkert, dafs
ma n , um nicht auf die Küste zu laufen, in gröfster Eile den Anker
mufste fallen lassen, welches jedoch nur mit vieler Mühe bewerkstelligt
werden konnte; denn die starke Reibung des schnell ablaufenden
Ankerthaues verursachte eine solche Hitze, dafs es bereits dampfte,
und sich gewifs entzündet haben würde, wenn nicht das in Strömen
von den Matrosen aufgegossene Wa s s e r es abgekühlt hätte; endlich
fiel der colossale Anker , und wir sahen uns auch aus dieser Gefahr
glücklich gerettet. Glücklicher We i s e hatte unser Schiff, das überhaupt
eins der besten und dauerhaftesten wa r , gute neue Cables und ein
treffliches Tauwerk. Die Menge von Fahrzeugen, die wi r hier vor
Anker fanden, tröstete uns einigermafsen über unsern Zeitverlust; alle
grofse Schiffe hatten ihre oberen Mäste und ihre Segelstangen abgenommen,
um sich gegen den Sturm zu sichern, und die Kriegsschiffe
lagen auf zwey Ankern. - Der augenscheinlichen Gefahr waren wi r
zwar nun entgangen, aber eingesperrt in den Ka s t en, der noch
immer von den Wellen aufs furchtbarste geworfen wurde , führten wir
eine Zeit lang ein trauriges Le ben; und doppelt fühlten wir nun uns
glücklich, als endlich das Ungestüm der Wo g e n nachUefs , und wi r
froh unserer Bestimmung entgegen segeln konnten. Dungenefs liefen
wi r vorbey, sahen die schönen Felsenküsten von Beachyhead, einem
Vorgebürge in Sassex zwischen den Städten Hastinga und Shoreham,
wo die französische Flotte im Jahr 1690 die vereinte holländische und
englische schlug, sahen am Mittage die wegen ihrer Seebäder so
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berühmte Stadt Brighthelmsione {Brighton) 56 englische Meilen von
London und befanden uns Abends im Angesicht der Insel Wight bey
unbewegtem ruhigen Meere und dem schönsten Mondscheine. Fröhlichkeit
war wieder bey unserer Schiffsgesellschaft zurückgekehrt; die Geigen
der Matrosen liefsen sich wieder vernehmen, und beym Tanze
vergafsen die jungen Leute die erlittene Angst.
Am aoten May Morgens verliefsen wi r 5. Catharinds Point auf der
Insel PVight ^ und segelten dann Portland Point in Dorsetshire vorbey,
wo der schöne Londoner Baustein gebrochen wird. In der nächsten
Nacht erhob sich wieder ein so heftiger Sturm, dafs das Schiff kreuzen
mufste, um nicht gegen die Felsküsten von England geworfen zu werden,
wobey uns von dem Winde ein Segel zerrissen wiu-de. Am Abend des
folgenden Tages liefen wi r wegen hoher See und etwas ungünstigen
Windes in dem sichern Busen von Torhay ein. Dieser Busen ist weit
und von Felsgebürgen schön eingefafst. Nördlich tritt Cape Portland
Point und südlich Cape Start Point vor. Hier gedachten wi r besseres
Wet ter abzuwarten, und uns von den überstandenen Beschwerden auszuruhen.
Allein zwey Schiffe, die mit uns gleiche Bestimmung hatten,
signalisirten und gaben uns zu verstehen, dafs sie mit uns zu segeln
wünschten. Wi r mufsten also der gehofflen Ruhe schon wieder entsagen,
und die Briefe nach dem Vaterlande, die wir sämmtlich fertig liegen
hatten, mit in See nehmen. Gegen Abend umsegelten wi r das südlich
vortretende Cape Start Pointhohe zackigte Felswände bilden ein wildes
Vorgebürge, auf dessen Höhe wie an allen Küsten ^/on Dei^onshire^ eine
schöne grün bewachsene Fläche sich zeigt. Die Be rge erschienen zum
Theil gelb gefärbt von den weit ins Auge fallenden Blumen des Vleoc^
eines Strauchs, der in England und Frankreich sehr gemein ist. In der
See blicken kleine Fels-Inselchen hervor, an denen weifs schäumend die
Wo g e n sich brechen, ein Gemähide, das heute noch reizender ward