
Der Hass gegen die schwache und gleichgültige Obrigkeit, welche
dem bürgerlichen Leben keinen Schutz gewährte, steigerte sich mit
dem Selbstgefühl, das die eigene Bewaffnung dem Volke einflösste.
Grossen Zuwachs erhielten die Räuberbanden auch durch die
Bemannung einer Piraten - Flotte von achtundfunfzig Segeln,
welche im October 1849 in einer Bucht des südwestlichen K u a n -
t u n von englischen Schiffen vernichtet wurden; zweitausend
Mann retteten sich mit ihren Waffen und traten zu den
Schaaren der Provinz K u a n - s i über. Die amtliche Zeitung
von P e - k in meldete bald darauf, dass eine starke Rebellenmacht
den kaiserlichen Truppen dort in offenem Felde die Spitze biete.
Seitdem wurden die Zustände immer verzweifelter. So dunkel und
verwirrt die darüber nach K a n - t o n gelangenden Nachrichten waren,
so bewiesen sie doch, dass damals mehrere unter sich in keiner
Beziehung stehende Aufrührerbanden, jede für sich stark genug,
um kleine Städte zu nehmen und den Kaiserlichen zu trotzen, in
K u a n - s i hausten, von der Bevölkerung aber kaum so sehr
gefürchtet wurden als die Truppen der Regierung, welche wehrlose
Städte ausraubten, wo die Rebellen nur Vorräthe requirirten.
Die Rebellen kämpften planlos für die Vertreibung der Tartaren
und Herstellung der M i n -Dynastie. Eine alte Prophezeiung verkündete,
an die Entthronung der Mongolen vor fünfhundert Jahren
anknüpfend, den Sturz der Mandschu für 1851. Im Juli 1850 wurde
am Nordthor von K a n - t o n eine aus dem 6. Monat des 2. Jahres
T i e n - t i (Himmlische Tugend) datirte Proclamation eines Prätendenten
angeschlagen, der seiner Regierung schon jenen Namen verliehen
hatte und als Mrä-Fürst Münzen prägen liess. Se. Majestät
bot in diesem Aufruf zehntausend T a e e Demjenigen, der ihm den
V i c e - K ö n i g S i u - k w a n - t s in gefangen zuführen würde. T i e n - t i galt
den F'remden in K a n - t o n noch lange als das Haupt der Insurrec-
tion, nachdem die Führung in die Hände der T a e - p in -Secte übergegangen
war. Durch Concentrirung um diesen Kern einer kleinen
Schaar religiöser Fanatiker, deren Lehren an die Schriften des
Alten und Neuen Testamentes anknüpften, gewann die Bewegung —
gegen October 1850 — erst wirkliches Gewicht. Die Fremden
blieben mehrere Jahre lang in völliger Unwissenheit von dem
vorgeblichen Christenthume der Rebellen; 1852 gelangte eine aben-
theuerlich klingende Nachricht darüber nach H o n g - k o n g , fand aber
wenig Glauben und Verbreitung. Erst durch die Reise des englischen
Bevollmächtigten Sir G. Bonham, welchen Herr Taylor
Meadows Ende April 1853 auf dem Dampfer Hermes nach N a n - k in
begleitete, erhielt man Gewissheit. Die Mandarinen mögen den
Fremden die religiösen Satzungen der Rebellen aus Besorgniss vor
ihrer Theilnahme verhehlt haben, aber unbegreiflich bleibt es, dass
nicht die Insurgenten, auf Beistand der Christen aus dem
Westen hoffend, mit ihnen Verbindungen anzuknüpfen suchten.
Die ersten verworrenen Darstellungen der Insurrection lassen, auf
dunkele Gerüchte fussend, die Thatsachen nicht mehr mit Sicherheit
erkennen; die früheste Geschichte der T a e - p i n -Secte klingt
schon jetzt fast mythisch. Meadows lieferte die gründlichste und
zuverlässigste Arbeit darüber; seinen Berichten ist die folgende Erzählung
entnommen.
In einem Dorfe des Bezirkes Wu, etwa sieben deutsche Meilen
nordöstlich von K a n - t o n , ward 1813 ein Knabe geboren, der schon
in frühester Jugend grosse Begabung zeigte. Seine Eltern, arme
Landleute, machten ihm mit' Hülfe von. Verwandten den Schulbesuch
bis zum sechszehnten Jahre möglich; dann musste er eine
Weile des Vaters Vieh auf die Weide treiben. Darauf wurde er
Schulmeister im heimathliehen Dorfe, fand Müsse zu Fortsetzung
seiner Studien und bereitete sich zur ersten Staats - Prüfung vor.
Wiederholt stellte H u n - s iu - t s u e n sich dazu in K a n - t o n , erlangte
aber niemals den ersten Grad. Bei einem solchen Aufenthalt in
der Provinzial-Hauptstadt, wahrscheinlich 1833, erhielt er von einem
bekehrten Chinesen L i a n - a - p a , der mit aufrichtigem Glaubenseifer
für die protestantische Mission arbeitete und in jener Zeit viele
religiöse Schriften vertheilte, eine Sammlung von Aufsätzen mit dem
Titel K iu e n - s e - e i a n - y e n , »Gute Worte zu Ermahnung des Zeitalters
«. Einige Capitel aus dem Alten und dem Neuen Testament in
Morrisons Bibel-Uebersetzung waren darin mit Betrachtungen und
Predigten des Verfassers abgedruckt. H u n - s iu - t s u e n scheint das
Buch damals' nur obenhin angesehen, dann bei Seite gelegt zu
haben. 1837 liess er sich zu K a n - t o n abermals ohne Erfolg prüfen
und verfiel dort, geistig und körperlieh erschöpft, . in so schwere
Krankheit, dass er im Tragstuhl nach dem heimathliehen Dorfe
gebracht werden musste. Vierzig Tage litt er heftig, glaubte zu
sterben und hatte im Fieber allerlei Visionen. »Er sah einen
Drachen, einen Tiger und einen Hahn, dann viele Männer mit
musicalischen Instrumenten und einen prächtigen Tragstuhl, in