
Dienste leistete, mit den Sturmleitern heran. Die Mauern wurden
auf dem linken Flügel von den Engländern und Franzosen noch
vor der festgesetzten Zeit und bald darauf auch auf dem rechten
Flügel ohne jeden Verlust erstiegen; denn die Besatzung floh in
dem Augenblick, da die Leitern angesetzt wurden. Die Truppen
drangen auf der fünfundzwanzig Fuss breiten Esplanade nach beiden
Seiten vor, besetzten westlich Magazine-hill und warfen die
Chinesen, welche jenseit dieses Punctes einmal Stand hielten.
Nach Osten verbreiteten sie sich über die ganze Länge der Stadtmauer
und stellten durch die Vorstadt eine Verbindung mit den
Schiffen her. Der rechte Flügel besetzte noch ein vor dem Nordthor
gelegenes Aussenwerk, und die Stadt war genommen. — Die
fünftausend Engländer hatten acht Todte und einundsiebzig Verwundete,
die neunhundert Franzosen zwei Todte und dreissig Verwundete.
In der Stadt richtete das siebenundzwanzigstündige Bombardement
arge Verwüstungen an; im dichten Gewühl der Flüchtenden
sollen viele Frauen und Kinder erdrückt worden sein. Nach dem
Urtheil kundiger Engländer hätte eine dreistündige Beschiessung den
militärischen Forderungen genügt.
1858. Am Neujahrstage 1858 ergriffen die Botschafter durch feierliche
Procession nach Magazine-hill Besitz von der Stadt; die
Truppen hatten sich Hütten auf der Esplanade der Ringmauer
gebaut, welche K a n - t o n völlig beherrscht. Die Bevölkerung
wurde unterdessen von den einheimischen Behörden regiert. Der
Gouverneur P i - k w e i und andere hohe Beamten richteten eine Eingabe
an Lord Eigin, in welcher sie gegen die Handlungsweise des
Vice-Königs, der sie niemals zu Rathe gezogen habe, Verwahrung
einlegten und sich bereit erklärten,- in jedem von den Siegern vorgeschriebenen
Sinne nach P e - k in z u berichten. — Am 5. Januar
beschlossen die Botschafter, Yi verhaften zu lassen. Ein Detachement
versicherte sich zunächst des Gouverneurs P i - k w e i und des
Tartarengenerals. Yi fand man erst nach längerem Suchen im
Hause des zweiten Tartarencommandeurs, der sich selbst für- den
Vice-König ausgab, während dieser durch eine Hinterthür entwischen
wollte. Er benahm sich trotzig und aufgeregt und mochte
daran gewöhnt haben; deshalb sind sie mit vierzig Jahren Greife. Sie trinken
wenig. Sprachen lernen sie leicht: einige, die wir die ganze Zeit (3^ Jahre) bei uns
hatten, sprachen französisch, englisch, und verständigten sich leicht mit den
Sepoys.«
für sein Leben fürchten.93) Seine Archive bargen einen Schatz
wichtiger Documente, welche die früheren Beziehungen zu den
Fremden beleuchten und für deren Geschichte unschätzbar sind;
u. a. die ratificirten Exemplare der Verträge mit England, Frankreich
und America, welche wohl niemals .nach P e - k i n gelangten.
Die Botschafter beschlossen, K a n - t o n als Unterpfand für
die Erfüllung ihrer Forderungen zu behalten, sahen aber wohl ein,
dass _ sie der Regierung der Stadt nicht gewachsen seien. Die
Ordnung lockerte sich zusehends; Diebesbanden plünderten ungestraft
und der Verkehr begann zu stocken. Der complicirte Organismus
der Verwaltung, durch welchen chinesische Bevölkerungen
in den gewohnten Bahnen des bürgerlichen Verkehrs erhalten
werden, konnte den Europäern nicht geläufig sein; und selbst wenn
die der Spräche kundigen Dolmetscher fähig gewesen wären sich
in kurzem damit vertraut zu machen, so war doch ihre Zahl der
Geschäftslast nicht gewachsen. Die Botschafter unterrichteten
deshalb P i - k w e i von ihrer Absicht, K a n - t o n der kaiserlichen Regierung
zurückzugeben, sobald ihre Forderungen erfüllt wären, und
ersuchten ihn, bis dahin unter ihrer Oberhoheit die Verwaltung der
mit seinem früheren Amte verbundenen Geschäfte zu übernehmen.
P i - k w e i willigte ein, wurde von den Botschaftern feierlich instal-
lirt und vermochte auch seine Unterbeamten, welche theilweise geflohen
waren, in ihre P’unctionen wieder einzutreten. Sein erstes
Gesuch an Lord Eigin ging auf Herstellung der Handelsbeziehungen,
durch deren Unterbrechung seit fünfzehn Monaten die Stadt
schwer gelitten habe und deren Erneuung den freundschaftlichen
Verkehr wesentlich fördern werde. Darauf wurde durch eine vom
6. Februar datirte Proclamation die Blockade des Perl-Flusses,
welche wegen der vielen Mündungen niemals effectiv gewesen war,
" ) Yi wurde an .Bord des englischen Kriegsschiffes Inflexible gebracht, das einige
Zeit bei der Bocca Tigris ankerte; er schien seine Gefangenschaft durchaus nicht
zu begreifen und drückte täglich' sein Befremden aus, dass Lord Eigin nicht erschiene
und mit ihm in Verhandlungen träte, welche der einzige Zweck seines Aufenthaltes
auf dem englischen Schiffe seien. Später glaubte der Botschafter, dass Yi’s Gegenwart
in der Nähe von K a n - t o n ungünstig auf dessen Bevölkerung wirke und
schickte ihn nach Calcutta. Die Mittheilung dieses Beschlusses nahm der Vice-König mit
vollkommenem .Gleichmuth hin und erklärte mit allem einverstanden zu sein, was
man über ihn verhängen möge. Nach seinem Tode wurde die -Leiche nach K a n -
■ t o n gebracht und von der Bevölkerung mit Zeichen der tiefsten Ehrfurcht und Anhänglichkeit
empfangen. Seine Thatkraft hatte die Stadt vor den Rebellenhorden
geschützt, welche mit Zerstörung und Plünderung drohten.