
Tartaren - Stämme. Ein chinesischer Rebellen -Führer L i s e - t s in
drang nach achtjährigem Kriege 1644 in P e - k in ein; da erhängte
sich der letzte M i n - Kaiser, von Allen verlassen, im Garten der
Marmor-Insel. Sein an der Nordgrenze gegen die Mandschu-Tartaren
kämpfender Feldherr W u - s a n - k w e i gab aber die Dynastie
nicht verloren. Zu schwach den Rebellen allein zu begegnen, schloss
er Frieden mit dem tartarischen Landesfeind und zog mit diesem
gegen P f, - k in . Nach Einnahme der Hauptstadt überliessen die
Tartaren W u - s a n - k w e i die Verfolgung des Feindes und erhoben
ihren König auf den chinesischen Thron. W u - s a n - k w e i musste
sich fügen. Der neue Herrscher gab ihm nach dem feudalen Herkommen
seines Stammes eine Provinz im Westen des Reiches zu
Lehen und erwarb sich durch Belehnung mit den südlichen Provinzen
K u a n - t u n , K u a n - s i und F u - k i a n , welche erst nach
siebenjährigen blutigen Kämpfen unterlagen, die Gunst anderer chinesischen
Feldherren. Diese und W u - s a n - k w e i wähnten sich unter
dem nächsten Kaiser K a n - g i stark genug zum Abschütteln des
Joches und wurden erst nach langen Kriegen bezwungen. Damals
fiel auch Formosa, das unter Koxinga und seinem Nachfolger sich vierzig
Jahre lang der Mandschu-Herrschaft erwehrt hatte. Als äusseres
Zeichen der Unterwerfung mussten alle Chinesen die Tracht der
Eroberer, den seitlich aufgeschlitzten Rock, annehmen, das Haar
rund um den Kopf scheeren und den Schopf in der Mitte nach Tartaren
Art in einen Zopf flechten, während unter den M i n - Kaisern
das Haar frei herabhangend und ein mitten auf der Brust geknöpfter
Rock getragen wurden.
K a n - g i besass ungewöhnliche Gaben. Er hatte eine sorgfältige
chinesische Erziehung genossen und begriff, dass der einzige
Weg zu Erhaltung der Herrschaft die Aneignung der chinesischen
Cultur, Durchführung der darin begründeten Staatsverfassung und
Centralisation der Verwaltung sei. Nach Besiegung jener Vasallen
verlieh er keine neuen Lehen. Das Ansehn der Mandschu reichte
aber nicht aus, um durch blosse Nachahmung der altherkömmlichen
chinesischen Einrichtungen den Thron zu sichern; sie mussten sich
auf eine Hausmacht stützen und vor Allen ihre Stammverwandten
verbinden. Diese Nothwendigkeit bedingte einen starken Eingriff
in eine der ältesten und wichtigsten Einrichtungen des chinesischen
Staatslebens.
China hat seit vielen Jahrhunderten keinen Adel und keinen
bevorzugten Stand gehabt als den der Studirten, welcher sich, fortwährend
aus allen Classen des Volks ergänzt und Jedem die Wege
zu den höchsten Würden öffnet. Die Einrichtung der öffentlichen
Prüfungen soll in China seit etwa tausend Jahren bestehen und
bezweckt, dem Reiche den Dienst seiner besten Kräfte zu sichern.
Zweimal alle drei Jahre findet in jeder Bezirksstadt (Fu) unter
Leitung eines Provinzial-Commissars die erste Prüfung statt, zu
welcher sich Jeder melden kann, während nur eine gesetzlich
bestimmte Zahl Candidaten aus jedem Bezirke das Zeugmss der
Reife, den ersten Grad erhält. Schon diese Prüfung erfordert weitgreifende
literarische Studien, welche erhebliche Fruchte iur die
Volksbildung tragen. Denn bei der beschränkten Zahl der Aemter
kann nur eine kleine Zahl unter den Fähigsten graduirt werden;
alle übrigen treten in das Privatleben zurück, sie sind der Kern
der gebildeten Bevölkerung. - Alle drei Jahre findet in der Provinzial
Hauptstadt unter Aufsicht von zwei aus P e - k in gesandten
Commissaren die weitere Prüfung der in der ersten graduirtenKandidaten,
der S i u - t s a e s ta tt Von den fünf- bis zehntausend Examinanden
pflegen hier nur siebzig zu bestehen; sie erhalten den
Titel K e u - z in . Diese dürfen sich zu den alle drei Jahre in P e - k in
abgehaltenen Prüfungen melden, aus denen jedesmal zwei- bis dreihundert
T s i n - t s e oder Doctoren hervorgehen. *
Alle diese Prüfungen erfordern keine i achkenntnisse, sondern
nur Verständniss und Beherrschung der gesammten philosophischen,
historischen und schönwissenschaftlichen Literatur. Die
den Examinanden gestellten Aufgaben bedingen aber keineswegs
nur Gedächtniss-Thätigkeit, sondern eigenes Urtheil und Durchdringung
der geistigen Entwicklung China’s seit urältester Zeit. Der
Grad des S i u - t s a e berechtigt bloss zur zweiten Prüfung; ein
K e u - z in hat Anwartschaft’auf Anstellung, welche bei normalen
Verhältnissen nach wenig Jahren erfolgt. Ein T s i u - t s e erhält
sofort zum geringsten die' Verwaltung eines Bezirkes.
Die Mandschu liessen nun die Prüfungen fortbestellen und
beförderten keinen nicht graduirten Chinesen, vergaben aber viele
Aemter ohne Prüfung an ihre Stammgenossen. Da der kaiserliche
Willen absolut ist', so kann auch solche Stellenbesetzüng nicht an-
gelbchten werden; aber bleibende Erbitterung erzeugte es in allen
Theilen des Reiches beim Volke und vorzüglich bei der einfluss