
Norden vor und stiessen etwa dreiviertel Meilen von der Stadt
auf den Feind. Das chinesische Heer stand südlich von dem Canal,
welcher T u n - t s a u mit P e - k in verbindet: in der Mitte die
Infanterie und Artillerie, auf beiden Seiten weit ausgedehnt die tar-
tarische Reiterei, die offenbar die feindliche Schlachtreihe überflügeln
sollte. Die französischen Truppen operirten gegen die breite
Marmorbrücke von P a - l i - k a o , die Engländer gegen eine hölzerne
Brücke, die westlich davon über den Canal führt. Die Flügel der
chinesischen Armee sollten auf das Centrum und mit diesem über
den Canal gedrückt werden. Die Tartaren wurden mit ihren kleinen
Pferden von den Kings - dragoon - guards und Fane’s Reitern der-
maassen übergeritten, dass sie nicht wieder Stand hielten. Auch
im Centrum und auf dem linken Flügel wichen die Chinesen, die
zuerst sogar angriffen, nach kurzem Widerstande ihr Lager dem
Feinde überlassend, gegen den Canal zurück. Beim Uebergang über
die Marmorbrücke hielten sie zum letzten Mal mit zehn Geschützen
Stand und litten starken Verlust von der feindlichen Artillerie;
Viele ertranken, die über den Canal schwimmen wollten. Die Verfolgung
der Engländer reichte auf ihrem linken Flügel bis eineMeile vor
P e - k in . Am Süd-Ufer des Canales rastend, erhielten sie Feuer aus
einem versteckten Tartaren-Lager am Nord-Ufer; darauf ging einDe-
tachement hinüber, vertrieb den Feind und nahm seine Geschütze. Die
Franzosen lagerten nördlich vonPA-Li-KAO.— Den Engländern kostete
dieser Tag 2 Todte und 29 Verwundete, den Franzosen noch weniger.
Am 22. September erhielt Lord Eigin folgendes Schreiben
vom Prinzen von K u n , dem Bruder des regierenden Kaisers:
»Der Prin z von K u n , kaiserlicher Commissar mit Vollmachten,
'u. s. w., macht- eine Mittheilung.
Da T s a e , Prin z von E i und Mu, Prä sid en t des Kriegsministeriums
, die Geschäfte nicht zufriedenstellend erledigt h ab en , so wurde
ein Decret empfangen, welches sie ih re r Vollmachten beraubt. Der
P rin z von K u n , welcher die Ehre h a tte , zum Commissar mit Vollmachten
ernannt zu w e rd en , will sofort H a n - k i u nd L a u - w e i - w a n
absenden, um eine Zusammenkunft zu Erörterung der Friedensfrage
zu halten. Seine Excellenz d e r britische Gesandte möge zu Herstellung
des freundlichen Verhältnisses die Feindseligkeiten auf einige Zeit
suspendiren.' Eine Mittheilung an Seine Excellenz L ord Eigin u. s. w.
H i e n - e u n . 10. Jah r. 8. Monat. 7. Tag
(21. September 1860).«
Nun standen die Alliirten dicht vor P e - k i n , und es wäre
gewiss auch für die Sicherheit der Gefangenen am besten gewesen,
sogleich die Hauptstadt zu nehmen. Dazu fehlten aber die erforderliche
Truppenzahl und das schwere Geschütz. Die blosse Androhung
solcher Maassregel musste unverständig erscheinen ohne
schleunige Action. Man war in der schwierigsten Lage. Einerseits
durfte nicht zugegeben werden, dass die englischen und französischen
Parlamentäre als rechtmässig gefangen zu betrachten seien,
auf der anderen Seite konnte es denselben, ohne die Friedensaussichten
zu fördern, Gefahr bringen, wenn man den Chinesen ihren
Verrath in ungeschminkten Worten vorhielt. Ein Moment der
Aufregung bei den leitenden Staatsbeamten, des panischen
Schreckens und tumultuarischer Verwirrung beim Volke konnte
Jenen das Leben kosten. Die öffentlichen . Interessen mussten
den individuellen voranstehen. Sich durch die Zurückhaltung der
Gefangenen irgend ein Zugeständniss entlocken zu lassen, wäre politisch
ein äusserst gefährlicher Präcedenzfall gewesen; denn ‘ es
hätte die Chinesen gelehrt, dass sie durch verrätherische Aufhebung
Einzelner durchsetzen könnten, was sie im Wege ehrlicher Unterhandlung
und offenen Kampfes nicht erreichten. Deshalb erforderten
sowohl die diplomatische Correspondenz als die kriegerischen
Operationen grosse Vorsicht und Stätigkeit.
Lord Eigin antwortete dem Prinzen von K u n zunächst mit
einem Schreiben, welches demselben die Möglichkeit liess, die Festhaltung
der Parlamentäre nach chinesischer Weise auf untergeordnete
Officiere zu schieben. Er fügte eine Abschrift der an die Behörden
von T u n - t s a u gerichteten Notification bei und erklärte,
dass er nicht in der Lage sei, die Einstellung der Feindseligkeiten
vor Rückkehr der Gefangenen zu veranlassen.
Schon am 23. September kam. eine Erwiederung des Prinzen:
Die englischen Beamten hätten bei ihrer Anwesenheit in Tui» - t s a u
mit den früheren Commissaren acht Anträge erörtert, welchen zugestimmt
worden sei. Beim zweiten Besuch habe man sich wegen
Ueberreichung des königlichen Schreibens nicht gleich geeinigt; die
englischen Officiere seien ärgerlich aufgebrochen. Unterwegs wären
sie mit chinesischen Soldaten aneinandergerathen und von diesen
verhaftet worden. »Daher ist es nicht die chinesische Regierung,
welche irgendwie gegen die Aufrechthaltung des freundschaftlichen
Verhältnisses fehlte. Die in Rede stehenden Officiere sind jetzt in