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musste gegen das der kaiserlichen Beamten und Heere sehr vor-
theilhaft abstechen; für die Mandschu-Herrschaft ist das Volk fast
nirgends in China begeistert, und man darf annehmen, dass die
Briten sich an den Orten, welche sie gegen die kaiserlichen Heere
halten konnten, ohne Widerstand der angesessenen Bevölkerung
bleibend hätten einriehten mögen. Ueberall ausser in K a n - t o n
kam man ihnen mit offenen Armen entgegen, und bei längerem
Aufenthalt gestaltete sich das Verhältniss immer freundlicher.
Die Gefahr solchen Zustandes für die Mandschu-Herrschaft
musste K i - y in um so mehr ängstigen, als er, der europäischen
Politik durchaus fremd, allen Grund hatte, die Engländer für
Eroberer anzusehen. Seine und I - l i - p u ’s amtliche Berichte hatten
längst alle Hoffnung vernichtet, den Siegeslauf der Briten aufzuhalten.
In seinen vertraulichen Mittheilungen an den Kaiser soll
Kx-Tin hartnäckig auf unmittelbaren Friedensschluss gedrungen
haben, während I - l i - p u die Meinung vertreten hätte, dass erst
unter den Mauern von N a n - k in unterhandelt werden dürfe. Der
Kaiser, argumentirte dieser, müsse seine Würde vor dem Volke
wahren. Nachdem er so oft die Vernichtung der Barbaren ver-
heissen und sein Bedauern ausgesprochen habe, dass er nicht selbst
zu Felde ziehen könne, dürfe er nicht plötzlich, zu Friedensanträgen
überspringend, sich in den Augen des Volkes erniedrigen; nur
durch die härteste Noth müsse er zum Nachgebeu gezwungen
erscheinen; die Gründe dafür sollten schlagend und unbestreitbar
sein. Zudem sei es ja doch möglich, dass die Expedition im
Y a n - t s e scheitere. — Die Kriegsparthei, deren Vertreter noch
immer im Rathe des Kaisers sassen, scheint erst nach dem Eall
von T s in - k ia n - e u kleinlaut geworden zu sein; solche Bestürzung
trat auf diese Nachricht ein, dass der H ofin aller Eile zum Aufbruch
nach der Tartarei rüstete. Der Schatz "wurde schleunigst verpackt;
dabei kamen nicht weniger als neun Millionen T akt, abhanden, die
niemals wieder gefunden wurden.
Die Entfernung von P e - k in war zu gross, um Verhaltungsbefehle
abzuwarten. N a n - k in musste um jeden Preis gerettet
werden, und die kaiserlichen Commissare sahen sich gezwungen,
auf eigene Verantwortung die ersten Schritte zu thun. Noch ehe
die Flotte von T s i n - k ia n - e u absegelte, erschien dort ¡§tr, der
frühere Gouverneur von T s u - s a n , der wegen seiner ehrlichen Gesinnung
bei den Engländern in gutem Ansehen stand und schon
Die F lo tte v o r N a n - k i n . 125
früher mit Aufträgen des I - l i - p u in ihrem Lager gewesen war,
mit friedlichen Eröffnungen. Mangel an Wind hielt das Geschwader
noch einige Tage zurück; aber am 8. August ankerte der grösste
Tlieil desselben vor N a n - k i n , von dessen Mauern überall die weisse
Flagge wehte.
K i - y in und I - l i - p u hatten dort den Einfluss des General-
Gouverneurs G n u - T a - d z e n zu bekämpfen, der, zum dritten Bevollmächtigten
ernannt, keine ehrlichen Verhandlungen wollte und den
Feind in gewohnterWeise durch Täuschung und Aufschub zum
Rückzug zu bewegen hoffte. Er ordnete allerlei kriegerische Demonstrationen
an, und die Verhandlungen drohten sich zu zerschlagen.
— Das Linienschiff Cornwallis ankerte im Strom, die
Fregatte Blonde in einem westlich die Stadt bespülenden Canal,
beide dicht unter den Mauern, in welche sie Bresche schiessen
sollten. Truppen wurden ausgeschifft und alle Anstalten zum
Sturm getroffen.
An Vertheidigung war nicht zu denken. Die Mauern von
N a n - k in umschliessen ein ausgedehntes Areal, dessen grössere
Nordhälfte Felder und Gärten einnehmen. Die Tartarenstadt, deren
Mitte die Citadelle bildet, füllt den südöstlichen, die volkreiche
Chinesenstadt den südwestlichen Winkel des Mauerumkreises aus,
dessen südliche und westliche Seite ein Canal säumt. Südlich von
diesem liegen, dem bewohnten Theil von N a n - k in gegenüber, ausgedehnte
Vorstädte. — Ein ungewöhnlich hoher Wasserstand hatte
das Land in grosses Elend versetzt, zugleich die Abwehr und die
Zufuhr erschwert. Die Garnison — nach den englischen Berichten
nur zweitausend Mandschu-Tartaren — war der Vertheidigung
der Ringmauer nicht entfernt gewachsen, noch weniger die Anzahl
der Geschütze. Dazu kamen Mangel an Lebensmitteln und die
Indifferenz der Landbewohner, die, weit entfernt ihren Unterdrückern
gegen die Engländer Hülfe zu leisten, den Anstalten zum
Ann-riff gleichgültig zusahen. Selbst der Tartaren-Commandeur gewann
die Ueberzeugung seiner Hülflosigkoit und erklärte, die Stadt
nicht halten zu können. Die Vorbereitungen zum Sturm brachten
auch G n u - T a - d z e n zur Besinnung; er schloss sich endlich der Botschaft
der anderen Bevollmächtigten an den Kaiser an: »Wir sind
v o n Gefahren umringt und in solcher Bedrängniss, dass jedes unvorgesehene
Ereigniss Verderben bringen kann. Wir haben daher auf
die Gefahr hin, das Leben zu verlieren, die Forderungen der Bar