
Bekenntniss liat sein historisches Element. Neben den rein menschlichen
Anschauungen, der gemeinsamen Grundlage der Gesittung
aller verschiedenen Völker, hat jeder Stamm seine eigenthümlichen,
nationalen, welche seine Gesittung bedingen. Je stärker ausgeprägt,
je weiter durchgebildet diese sind, desto abweichender müssen
sich, von denselben Grundlagen ausgehend, die Bekenntnisse
der verschiedenen Stämme entwickeln. Die angebornen , und
anerzogenen Anschauungen der heutigen Chinesen sind himmelweit
verschieden von denen der Indogermanen. — H u r - siu - t s u e n eignete
sich in seiner Jugend die altchinesische Moral-Philosophie,
wie sie in den heiligen Büchern und den darauf fussenden classi-
schen Schriften enthalten ist, in ihrer vollen Ausdehnung an; von
diesem Standpunkt aus betrachtete er die christlichen Glaubenslehren.
Der kurze Unterricht des Missionars Roberts scheint wenig
auf ihn gewirkt zu haben, eben so wenig das Buch des L ia n - a - f a ,
das von geringer Bildung und plumpem Geiste zeugen soll. P Iu n -
s iu - t s u e n war dreissig Jahre, als er auf dasselbe aufmerksam
wurde; dass er nachher die Bibelübersetzung von Morrison las,
beweisen seine Schriften. Durch das Studium der heiligen Bücher
seines Volkes hatte sein Seelenleben feste Richtung gewonnen; er
war durch und durch Chinese. Der historische Inhalt der Bibel
mag in der Uebersetzung kaum anders lauten, als Erzählungen von
fernen Stämmen des chinesischen Alterthums. In seinem nationalen
Bewusstsein knüpfte H u n an Üs a n - t i , den höchsten Herrn, an, weichen
uralte Herrscher angebetet haben. Diesen S a n - t i ,- welcher in den
heiligen Büchern der Chinesen nur selten vorkommt, fand er in der Bibel
auf jedem Blatt; er fand dessen zweiten Namen, Vater, Fu, einen
jedem Chinesen heiligen Begriff, mit dem Worte Himmel, T i e r ,
'verbunden, welches Vorsehung, göttliche Weltordnung, höchstes
Gutes bedeutet, welchem nur der dem Worte Fu beiwohnende Begriff
der Persönlichkeit fehlt, um die Gottheit selbst zu bezeichnen.
Als Mensch von religiösem Bedürfniss mochte H u n - s iU - t s u e n kaum
zu der atheistischen Deutung neigen, welche die meisten chinesischen
Philosophen den Ausdrücken S a n - t i und T i e n geben, und
sich schon früh zur deistischen Auslegung derselben bekannt
haben, soweit die Lehren des Confucius das zuliessen. Der Ueber-
gang war um so leichter, als die Sittengesetze in den heiligen
Büchern mit denen der Bibel in Einklang stehen. So knüpft H u n -
s i u - t s u e n in seinen frühesten Schriften an bekannte chinesische
Weisheitslehren an und substituirt nur dem »Urgrund aller Dinge«,
der gewöhnlichen Deutung von S a n - t i , den uralten Begriff des
höchsten persönlichen Gottes. Sein wichtigstes Werk, das T a e -
p i n -T s a o - su oder Buch der Belehrungen, welches 1853 bekannt
wurde, ist eine an die gebildeten Classen in China gerichtete Rechtfertigung
seiner Glaubenslehren, welche den psychologischen Vorgang
seiner Bekehrung in klares Licht stellen soll und nach
Meadows’ Ausspruch mit tiefer Kenntniss der chinesischen Literatur
im einfachen Ausdruck eines ernsten Mannes geschrieben ist, .dem
mehr daran liegt zu überzeugen als zu glänzen. Er bringt darin
viele Belege aus den heiligen Büchern der Chinesen, stellt aber die
Bibel als unfehlbare Queile der Wahrheit über dieselben.
In H u n - siu - t s u e n ’s Lehre ist S a n - t i oder T i e n - e u der
höchste Gott, der himmlische Vater, den er sich nach alttestament-
licher Weise in menschlicher Gestalt denkt; der allmächtige,
allweise, allgegenwärtige Schöpfer und Erhalter der Welt. Die
Vorsehung ist der Willen dieses persönlichen Gottes. S a n - t i
allein ist Gott: »Selbst der Heiland, der Herr Jesus, wird nur
Flerr genannt. Nun ist doch oben im Himmel, unten in der Erde
und unter den Menschen niemand grösser als Jesus. Ist nun selbst
Jesus nicht »Ti«, Gott, wer wagt dann noch sich den Namen »Ti«
anzumaassen.« Hiermit ist die Stellung des Erlösers in H u n - s iu -
t s u e n ’s Lehre deutlich bezeichnet; Jesus wird nicht als ewiges,
sondern als erschaffenes Wesen gedacht. — Alle Menschen sind
Brüder; ihre Seelen erzeugt der Odem des Schöpfers, tü r die
unsterbliche Seel'e musste H u n ein neues Schriftzeichen erfinden,
das er aus den Elementen Mensch und Dunst componirte; denn
die orthodoxe Lehre des Confucius weiss nichts vom künftigen
Leben. Aus dieser hielt H u n - s i u - t s u e n den Grundsatz fest, dass
der Mensch 'von Ursprung gut ist. Das Böse schreibt er dem beständigen
Wirken des Schlangenteufels zu, den er m der Bibel
findet; in der chinesischen Sage nehmen nur gute Geister zuweilen
die Gestalt der Schlange an. Im Bewusstsein der T a e - p in trat
der Schlangenteufel an die Stelle des Höllenkönigs Y e n - i .o - w a n , welchem
man, wie vielen anderen Dämonen, aus abergläubischer
Furcht opfert. Die Götzen sind dem gebildeten Chinesen nur Bilder
furchtbarer Dämonen, dem grossen Haufen aber die Dämonen
selbst; daher die Lust der T a e - p in an Vernichtung, »Tödtung« dieser
»Teufel«, welche sie so lange in abergläubischer Furcht als