
welche dieses Recht anerkannte, und auf einem sogenannt »eigenhändigen
« kaiserlichen Rescript65) desselben Inhalts, ehe er die
Räumung von T s u - sa n vollzog. Nach derselben verschlimmerte
sich die Lage der Fremden in K a n - t o n ; der unbändige seiner
Macht bewusste Volkswillen suchte beständig Anlass zu blu-
i8ie. tigen Reibungen. Im Juli 1846 griff der Pöbel nach einer gewöhnlichen
Schlägerei mit verzweifelter Wuth die Wohnungen der Engländer
und Americaner an; diese brauchten ihre Feuerwaffen und
vertrieben die Chinesen, deren mehrere auf dem Platze blieben.
Drei Stunden lang gaben die Sicherheitsbehörden kein Zeichen ihres
Daseins und wären vielleicht gar nicht eingeschritten, wenn der
Pöbel gesiegt hätte. K i - y in musste in solchen Fällen der Volksstimmung
Rechnung tragen und forderte nach dem damals allgemein
zeltend gewordenen Grundsätze L in ’s »Barbaren & o durch Barbaren zu
bezwingen«, wieder ausschliesslich von den Engländern Sühne für
das vergossene Blut. Davis aber verweigerte, wie immer, jede Bestrafung
des in der Nothwehr begangenen Todtsclilages.
Im October desselben Jahres wurden aus vielen Wunden blu-'
tend zwei englische Matrosen in das Consulat getragen, welche man in
abgelegene Gassen gelockt, dann geprügelt, gesteinigt und mit Messern
verletzt hatte. Der Consul forderte von K i - y in vergebens
Bestrafung der Schuldigen; die Erbitterung des Volkes war zu
mächtig. »Wenn ein Menschenleben verloren geht,« lautete eine
öffentliche Kundgebung der Volksmänner, »und die Provinzial-
Beainten die geringste Partheilichkeit bei der Untersuchung zeigen
oder in ihren amtlichen Berichten von den Aussagen der Verwandten
des Erschlagenen abweichen, so müssen diese Beamtem
sofort dem Kaiser angezeigt und bestraft werden. Aber noch
grössere Strenge muss walten, wo das Leben von Chinesen mit
dem von Fremden in Vergleichung kommt; tödtet ein ausländischer
Teufel einen Chinesen, so soll dafür das Leben von zwei Ausländern
verfallen sein. Im 5. Mond (Juli) des gegenwärtigen Jahres
wurden über zwanzig Chinesen6“) von den fremden Teufeln gemordet
65) Die Aeusserungen des kaiserlichen Willens sind in China weder Holographe
noch Autographe, Der Kaiser macht in Zinnoberschrift Randbemerkungen zu
den an ihn gerichteten Eingaben, oder Entwürfe, welche, in einer bestimmten Form
redigirt, mit einem der kaiserlichen Siegel Versehen und in ein gelbseidenes Couvert
gesteckt werden. Das sind die sogenannt eigenhändigen Rescripte.
66) Nur drei wurden getödtet.
und ihre Leichen in den Fluss geworfen, um im Bauch der Fische
begraben zu werden. Und doch behandelt die hohe Obrigkeit die
Sache als wenn sie nicht davon gehört hätte, und sieht die ausländischen
Teufel als Götter an, vor welchen nichts dunkel ist; die
Chinesen aber schätzt sie gleich den Bestien und betrachtet Menschenleben
so verächtlich, wie Härchen auf einer Mütze, Stäubchen die
man wegblasen kann. Sie berichtete weder dem Kaiser darüber,
noch traf sie hier die nöthigen Maassregeln. Das gesammte Volk
klagt und stöhnt, und sein Kummer dringt in das Mark der
Knochen, ywi Alle öffentlichen Vereine glühen von Eifer und ein-
müthigem Hass gegen die fremden Teufel, und da kein anderer
Ausweg bleibt, so sind sie zu Bestimmung eines Tages gezwungen,
an welchem sie hervortreten und selbstständig handeln werden. Um
kurz,zu sein: der Bürgschaftskaufmann M i n - k w a 67) soll aufgefordert
werden, die am Kampfe betlieiligten Haupt- und Nebenpersonen
unter den ausländischen Teufeln zu nennen, auf dass sie mit Feuer
verbrannt werden können; oder es müssen Schritte geschehen, um
sie zu ergreifen, damit kein einziges Chinesen-Leben ungerächt
bleibe; —- denn sonst möchten die fremden Teufel ganz toll und
unbändig werden, und die Würde unseres himmlischen Reiches
wäre schwer verletzt. Sollte M i n - k w a , auf Gewinn bedacht, die
ausländischen Teufel schützen und ihre schleunige Nennung verweigern)
so wollen wir nicht rasten bis wir sein Fleisch essen und
auf seiner Haut schlafen, was des ganzen Volkes Herz innig treuen
würde.«
Diese Stimmung68) musste Einfluss üben auf die Haltung des
K i - y i n , welcher damals den auf Sicherung der Fremden zielenden
Anträgen des englischen Consuls mit ungewohnter Grobheit begeg-
nete. Es handelte sich um bauliche Veränderungen zu Erschwerung
67) Bei seinem Hause entstand die Schlägerei.
68) Auch in Macao documentirte sich die Erbitterung. Ein neuer Gouverneur
von energischer Sinnesart, Senhor Amaral, suchte damals die Colonie zu heben, indem
er Ordnung in, die Verhältnisse brachte;. Er schrieb u. a. eine Steuer auf chinesische
Boote aus. Die Schiffer vereinigten sich zu entschlossenem Widerstande,
landeten bei der Stadt mit einer'Kanone und nahmen eine drohende Haltung an.
Der Gouverneur fürchtete Gewalt und bat Sir John Davis um Unterstützung, auf
dessen Veranlassung die Dampf-Fregatte Vulture sich vor die Stadt Macao legte.
Die Chinesen wussten nicht, dass die englische Regierung, eingedenk der früheren
Chicanen, jede active Unterstützung verboten hatte, und standen von weiteren Gewaltschritten
ab. Der Gouverneur aber, der nur einen Arm hatte und sich nicht
wehren konnte, wurde bald nachher auf einem Spazierritt ermordet.