
Stadt S u n - k ia n wegen seichten Wassers umkeliren musste, so
berichtete der dortige Commandeur einen grossen Sieg nach Pe-kin.
Der Kaiser liess sich noch einmal täuschen und wurde in seinem
Wahn durch die Bewegungen der Engländer bestärkt, welche am
23. Juni S h a n g - h a f . schon wieder räumten.
Die damals im Y a n - t s e - k ia n versammelte Streitmacht bestand
aus fünfzehn Kriegsschiffen, fünf Dampfern und beinahe
fünfzig Transport- und Truppenschiffen. Einschliesslich der Seesoldaten
waren neuntausend Bajonete an Bord, ausserdem dreitausend
exercierte Seeleute zum Dienst am Lande disponibel. —
Während am 8 . Juli das Geschwader bei F o - sa n ankerte, trat eine
totale Sonnenfinsterniss ein; der chinesische Aberglauben zog
daraus seine Schlüsse. K i - y in rückte mit seiner durch Desertionen
stark reducirten Armee den Engländern langsam nach; aber ein
ernster Versuch das Geschwader aufzuhalten wurde nirgends
gemacht, so passende Stellen sich dazu boten. Die Tiefe
und Schiffbarkeit des Stromes übertraf alle Erwartungen; von
W u - s o n bis N a n - k i n , auf eine Entfernung von fünfzig deutschen
Meilen, war das Fahrwasser tief genug für grosse Linienschiffe.
Einige unbedeutende Schanzen feuerten auf das Geschwader, wurden
aber leicht zum Schweigen gebracht; andere fand man verlassen.
Unterhalb T s i n - k ia n - f u beherrschten günstig gelegene
Erdwerke eine Wendung des Stromes; sie hätten, wirksam ver-
theidigt, den Lauf der Schiffe wohl aufhalten können; die Besatzung
feuerte aber nur wenige Schüsse und lief vor den gelandeten
Truppen davon. Die Werke von T s i n - k ia n - f u gaben keinen
Schuss ab, als am 19. Juli das englische Geschwader davor
ankerte.
In dieser wichtigen Festung, dem Schlüssel zum Kaiser-
Canal, commandirte ein braver Tartar, der umsonst Verstärkung
und Solderhöhung für seine Truppen verlangt hatte. Die Besatzung
war ganz unzureichend. IIa e - e in hielt mächtige Brander und
F'euerflosse bereit, die nur, zu früh angezündet, in dem Canal verbrannten,
wo sie geankert lagen. Auch missglückten alle Versuche,
brennende Dschunken an die Schiffe zu hängen. — Am Morgen des
21. Juli wurden die englischen Truppen ausgeschifft. Eine Colonne
stürmte das nordöstliche Stadtthor, fand jedoch innerhalb heftigen
Widerstand und brauchte mehrere Stunden heissen Kampfes, um
das westliche Thor zu gewinnen, das die zweite Colonne nach
langem Marsch durch die Vorstädte nahm. Der Strassenkampf
wurde mit Erbitterung fortgesetzt; die Tartaren vertheidigten sich
hartnäckig in Häusern und hinter Gartenmauern; viele Gebäude
mussten in Brand geschossen werden. Da Alles verloren war, verbrannte
I I a e - l i n sich in seinem Hause auf einem aus Holz und
amtlichen Schriften aufgethürmten Scheiterhaufen; man fand nur
den Schädel und die Knochen seiner Füsse. — Nachher begannen
wieder die Greuel unter den Tartaren-Frauen; nur wenige konnten
verhindert werden, sich selbst und ihre Kinder grässlich zu morden.
Den Schlussact spielten die unvermeidlichen Banditen, die auch
hier mit ruchloser Frechheit plünderten.
Die Tartaren hatten sich bis auf den letzten Mann geschlagen;
die ausserhalb der Stadt aufgestellten chinesischen Truppen
jagte die dritte englische Colonne leicht auseinander. Ein grösser
Theil der Stadtmauern wurde gesprengt. — Die Einnahme von
T s i n - k ia n - f u entschied den Krieg; denn die Briten konnten nun
den Kaiser-Canal sperren und, da sie auch die See beherrschten,
die nördlichen Provinzen leicht aushungern. China war in zwei
Hälften zerschnitten, der Süden vom Norden abgetrennt und sich
selbst überlassen; wie leicht mochte dort der Aufruhr,:nein Haupt
erheben! Den alten Wahn von der Unbesiegbarkeit tartanscher
Truppen hatten die Engländer inTsA-pu und T s in - k ia n - f u gründlich
zerstört, und die Mandschu auch dadurch einer wichtigen
Stütze beraubt. •
Der Krieg bewirkte in den von ihm berührten Gegenden
eine Auflösung aller bürgerlichen Ordnung. Fast überall bildet in
China das Proletariat den überwiegenden Theil der Bevölkerung
und wird den besitzenden Classen furchtbar, sobald der Druck der
Autorität aufhört. In den bedrohten Gegenden pflegten die Mandarinen
den Kopf zu verlieren; ihre Bestürzung und Rathlosigkeit
gab dem Gesindel freies Spiel. Tausende von Räubern rotteten
sich zusammen, plünderten das Land und schleppten alle bewegliche
Habe,, ja die Thüren und Fenster mit. fort; andere Banden
fielen über sie her und kämpften mit ihnen um die Beute. Auf
den Gewässern trieben Piraten ihr Handwerk, und nirgends
gab es Sicherheit, bis die englischen Truppen erschienen. Deren
Anwesenheit war überall eine Befreiung für die ruhige Bevölkerung;
denn sie hielten strenge Mannszucht, bezahlten ihre Bedürfnisse
und wehrten energisch den heimischen Banditen. Ihr Betragen