
84 Räumung von T s u - s a n .
er sie angreifen. Er hat sich aber von den Barbaren bestricken
lassen und nicht einmal seine Amtsgenossen zu Ratlie gezogen.
Den Engländern H o n g - k o n g abtreten, damitsie es zum-Waffenplatz
machen und dort Festungswerke bauen, und ihnen die Fortsetzung
des Handels in K a n - t o n erlauben, geht über alle Grenzen der
Vernunft hinaus. Warum liess er sie von der Insel Besitz ergreifen?
Gehört nicht jeder Zollbreit Landes und jeder einzelne Unter-
tlian dem Staat? Und doch wagt er, solche Gnaden für die Barbaren
zu erflehen und verbreitet sich obendrein über den erbärmlichen
Zustand von K a n - t o n , um unsere Zustimmung zu erlangen.
Wie gross ist K i - s e n ’ s Anmaassung und Schamlosigkeit! Er soll
degradirt, in Ketten gelegt und unter Bedeckung nach P e - k in
o-eführt, alle seine Besitzthümer sollen sofort eingezogen werden.
« Noch an demselben Tage wurde mit der Confiscirung begonnen.
Man schätzte K i - s e n ’ s in den höchsten Aemtern angehäuftes
Vermögen auf acht Millionen Pfund Sterling, fand aber bei
der Einziehung weit mehr. Das Alles verschwand auf den Wink
des Monarchen. Als dessen alter Günstling mit Ketten beladen nach
P e - k in kam, konnte er kaum hundert Kupferpfennige auftreiben, um
sich Nahrung für den Kerker zu kaufen; seine Frauen und Genossinnen
wurden öffentlich versteigert.
T s u - s a n räumten die britischen Truppen auf Elliot’s voreilige
Weisung am 24. Februar, nachdem im Süden die Convention
schon den Tag zuvor gebrochen war. Der Kaiser erliess,
durch lügenhafte Berichte gereizt, ein donnerndes Decret, worin
die Engländer der Gewalt gegen Frauen und der gemeinen
Räuberei beschuldigt wurden; sie hätten sich ferner herausgenom-
raen, auf der Insel Befestigungen anzulegen, einen Canal zu graben
und durch einen vorgeblichen Mandarin Steuern erheben zu lassen.
»Nach ihren Gewalttliaten an der Flussmündung bleibt nichts
übrig, als sie zu vernichten. Da Götter und Menschen gleich entrüstet
sind über so ruchlose Geschöpfe, so kann ihre Vertilgung
nicht fern sein.« Von Frieden durfte Niemand reden; T a u - kw a n
betheuerte, ein Volk wie die Engländer dürfe nicht leben.
Der Pöbel in K a n - to n forderte nach dem ersten Schrecken
in wilder Verblendung die Fortsetzung der Feindseligkeiten und
verfluchte offen die Anknüpfung von Verhandlungen. Als nach
dem Bruch der Convention bekannt wurde, dass die Engländer die
Werke an der Bocca angreifen wollten, brach das Volk in lauten
Jubel aus und zog in hellen Haufen hin, ihre Vertilgung mit
anzusehen: die Uferhänge bedeckten sich mit Tausenden.
K i- s e n , dem sein Schicksal noch unbekannt war, liess am Vorabend
des Kampfes fünftausend Dollars unter die chinesischen Truppen vertheilen
und versicherte in einer Ansprache die Bewohner von K a n - t o n ,
dass alle Zugänge zur Stadt gut bewacht und ungefährdet seien. —
Am 26. Februar legte Sir Gordon Bremer sein verstärktes Geschwader,
in welchem sich drei Linienschiffe, mehrere 1 re.gal.ten
und Dampfer befanden, vor die Werke an der Bocca und schoss
sie zusammen. Die landenden Truppen fanden wenig Widerstand.
Den braven Admiral K w a n durchbohrte das Bajonet eines Marinesoldaten;
sein Heldenmutli fand aber wenig Nachfolge.34) In einer
Strand-Batterie bemächtigten sich sogar die Officiere, als das
Feuer zu heiss wurde, der vorhandenen Boote und ruderten davon;
die Mannschaft aber kehrte die Geschütze gegen ihre fliehenden
Vorgesetzten. — Die chinesischen Truppen bestanden im Auswurt
der Bevölkerung; nur auf die Ueberzahl setzten die I¡ihrer ihr
Vertrauen. Von Disciplin und Waffenübung hatte mau kaum eine
Ahnung; die Geschütze wurden oft bis zur Mündung vollgestopit
und richteten dann platzend grosse Verheerung an.
T a u - k w a n ’ s Bestürzung über die neue Niederlage ze'gt sich
in dem gleich darauf erlassenen Aufgebot an fünftausend Mann aus
den acht Tartarenbannern. Diese gelangten niemals nach K a n - t o n ,
sondern blieben zum Schutze der Hauptstadt im Norden. Mit dem
Oberbefehl im Süden hatte der Kaiser ein Triumvirat betraut:
seinen Neffen und Günstling Y i - s a n , den Mongolen L u n - w u n und
den siebzigjährigen Y a n - f a n ; nur dieser hatte die militärische
Laufbahn gemacht und sich im Kampf gegen den einheimischen
Gebirgsstamm der M i a o - t s e ausgezeichnet. Y a n - f a n traf gleich
nach der Niederlage an der Bocca mit einem Truppenkörper in
K a n - to n ein und detachirte zweitausend Mann flussabwärts gegen die
Engländer. Deren leichtes Geschwader unter Sir Thomas Herbert,
richtete aber am 1. März grosse Verwüstung unter ihnen an und
sprengte ein europäisches Schiff in die Luft, das die Chinesen gekauft
und zum Kampf gegen die Engländer gerüstet hatten. Darauf
berichtete Y a n - f a n seinem Herrn: »Die Soldaten aus H o - n a n
haben den Barbaren eine Schlacht geliefert, in der sie viele tödteten
34) j)as englische Flaggschiff feuerte einen Trauersalut, als K wan s Leiche am
folgenden Tage abgeholt wurde.