
wurden, dass Vortheile, die der höher gebildete Chinese nur durch
angestrengte Arbeit erringen konnte, dem rohen Tartaren als un-
gesäte Früchte seiner Abstammung in den Scliooss fielen. Dieses
Missverhältniss wird eben so lange bestehen wie die Mandschu-
Regierung und scheint selbst in den glänzendsten Zeiten ihrer
Herrschaft eine Wurzel nagenden Grolles gewesen zu sein. Der
chinesische Staat beruht wesentlich auf dem Princip, dass die
sittliche Weltordnung durch sittliche Mittel zur Geltung gebracht
werden muss, nicht durch Willkür und Gewalt. Nur diese,
das tiefste Volksbewusstsein durchdringende Macht hält das
colossale Reich zusammen. In d ie s em Sinne nennt Meadows die
chinesische die höchste Gattung von Cultur. Unter der glänzenden
Herrschaft des .K a n - g i und des K ie n - l o n , welche Jeder
60 Jahre regierten, hob China sich zu hoher Blüthe. Beide
waren sparsam in Verleihung der Aemter an ihre Stammgenossen.
Dennoch gab es in allen Provinzen tartarische Beamte und tarta-
rische Garnisonen, welche den Chinesen in aller bürgerlichen Glückseligkeit
immer wieder an das fremde Joch erinnerten. Am lebendigsten
blieb dieses Gefühl in den südöstlichen Provinzen.
F u - k ia n und K u a n - t u n sind Küstenlandschaften, durch
hohes Gebirge vom übrigen China geschieden. Nur wenige schwierige
Pässe vermitteln den Verkehr. Der Nordhang des Gebirges
sendet seine Gewässer in den Y a n - t s e , der Südhang nach den
mit tausend Inseln gesäumten Küsten. Etwa T s u - sa n gegenüber
tritt der östliche Vorsprung der Berge in das Meer; der südliche
Theil von T s e - k ia n gleicht seiner Natur nach F u - k ia n . Nördlich
liegen ungeheuere Ebenen, und die Küsten, meist angeschwemmtes
Land, sind fast hafenlos; südlich giebt es wenig ebenes Land und
eine grosse Zabl vorzüglicher Häfen und Buchten. — K u a n - s i ist
Binnenland; der bei K a n - t o n fliessende T s ü - k ia n oder Perlfluss
entspringt in seinen unwegsamen Gebirgen. Deren Urbewohner, die
M ia o - t s e , wurden von keiner chinesischen Dynastie vollständig
bezwungen und bewahren noch heute ihre eigenthümliche Tracht
und Sitte. In den Thälern leben Eingewanderte aus K u a n - t u n .
Die Bewohner dieser Provinz und der Landschaft F u - k ia n sind
ein beherzter, unternehmender Schlag, sehr verschieden von dem
stätigen, an der Scholle klebenden Chinesen der grossen Ebenen
in Norden. Ihre buchtenreichen Gestade haben sie von jeher auf das
Meer getrieben; namentlich gehen aus F u - k ia n beständig starke
Züge nach der Malacca-Strasse, den Sunda-Inseln, Siam, Cochm-
china, den Philippinen, Formosa und Californien. Die Männer von
K u a n - t u n und F u - k ia n sind abgehärtete, kühne und ausdauernde
Seeleute; viele leben ganz vom Fischfang. Seeräuberei und
Schleichhandel, welchen die Vorgebirge und Inseln tausend
sichere Schlupfwinkel bieten, werden hier schwerlich ausgerottet
werden.
Die letzten Prinzen des M i n -Hauses sollen in die rauhen
Gebirge von K u a n - s i geflüehtet sein; im südchinesischen Volke
lebte der Glauben fort, dass von dort aus ein kaiserlicher Sprosse
das Reich einmal vom Barbarenjoche befreien werde. Seit der
Unterwerfung bestanden in den drei Provinzen geheime Gesellschaften
mit politischer Tendenz; die wichtigste war der Dreifaltig-
keitsbund, dessen Wahlspruch F a n T s in F u M i n , »Nieder mit den
Mandschu, hoch die M in «, deutlich genug ist. Die Mitglieder oder
»Brüder« verpflichteten sich nach Art der Freimaurer zu gegenseitiger
Hülfe und lockerten dadurch ihre Beziehungen zur Familie
und°bärgerlichen Gesellschaft; oft traten sie als mächtigö Räuberbanden
auf, welche zur See wie zu Lande die bestehende Ordnung
befehdeten und den Provinzialbehörden Jahre lang zu schaffen
machten. War der politische Zweck hier auch nur Deckmantel,
so wurde er doch niemals vergessen; der Bund bildete einen
Stamm, um den sich alle Unzufriedenen schaarten.
Den grössten Theil des 18. Jahrhunderts hindurch scheinen
die geheimen Gesellschaften sich nach aussen wenig geregt zu
haben; aber in den letzten Regierungsjahren des K i e n - l o n brachen
Unruhen in mehreren Provinzen aus. K i a - k in musste bei seiner
Thronbesteigung einen Frieden mit den M ia o - t s e schliessen, der
viel Geld kostete. Seine Hofhaltung verschlang ebenfalls grosse
Summen; er scheint zuerst denVerkauf von Aemtern eingeführt zu
haben, welcher den berechtigten Stolz der studirten Chinesen auf
das tiefste verletzte und dem Ansehen der Mandschu neue Wunden
schlug. — In den ersten Jahren dieses Jahrhunderts erhoben
sich die Unzufriedenen in mehreren Provinzen; ein grösser Theil
des Reiches wurde von zahlreichen Schaaren der Aufrührer und
den schlecht bezahlten kaiserlichen Soldaten verwüstet. Die
rebellischen Bewegungen scheiterten damals mehr an mangelnder
Lebensfähigkeit, Organisation, Führung und am Widerstande der
besitzenden Classen, als an der Macht der kaiserlichen Heere,