
wolinend, gehörte er gleichsam einem anderen Elemente an8). —
Der Kaiser ist nach der uralten Weltanschauung der Chinesen der
Sohn des Himmels » T i e n «. Dieses Wort bedeutet übertragen Vorsehung,
Weltordnung, ewige Gerechtigkeit, und bezeichnet so ganz
das höchste geistige weltregierende Princip, dass die Jesuiten gewiss
mit Recht den Ausdruck »Gott« durch » T i e n « übersetzten.
Zur vollen Gleichbedeutung mit dem monotheistischen Begriff fehlt
ihm allerdings, aber auch nur eine einzige Eigenschaft: es drückt
nicht den p e r s ö n l ic h e n Gott, den b ew u s s t e n Willen aus.
Diesen Begriff kennen die Chinesen nicht; sie haben ihn, wie es
scheint, verloren9). T ie n bezeichnet die Ewigkeit, Vollkommenheit,
Unendlichkeit, sittlich das höchste Gute, Wahre, Rechte, die un-
umstössliche Weltordnung, und in d ie s em Sinne ist der chinesische
Kaiser der erwählte Sohn, der Vertreter des Himmels, berufen,
die Welt zu regieren, die göttliche Ordnung auf Erden aufrecht
zu halten; er ist nicht nur der rechtmässige Beherrscher von
China, sondern der vom Himmel eingesetzte Herr der Welt, sein
Willen unumschränkt und unantastbar.
Als erwählter Sohn des Himmels ist nun der Kaiser nicht
nur absoluter Herr, sondern er ist auch für das Wohl und Wehe
des Reiches, — der Welt, — und das Glück seiner Unterthanen -II
aller Menschen verantwortlich. Alles Unheil, das dieselben von
aussen betrifft, verschuldet der Kaiser. Lebt er nicht mehr im Einklänge
mit der himmlischen Weltordnung, so werden die Menschen
heimgesucht; dann thut der Herrscher Busse, legt ein öffentliches
Schuldbekenntniss ab und strebt, sich durch Opfer und Gebet wieder
in Harmonie mit der höchsten Wesenheit zu setzen. Grosse
Calamitäten, welche das Reich betreffen, sind ein Zeichen, dass der
Kaiser nicht mehr der Erwählte des Himmels, in monotheistischem
Sinne ausgedrückt, »dass die göttliche Gnade von ihm gewichen
ist«. Nicht nur Bedrückungen und Invasionen, sondern auch Misswachs,
Erdbeben, Ueberschwemmungen und andere Paroxysmen
der Natur haben, als Zeichen, dass nicht der rechte Himmelssohn
*) Der holländische Gesandte, welcher 1654 nach P e - kin kam, soll in der
Audienz allen Ernstes gefragt worden sein, wie lange seine Landsleute unter Wasser
leben könnten. Bis 1860 glaubte man dort an die Seehundsnatur der Engländer.
9) S a n - t i , welchen chinesische Kaiser der grauen Vorzeit- anbeteten, muss, ursprünglich
als einiger allmächtiger Gott gedacht worden sein. Die Philosophenschulen
deuteten später den Namen theils atheistisch, theils deistisch,
auf dem Throne sitzt, in China zu Aufständen und zum Sturze von
Dynastieen geführt. Legitimität in unserem Sinne kennt die chinesische
Anschauung nicht; durch seine Geburt hat Niemand ein
Recht auf den Thron, und die Primogenitur hat gar keine Bedeutung.
Als erwählter Himmelssohn muss aber der Kaiser am besten
wissen, wer berufen und würdig ist, sein Nachfolger zu werden;
er wählt denselben natürlich unter seinen Söhnen und Agnaten,
denn die Familie des Erwählten ist selbstredend auch die vornehmste,
die vorzüglichste des Reiches. Nur in diesem Sinne ist
der Thron von China erblich. Der Kaiser ernennt seinen Nachfolger
im Testament; dieser hat aber erst durch seine Handlungen
und durch den Segen, den er über das Reich verbreitet, zu beweisen,
dass er wirklich der Erwählte des Himmels ist. Das Volk
glaubt es, so lange es ihm wohl geht. Wird es aber von Unheil
betroffen, so folgt es leicht jedem Führer zum Kampfe gegen den
vermeintlichen Usurpator, der, unberufen auf dem Throne sitzend,
das Verderben des Reiches verschuldet. Das hereintrebrochene
Unheil beweist ja , dass die Verbindung mit der lenkenden Weltordnung
unterbrochen ist. Der Kaiser allein darf zum Himmel
beten; als dessen Vertreter regiert er das Volk. Sitzt nun ein
Ialscher auf dem Throne, so ist der Aufruhr berechtigt, geboten.
Rebellen kämpfen mit dem Fanatismus von Gottesstreitern, die berufen
sind, den Willen der Vorsehung durchzusetzen, das Reich
von dem unrechtmässigen, weil nicht mehr begnadigten Herrscher
zu befreien und den rechtmässigen, erwählten Himmelssöhn auf den
Thron zu setzen. Das ist, abgesehen von den menschlichen Leidenschaften,
auf deren Boden ja die meisten politischen Bewegungen
wurzeln, der ostensible Zweck aller chinesischen Rebellionen und
die Idee, welche die Massen treibt, für die Selbstsucht der Führer
ihr Leben zu lassen. So viele Umwälzungen es im Laufe der Jahrtausende
in China gegeben hat: die unumschränkte' Macht des
Herrschers ist niemals, vielleicht auch nicht in Gedanken angetastet
worden. Das politische Grundprincip steht auch heute noch unangefochten
da und wurzelt so tief im Bewusstsein des Volkes, vor
allem der, gebildeten Classen, welche seinen Kern bilden, dass man
sich über den fremdenfeindlichen Fanatismus der altchinesischen
Partei nicht wundern darf. Die einheimischen Umwälzungen waren
immer nur Rebellionen, niemals Revolutionen; sie richteten sich niemals
gegen ein politisches Princip, sondern immer nur gegen Per