Beti-achten wir das Billardspiel etwas genauer. Gegeben ist uns ein Mechanismus.
der sich zusammeusetzt aus den auf ebener Tafel ruhenden Kugeln und einer
Betriebskraft, die als potentielle Enei'gie in den Muskeln des Spielers ruht. Diese
Muskeln sind Akkumulatoren und zugleich Transformatoi'en von Energie, was beides
zum Wesen einer Mascliiuenleistung gehört. Unwillkürlich denken wir an ein Automobil,
das durch einen Akkumulator elekti'ischer Energie betrieben wird, die sich fortwährend
in die mechanische Energie des bewegten Fahrzeuges nmsetzt.
Zn Beginn des Spiels liegen die Kugeln in einer Anfangskontiguration. Dann
wird durch den Stoß ein Teil der gespeicherten Muskelenergie in mechanische Energie
verwandelt, die den Kugeln eine Bewegung ei'teilt, die durch die Reibung am Tuch
in Wärme übergeht; ist die ganze durch den Stoß auf die Kugeln übertragene
Energiemenge zu Wärme geworden, so liegen die Kugeln wieder still, die Endkon-
fignration einer Phase ist erreicht. Durch Wiederholung solcher Phasen wird das
Spiel zu Ende geführt.
Die Dynamik des ganzen \ ’organges liegt klar vor Augen. Die Analyse
einer einzigen Phase genügt, um sie aufzuzeigen, etwa der letzten Phase einer Partie.
Das Endergebnis hängt ab von drei bemerkenswerten Kausalbeziehungen. Erstens
von der Anfangslage der Kugeln; zweitens von der Energie des Stoßes, die nach dem
ersten Hauptsatz der Energetik quantitativ gleich ist der dafür verb]-auchten Muskelenergie
und der durch die Reibung der Kugeln erzeugten Wärme. Die dritte Kausal-
beziehimg ist zugleich eine Einalbeziehung; es ist die der angestoßenen Kugel erteilte
Ri cht u ng, die äußerst genau bestimmt sein muß, damit das Ende der Partie erreicht
wird. Während die im Stoß den Kugeln mitgeteilte Energiemenge auch von einem
Automaten geliefert werden könnte, ist ein die Stelle des Spielers vertretender genau
zielender Automat unvorstellbai-. In der zielenden Tätigkeit des Spielers tritt ein
speziüsches Lebensprinzip zum Mechanismus des Spiels hinzu, ohne welches die Durchführung
einer Billardpartie undenkbar wäre.
Nicht unähnlich ist der Gang der Lebenserscheinungen bei Pflanzen und
Tieren. Das Leben beruht auf Bewegungen, die an einem Mechanismus, einer
Maschine, dem Tier- oder Püanzenkörper ablaufen. Pflanzen und Tiere sind, wie alle
von Menschen gefertigte Maschinen, Transformatoren und Akkumulatoren von Energie.
Wie in den Maschinen sind auch in Tieren und Pflanzen die einzelnen Teile und die
von diesen abhängigen Phasen des ganzen Lebensprozesses final genau aufeinander
abgestimmt; sie würden sonst die so komplizierte Lebensbewegung nicht durchführen
können. Darauf möge etwas näher eingegangen werden.
Die grünen Blätter der Pflanzen sind Transformatoren des ihnen zustrahlenden
Sonnenlichts, also einer besonderen Energieform, in chemische Energie, die im Innern
der Pflanze gespeichert wird. Gewisse Organe der Pflanze, die man sonst auch
Reservestoffbehälter nennt, wie die Knollen und Samenkörner, können als Akkumulatoren
chemischer Energie angesehen werden. Solche Organe sind es besonders,
die den Tieren und dem Menschen zu ihrer Ernährung dienen. Wir erwachsenen
Menschen können von solcher Pflanzenkost leben; sie bedeutet für uns nichts weiter
als die Zuführung chemischer Energie, die im Innern unserer Gewebe wieder in
mechanische Energie umgewandelt wird, um die Lebensbewegungen unserer Zellen
zu unterhalten, wie die Bewegung einer Lokomotive durch Verzehrung der Steinkohle
unterhalten wird, die gleichfalls gespeicherte chemische Energie ist.
Doch die Pflanzen arbeiten in der angedenteten Weise nicht bloß für das
Wohlergehen der Tiere, sondern die Pflanzenzellen selbst müssen einen Teil der von
ihnen dm-ch Umwandlung von Sonnenenergie erworbenen chemischen Energie durch
Atmung verzehren, um die Betriebskraft zur Unterhaltung der eigenen Lebensbewegungen
zu haben. Auch sonst finden wii- im Innern der Pflanze eine unausgesetzte
Umbildung von Energie. Wo immer z. B. ein Stärkekorn abgelagert wird,
ist es ein Vorgang der Akkumulation von Energie; wird dies Stärkekorn später wieder
in Zucker verwandelt und dieser in der Atmung verbrannt, so ist das eine weitere
Transformation von Energie. Kurz, eine Fülle energetischer und zugleich maschineller
Prozesse tritt uns im Pflanzenleben entgegen, deren Reihe immer damit endet, daß
Stoffe mit einem Minimum von Energieinhalt, wie Kohlensäure und Wasser, entstehen
und die chemische Energie schließlich in Wärme übergeht, wie die mechanische
Energie der bewegten Billardkugeln.
Doch die energetische Betrachtung des Stoffwechsels, wobei die verbrennlichen
Kohlenstoffverbindungen des Organismus lediglich als Arbe i t s s t o f f e zur Geltung
kommen, ist eine einseitige. Ein Teil jener Vei’bindungen findet auch als Baumaterial
Verwendung, überall dort, wo Keime von Tieren und Pflanzen sich entwickeln, wo
Wachstum irgendwelcher Art voi'kommt, was ja bei Pflanzen nur ausnahmsweise zu
völligem Stillstände gelangt. In jenen Vorgängen dei- Entwicklung und Fortpflanzung
treten uns ganz neue Erscheinungen entgegen.
Während der Stoffwechsel es gestattete, die Tiere und Pflanzen als Maschinen
zu betrachten, versagt dieser Gesichtspunkt gegenüber der Fortpflanzung und Entwicklung.
Der einfachste Fortpflanzungsprozeß ist die Teilung einer Zelle in zwei Tochterzellen.
Die Zelle ist hinsichtlich ihres Stoffwechsels eine Maschine; doch eine komplizierte
Maschine, die sich durch Teilung verdoppelt, gibt es nicht. Wenn ein Apfelbaum
eine mikroskopische Keimzelle ahsondert und diese zu einem neuen Apfelbaiim sich
entwickelt, so ist das kein maschineller Prozeß; eine Maschine, die das vermöchte, ist
undenkbar. Darum sind die Pflanzen und Tiere zugleich Maschinen und Nichtmaschinen;
das letztere rechtfertigt den Begriff des Organismus, der in Wesen und
Eigenschaften weit über die Maschinen hinausragt und eine besondere Gattung von
Geschehenseinheiten darstellt.
Hier ist der Punkt, wo die Hypothese mit ihren Ergänzungen des Naturbildes
einsetzt. Indem sie von der Vo rau s s e t zun g ausgeht, daß das mechanische Geschehen,
wie es die Welt des anorganischen ausinacht, das einfachere sei, glaubt sie hypothetisch
auch die Vorgänge der Fortpflanzung und der Entwicklung auf ein mechanisches
Geschehen zurückführen zu sollen, das wir in seinen Einzelheiten nur noch nicht
hinreichend durchschauen. Durch solche Hypothese wird das Leben als ein Spezialfall
dem anorganischen Geschehen einznreihen versucht.
Man hat dies die Maschinentheorie des Lebens genannt. Eine solche Theorie
verknüpft durch mehr oder minder gut begründete Ergänzungshypothesen eine größere