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samen Gemenge von arktischen, alpinen und kontinentalen Arten, me es mit der Annahme
harmonieren würde, daß die Tundren, welche sich zwischen das nordische Inlandeis
und die alpine Vergletscherung einschalteten, nach Osten in ein Steppengebiet
unmittelbar übergingen. Noch aber fehlen durchaus die Reste fossiler Pflanzen aus
dem osteuropäischen Löß, welche eine eiszeitliche Steppenzeit in ähnlicher Weise
erweisen würden, wie die Glazialflora eine eiszeitliche Tundrenzeit.
Begleitete ein Steppensaum den Südrand der großen nordischen Vereisung,
so mußte derselbe im Westen direkt an die Tundren des germanischen Mitteleuropa
anstoßen, während er im Süden an Waldgebiete grenzte. Es fehlen noch alle Anhaltspunkte
dafür, ob man solche im nördlichen Rußland an den lößbedeckten politischen
Gestaden anzunehmen hat, dagegen läßt sich wohl kaum daran zweifeln, daß die
Steppen im pannonischen Gebiete durch Wahiinselii unterbrochen gewesen sind, welche
sich hier, wie auch sonst in Steppenländern an die Gebirge knüpfen. Die niederen
Partien des langen Zuges der Kariiathen und transsylvanischen Alpen, glauben wir,
waren bewaldet, und gleiches dürfte vom Ostfuße der Alpen gelten, wo der Löß bei
weitem nicht so bedeutend entfaltet ist. als weiter nördlich.
Wie im mittleren, lag auch im südlichen Europa die eiszeitliche Schneegrenze
ganz erheblich tiefer als die heutige. Die A"erfolgung der alten Gletscherspuren im
nördlichen Mittelmeergebiete hat manches überraschendes einschlägjges Ergebnis geliefert.
Ganz auffällig tief lag die Schneegrenze allenthalben an den Westseiten der drei südeuropäischen
Halbinseln. Auf den Kämmen der dinarischen Gebirge senkte sie sich
längs der Adria stellenweise auf 1200 m Meereshöhe herab; ähnlich tief lag sie über
dem nördlichen Apennin und den apuanischen Alpen am Saume des Tyrrhenischen
Meeres, endlich am Westgestade der Iberischen Halbinsel auf der Serra da Estrella.
Dagegen lag sie im Innern der größeren Halbinseln ganz erheblich höher, auf der
Sierra de Guadarama und auf dem Rilagebirge in über 2000 m Meereshöhe. Solche
Gegensätze treffen wir allenthalben in Gebirgen, welche sich dem herrschenden Regenwinde
entgegenstellen; an ihrer Regenseite sinkt die Schneegrenze tief herab und
steigt an ihrem Lee hoch empor. So unterrichtet uns die außergewöhnlich tiefe Lage
der Schneegrenze an den Westseiten unserer Halbinseln, daß hier zur Eiszeit kräftige
Westwinde wehten, und solches dürfen wir nach der mutmaßlichen Verteilung des
Luftdruckes über Europa während der Eiszeit erwarten. Entwickelte sich über dem
Bereiche des nordischen Inlandeises ein Luftdruckmaximum, so waren die jetzt von den
Luftdruckminimis beliebteren Ziigstraßen Nordsee oder Nordmeer-Ostsee (II, I I I und IVj
gesperrt; sie mußten entweder am Westsaum des Inlandeises nordwärts entlang gleiten,
also die heutige Zugbahn I benutzen, oder das Inlandeis im Süden umgehen, wobei
sie gewiß den Weg über die AVasserflächen ebenso bevorzugten wie heute. Die hier
entlang führende Zugstraße V wird während der Eiszeit einen guten Teil der Luftwirbel
an sich gezogen haben, die heute auf den Straßen II I und IV dahin wandern B.
1 ) Auf eine starke Benutzung von Zugstraße A" während der Eiszeit folgerten auch H a r m e r
(Influence of winds upon climate during the pleistocene epoch. Quart. Journ. Geolog. Soc. 1 9 0 1 ,
A^ol. LVII, p. 4 0 5 und E. G e i n i t z (Wesen und Ursache der Eiszeit. Archiv d. A^er. d. Freunde d.
Naturgesch. in Mecklenburg, 1 9 0 5 , Bd. LIX.)
und häuflger als heute waren im nördlichen Mittelmeergebiete die regenbringenden
südlichen und westlichen Winde. So ergibt sich dann für die Gebiete südlich vom
nordischen Inlandeise genau dasselbe, was wir heute am antarktischen Inlandeise sehen:
die unmittelbar am Eise wehenden Ostwinde wurden weiterhin durch Westwinde abgelöst,
lind es herrschten an den Westküsten der südeuropäischen Halbinseln während
der Eiszeit ähnliche klimatische Verhältnisse wie heute im westlichen Patagonien, in
Neuseeland, im südlichen Alaska: außerordentlich tiefe Lage der Schneegrenze infolge
großen Niederschlagreichtums, die Baumgrenze darunter in kleinst möglichem Abstande,
und hier dann sofort Einsetzen kräftigen Waldes, welcher allerdings nur bis höchstens
800 m gereicht haben dürfte, während er im Innern der Plalbinseln beträchtlich höher,
in der Pyrenäen- und Balkanhalbinsel mutmaßlich bis zu 1200 m anstieg. Das
Mittelmeergebiet erscheint uns nach diesen Darlegungen als das eiszeitliche Waldland
Europas, und wo wir dieses anzunehmen haben, fehlt der Löß. A^on der Straße von
Calais bis zum Schwarzen Meere südlich der Donaumündung verläuft eine auf der |
Nordseite der Alpen sich zungenförmig bis nach Vienne unterhalb Lyon ausbuchtende
Linie, welche einen lößfreien Südwesten Europas von jenen Gebieten scheidet, wo
sich in den Niederungen weite Lößdecken erstrecken, und dieser wird wiederum durch
eine von der Straße von Calais zum mittleren Ural sich ziehenden Linie von einem
Europa geschieden, wo lediglich Gletscherablagerungen den Boden bilden. Letzeres
Europa ist seit der Eiszeit mit Pflanzen neu besiedelt worden; im lößtragenden Europa
treffen wir im Osten und Südosten heute noch, wie vielleicht schon zur Eiszeit, Steppen,
die Tundren des germanischen Mitteleuropas und gallischen Westeuropas haben sich
bewaldet, das Mittelmeer gebiet aber teilweise entwaldet, das sind die großen Veränderungen,
welche das europäische Pflanzenkleid seit der Eiszeit erfahren hat. Es
ist eine A'errückung der einzelnen Vegetationsformationen wesentlich in polarer und
in ansteigender Richtung eingetreten; diese allgemeine Bewegung hat sich aber nicht
auf das sarmatische Europa erstreckt, wenn hier jenes konstante Anhalten von Steppenzuständen
stattgefunden hat, auf die wir mehrfach zu folgern hatten; sie ist jedenfalls
durch die Alpen und Pyrenäen erschwert gewesen, welche der Wanderung
mancher Arten ein unübersteigbares Hindernis darboten, sie war hingegen von seiten
der Balkanhalbinsel her begünstigt, deren Gebirgszüge sich in das pannonische Mitteleuropa
hinein fortsetzen.
Diese große postglaziale Wanderung der Pflanzengürtel hat aber nicht konstant
stattgefunden; der Rückzug der großen Vergletscherungen geschah nicht kontinuierlich,
sondern wurde durch einzelne Halte unterbrochen, welche sich in den Alpen
als kleine A'orstöße des Eises offenbaren: die ansteigende Bewegung der Schneegrenze
seit der Eiszeit beschrieb in den Alpen wenigstens keine einfach ansteigende
Kurve, sondern eine Wellenlinie B, und es flndet sich in den AVestalpen ein Anhaltspunkt
dafür, daß dem letzten Vorstoße des Eises, dem Daunstadium, eine Zeit mit
einem Klima milder als dem heutigen, mit etwas höherer Lage der Schneegrenze
vorausgegangen ist. Diese postglazialen Klimaänderungen gingen im Norden Europas
jeipzig 1901— 1906.
l) Vei-u-l. liierzu P e n c k und B r ü c k n e r , Die Alpen im Eiszeitalter. Leipzig
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