lioch genug liinauf. um das jetzige Dasein als etwas Werdendes zu schildern“, hatte
A. V. H u m b o l d t gesagt; aber daß ei- andererseits auch au eine allmähliche Entwicklung
dachte, geht aus folgendem Satze seiner „Ideen zu einer Geographie der
Pflanzen“ hervor: „Die Geogra})hie der Pflanzen imtersucht, ob man unter den zahl-
i-eichen Gewächsen der Erde gewisse Urformen entdecken und ob man die spezifische
Verschiedenheit als Wirkung der Ausartung und als Abweichung von einem Proto-
typus betrachten kann.“ Dieser Gedanke war bei den meisten Botanikern, welche in
der ersten Hälfte des vorigen Jalirluinderts sich mit der Verbreitung der Bilanzen
beschäftigten, gänzlich in den Hintergruml getreten. Merkwürdigerweise auch bei G r i s e -
BACH, der noch im Jahi’e 1872 unter dem Bann der Annahme von Schöpfungszentren
stand und den einfachsten entwickliingsgeschichtlichen Anschauungen unzugänglich
wai-. U n g e r besaß wohl nicht eine so weitgehende Kenntnis exotischer Pflanzen,
wie G r i s e b a c h ; aber ei' liatte einen Überblick über die europäischen Pfianzenformen
der Gegenwart und der Vergangenheit, soweit sie damals bekannt geworden waren,
und so enthält sein Buch im wesentlichen eine Darstellung des damaligen Standpunktes
der Prianzenpaläontologie, mit dem 1849 auch von B r o n g n ia r t B gewonnenen
Ergebnis, daß die Hauptgruppen des Pflanzenreichs, die Pteridophyten, Gymnospermen
und Angiospermen das Maximum ihi-er Entwicklung gerade in derselben Zeitfolge
erlangten, so wie sie sich untereinander in bezug auf ihren morphologischen Pkrt-
schritt verhalten, mit der Erweiterung, daß U n g e r glaubte, eine reichere Entwicklung
der Thallopliyten vor der der Pteridophyten und eine sukzessive größere Entwicklung
der „Apetalen, Gamopetalen und Dialypetalen“ von der Kreideperiode an nachweisen
zu können. Zwar werden heute die von den älteren Phytopaläontologen gemachten
Bestimmungen fossiler Pflanzenreste einer viel schärferen Kritik als früher unterworfen;
aber U n g e r s Grundgedanken waren richtig, und namentlich verdienen noch seine
theoretischen Behauptungen über die Veränderlichkeit der Arten Beachtung. Er gibt
eine gewisse Stabilität der Art zu, ist aber der Ansicht, daß diese Stabilität, so wie
wir sie erfahrungsgemäß, nicht theoretisch gewonnen haben, sich sehr wohl mit einer
genetischen Entwicklung vereinigen läßt; er ist der Ansicht, daß mehrere unserer
jetzt angenommenen Arten aus einer verschwundenen Urform entstanden sind, die
während des Laufes der Zeiten sich in mehrere verzweigt hat, welche wir gleichwohl
als wirkliche Arten betrachten müssen. Die Entstehung neuer Typen ist ihm nur
eine partielle Metamorphose, an welcher vielleicht nicht einmal sämtliche Individuen
einer Art zu irgend einer Zeit Anteil nehmen, sondern welche wahrscheinlich nur
von einer geringeren Anzahl derselben vollzogen wird. In U n g e r s Geschichte der
Pflanzenwelt vermissen wir noch sehr das spezielle Eingehen auf die gegenwärtige
A'erbreitung der in den jüngeren Erdperiodeii auftretenden Gattungen; aber dies
geschah später (1870) viel mehr in seiner klassischen Schrift „Geologie der europäischen
Waldbäiime“. Zwischen 1852, in welchem Jahr die Geschichte der Pflanzenwelt erschien,
und 1870 lagen zwei Jahrzehnte, in denen die Grundlagen für die entwicklungs-
1) Exposition ciironoiogique des périodes de végétation et des flores diverses, qui se sont succédé
à la face de la terre.
geschichtliche Pflanzengeograplne sich erheblich erweitert hatten. Schon 1846 hatte
E dw a r d E o r b e s in seinen ,,Memoirs of the geological survey of Great Britain“
einzelne Erscheinungen der Pflanzenverbreitung durch Heranziehen vergangener geologischer
Ereignisse zu deuten gesucht und namentlich darauf hingewiesen, daß während
der Eiszeit die Eaiina des Meeres um England eine andere war, als in der Tertiärzeit
und als in der Gegenwart, daß aber die Annahme einer allgemeinen Vernichtung der
Lebewesen und einer nachherigen Neuerschafiüng ausgeschlossen sei. Welche bedeutenden
Eortschritte die Geologie in der Erforschung der Glazialperiode und der ihr
zunächst liegenden Perioden in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts
gemacht hat, ist Ihnen allen genugsam bekannt.
Sehr gefördert wurde die entwickkmgsgeschichtliche Methode der Pflanzengeographie
von A l p h . d e Ca n d o l l e in seiner 1855 veröffentlichten „Géographie
botanique raisonnée“. Indem er auf zahlreiche Verbreitungserscheinungen aufmerksam
machte, zu deren Erklärung physikalische Ursachen nicht ausreichen, weckte er das
Interesse für die Entwicklungsgeschichte der Pflanzenverbreitung, mit welcher bald
noch die durch D a r w in belebte Lehre von der Entwicklung der Organismen Hand
in Hand ging. Das Laienpublikum, welches wir gerade bei diesen Fragen als recht
groß und auch einen Teil der Gelehrtenwelt umfassend ansehen müssen, hat diesen
Dingen mehr Begeisterung, als wahres Verständnis entgegengebracht, und die Gelehrten
selbst haben sich oft von dem an sie heran tretenden Verlangen nach sensationellen
Resultaten zu Schlüssen verleiten lassen, die noch nicht ausreichend begründet waren.
Aber auch nach Ausscheidung der Spreu von dem Weizen werden wir doch finden,
daß die entwicklungsgescliichtliclie Forschung eine Anzahl unanfechtbarer Resultate
von Wert ergeben hat. In der entwicklungsgeschichtlichen Pfianzengeographie treten
nun hauptsächlich zwei Forschungsrichtungen hervor.
Die eine geht aus von der Analyse der einzelnen Florengebiete, von der
Feststellung der Verbreitung ihrer einzelnen Bestandteile in der Gegenwart und wenn
möglich auch in der Vergangenheit auf Grund fossiler Befunde; es ist dies also im
wesentlichen eine En twi c k lu n g s g e s ch i c h t e der Fl o r engebi e t e , für welche die
Erdgeschichte, insbesondere die der jüngeren Epochen die wichtigste Grundlage bietet.
Für die Entwicklungsgeschichte der Florengebiete ist es aber ferner von der größten
Bedeutung, das Verhältnis der endemischen Formen zu den weiter verbreiteten festzustellen;
es ist dann ferner bei dieser Methode darauf zu achten, ob die endemischen
Formen anderen Arten desselben Gebietes sehr nahe stehen, oder aber, neben den
übrigen Florenbestandteilen völlig isoliert, mit Arten anderer Gebiete oder vergangener
Perioden verwandt sind. Für diese entwicklungsgeschichtliche Richtung ist selbstverständlich
auch die Verfolgung der Pflanzenwanderungen und die Formationsbiologie
eine der ersten Aufgaben ; denn als ein Grundsatz der Entwicklungslehre muß angesehen
werden, daß die Bedürfnisse der Pflanzen für Wärme und Feuchtigkeit sich
am wenigsten ändern, auch wenn sie Veränderungen in Blattgestalt und in den
Blütenteilen erleiden, und daß eine Anpassung an neue Lebensverhältnisse oder eine
denselben entsprechende Umgestaltung doch immer nur so weit erfolgen kann, als
es die ganze Konstitution einer Pflanze gestattet, d. h. es können leicht Pflanzen