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2. Grundzüge der Entwicklung der Flora Europas
seit der Tertiärzeit.
Von A. Eiiglei* (Berlin).
In keinem Lande Euro])as treffen so viel Florenjti'ovinzen zusammen, wie in
der österi’eicliisch-ungarischen Monarchie, in welcher wir von der hochalpinen Region
der Alpen und Karpathen herabsteigend nordwärts in die Pi'ovinz der anmutigen
euroj)äisclieii Mittelgebirge tind mit den baltischen Fluren in Verbindung stehende sarmatische
Provinz, ostwärts in die an die asiatischen Steppen gemahnende politische Provinz,
südwärts in die illyrischen Gebirgsländer und in die gesegneten Gefilde des Mediterrangebiets
gelangen. Kein Wunder, daß bei allen Stämmen dieses Landes immer
ein reges Intei'esse für die heimisclie Pflanzenwelt liestanden hat und daß nicht wenige
auserlesene Geister, von dem Spezialstudium angeregt, auch ferner liegenden Fragen
nahe zu treten suchten, um so mehr, wenn sie niclit bloß mit den so mannigfachen,
gegenwärtig Österreichs Vegetation bildenden PMrmen vertraut wurden, sondern auch
Gelegenheit hatten, die in zahlreichen Fundstätten erlialtenen Prtanzenreste längst vergangener
Perioden kennen zu lernen. So ist es kein Zufall, daß es zuerst ein Österreicher
war, welcher mit größerer Entschiedenheit darauf hinwies, daß die Verbreitung der
Pflanzen nicht bloß aus den gegenwärtig bestehenden klimatischeu Verhältnissen zu
erklären sei, sondern daß die Florengebiete das Resultat vorausgegangener Zustände
seien, die in einer fortschreitenden Bildung ihren Grund liaben, daß die zwar oft nur
ein unvollständiges Trümmerwerk darstellenden Monumente, welche frühere Vegetationen
zurückgelassen haben, mit Sorgfalt gesammelt, verglichen und bestimmt, doch einen
Überblick der Geschichte der Vegetation verschhffen. Derjenige, der dies anssprach,
wai' der geniale F r a n z U n g e r , welcher im Alter von 3 5 Jahren nach siebenjähriger,
an wissenschaftlichem Beobachten und Schaffen reicher Tätigkeit aus der bescheidenen
Stellung eines Landarztes in Kitzbühel zum Professor der Botanik an das Johanneum
in Graz berufen wurde und 1852 eine „Geschichte der Pflanzenwelt“ veröffentlichte.
Ganz neu war übrigens der Gedanke nicht. Schon im Jahre 1792 hatte der
Berliner Botaniker W il l d e n o w iii seinem verbreiteten Handbuch der Kräuterkunde
ein inhaltreiches Kapitel der „Geschichte der Pflanzen“ gewidmet, unter der er nicht
bloß den Einfluß des Klimas auf die Vegetation versteht, sondern aucli die Amrände-
ningen, welche die Gewädise wahrscheinlich ei'litten haben, in der er ferner die
Wissenschaft sieht, welche lehrt, wie die Natur für die Erhaltung der Pflanzen sorgt,
welche die AA'anderungen der Gewächse behandelt und endlich ihre Akrbreitung über
den Erdball als das Produkt einer allmählichen Entwicklung erkennen läßt. Es ist
merkwürdig, daß die entwicklungsgeschichtliche Richtung der Pfianzengeogi'aphie in
A . V. H u m b o l d t s Ideen zu einer Geographie der Pflanzen weniger zur Geltung
kommt und lange Zeit die physikalische Pfianzengeographie die herrschende Richtung
war. „Unsere Kenntnis von der Urzeit der physikalisclien AVeltgeschichte reicht nicht