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2. Regeneration von Wurzeln und Stämmen infolge
traumatischer Einwirkungen.
Von G. Lopriore.
(Mit Tafeln I n. II.)
Traumatische Einwirkungen werden in der Pflanzenwelt durch die Pflanzen
selbst und durch Tiere wie auch durch atmosphärische Einflüsse und das unorganische
Substrat, in welchem die Pflanzen leben, ansgelöst.
Die Reaktionen, welche die Folge derartiger Einwirkungen sind, haben nicht
nur für die Lelire der Phytopatliologie Bedeutung, sondern sie gestatten auch manche
Einsicht in die Korrelationen des normalen Organismus, indem sie zeigen, wie einige
der als teratologisch betrachteten Gebilde entstehen und sich aus normalen Entwicklungszuständen
ableiten lassen.
Da eine genauere Betrachtung der unter natürlichen Verhältnissen erfolgenden
Reaktionen nicht immer durchführbar ist und nicht immer einwandsfreie Resultate
liefert, zieht der Forscher vor, derartige Reaktionen künstlich herbeizuführen, um sie
in ihrem Verlaufe messend verfolgen zu können. So wurde neuerdings als „experimentelle
Teratologie“ eine besondere Forsclmngsrichtung angebahnt, welche danach
strebt, teratologische Bildungen durch geeignete Versuche künstlich hervorzurufen, um
sie mit den natürlich entstandenen zu vergleichen.
Die nach dieser Richtung ausgeführten Versuche bezwecken vor allem, den
hervorgerufenen Wundreaktionen und den daraus entstandenen Gewebeveränderungen
anatomisch nachznspüren oder, wenn die Gewebe degenerieren und zu krankhaften
Erscheinungen neigen, auch diesen näher zu treten und so zur Ausbildung einer
„pathologischen Pflanzenanatomie“ beizutragen, welche im Vergleich zu der tierischen
wenig fortgeschritten ist.
Der Versuch, Pflanzengallen künstlich hervorzurufen'), die Verbänderung an
Wurzeln und Stämmen experimentell zu veranlassen"), die Bildung von Ersatzorganen
künstlich zu fördern"), ist ein Beleg für die erste Forschungsrichtung. K ü s t e r ’s
„Pathologische Pflanzenanatomie“ und wenige andere Arbeiten bewegen sich in der
zweiten Richtung.
Diese für die Theorie der Regeneration in Betracht kommenden Versuche
werden durch viele im Gartenbau gebräuchliche, für die Praxis wertvolle Operationen
1) Kn y , Über künstliche Verdoppelung des Leitbündelkreises im Stamme der Dikotylen.
Bot. Zeitung, p. .519 ff.
2 ) L o p r i o r e e C o n i g l i o , La fasciazione delle radici in rapporto ad azioni traumatiche.
Atti Accad. Lioenia, Catania 1903, Vol. XVII, p. 1—56. D e r s e lb e , Künstlich ereugte Verbänderung
bei P h a s e o lu s m u l t i f l o r e s . Ber. d. Deutschen bot. Gesellsch. 1904, Bd. XXII, p. 396.
3 ) B o i r i v a n t , Organes de remjilacement chez les plantes. Ann. d. Sc. nat. 1897, p. 3 0 7— 4 0 0 .
vielfach bestätigt und ergänzt, durch welche der Gärtner zur Fortpflanzung oder zur
Erhaltung besonderer Wuchsformen beiträgt.
Beide Forschungsrichtungen erfahren eine wichtige Vervollständigung dadurch,
daß viele physiologische Versuche darauf gerichtet sind, durch Entfernung oder Verletzung
einiger Pflanzenteile oder Gewebe die sich einstellenden Korrelationserscheinungen
zu prüfen.
Daraus geht hervor, daß die sich abspielenden Wundreaktionen von verschiedenen
Gesichtspunkten aus betrachtet werden können, indem man entweder nnr
die anatomischen Veränderungen der Gewebe oder zugleich die Beeinflussung durch
äußere Faktoren oder ferner die entstandenenen Korrelationserscheinungen berücksichtigt.
Das Verständnis der gesamten Biologie der Wundreaktionen macht diese
drei Betrachtungsweisen notwendig.
In diesem Vortrag werden deshalb außer den von mir in früheren Arbeiten
berücksichtigten anatomischen Verhältnissen auch jene sekundären und korrelativen
Erscheinungen erörtert werden, welche von äußeren Bedingungen abhängig sind.
Die traumatische Reizung äußert sich an der Wurzelspitze unmittelbar nach dem
erfolgten Eingriff durch tropistische Krümmungen, welche zuerst von D a r w in ') entdeckt,
dann von S p a l d i n g ") näher untersucht und von P f e f f e r ") als t r a uma t ro p i s c h e
bezeichnet bezw. a u f,.Traumatropismus“ zurückgeführt worden sind. Ist der Nutzen der
traumatropischen Bewegung ohne weiteres biologisch nicht verständlich, so sind es die
gleichzeitig auftretenden oder znnächst folgenden Reaktionen. Sie streben danach, die
bloßgelegten inneren Gewebe zn schützen und den aufgehobenen normalen Zusammenhang
derselben wieder herzustellen. So sind die als Wundperidei'm, Kork, Gummi,
Harz bekannten Wundprodukte die ersten anfti-etenden Schutzvorrichtungen, denen
wegen ihrer peripheren Lage bisher mehr Aufmerksamkeit als den inneren oder später
auftretenden Reaktionen geschenkt worden ist.
Obwohl es nun nach P f e f f e r “') bei dem Traumatropismus ohnehin gleichgültig
ist, ob durcli mechanische, chemische oder andere Eingriffe derjenige Defekt erzeugt
wird, der als Reizanstoß wirkt, werden hier nur die ersten, d. h. die mechanischen Einwirkungen
berücksichtigt: Dekapitation und Längsspaltung der Vegetationsspitze, Radial-,
Querund Tangentialeinschnitte, Druck.
Die Folgen von diesen an Stämmen und Wurzeln künstlich liervorgebrachten,
mechanischen Eingriffen werden hier durch einige ähnliche, in der Natur spontan eintretende
Beispiele weiter erläutert und ergänzt.
Was die Abgrenzung des Begriffes anbelangt, so bezeichne ich als Re g e n e r
a t i o n , in Übereinstimmung mit meinen früheren Ausführungen") jene Gewebe-
1) D a r w i n , Power of movement in Plants, London 1880, p. 151.
2) S p a l d i n g , The traumatropic curvature of Roots. Ann. of Botany 1894, Vol. VIII, p. 423.
3 ) P f e f f e r , Druck- und Arbeitsleistung durch wachsende Pflanzen. Abli. d. matli.-phys.
Klasse d. K. sächs. Gesellsch. d. Wissensch., Leipzig 1893, Bd. XX, p. 374.
4) D e r s e lb e , Pfanzenjiliysiologie, Bd. II, p. 592.
5) L o p r i o r e , Regeneration gespaltener Stammspitzen. Per. d. Deutschen bot. Gesellsch. 1895,
Bd. XIII, p. 410. — D e r s e lb e , Regeneration gespaltener Wurzeln. Nova Acta Acad. Leop. Carol.
1896, Bd. LXVI, p. 211—286.