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Die Bevorzugung der Basis an Blättern mit nicht lokal verteilter Regenerationsfähigkeit
aber hängt nach der eben angedenteten Auffassung damit zusammen, daß
in den Blättern normal eine Wanderung der Baustoffe in basipetaler Richtung statt-
flndet, der ganze Bau der Leitnngsbahnen ist ja auch ein in basipetaler Richtung geförderter
daß hier ein „Strom“ resp. eine Vielzahl von Strömen in basipetaler Richtung
stattflndet, wird wohl von niemand bezweifelt, und direkt wahrnehmbar ist diese E rscheinung
bei Siphoneen.
Interessant ist namentlich auch das von J anse neuerdings genauer untersuchte
Verhalten von Ca u l e r p a ') Hier flnden sich am unverletzten Blatt in basipetaler
Richtung verlaufende chlorophyllführende Protoplasmaströme. An abgeschnittenen
Blättern bilden sich farblose Plasmaströmungen, die .,embryonales“ Plasma an der
Basis anhäiifen nnd hier die Vorbedingung für die Bildung neuer Rhizome und
Wurzeln schäften. Denken wir uns statt der Plasmaströme Blattnerven, so erhalten
wir ganz analoge Erscheinungen, auf die schon früher hingewiesen wurde. Auch in
ihnen verläuft ein absteigender Strom, welcher bedingt, daß die Neubildungen an der
Basis auftreten.
Die Regeneratioiiserscheinungen sind auch vom Zweckmäßigkeitsstandpunkte
aus betrachtet worden, man hat sie aufgefaßt als vorteilhafte, im Kampf ums Dasein
erworbene oder flxierte Reaktionen. Ohne Zweifel ist es für die Weiterexistenz
eines Taraxacum vorteilhaft, daß, wenn der Sproßteil entfernt oder das Wurzelende
abgefressen wurde, ein Ersatz gerade an den Stellen stattflndet, an welchen die neugebildeten
Organe am leichtesten die Gesamtform der Pflanze wiederherstellen können.
Aber man wiid nicht sagen können, daß bei Pflanzen gerade die Teile, welche am
leichtesten beschädigt werden, durch ein besonders großes Regenerationsvermögen
sich auszeichnen. Das embryonale Gewebe an der Spitze eines Farnblattes z. B. ist
durch die Eiurolluug der Wedel außerordentlich gut geschützt, Beschädigungen, welche
dieses Gewebe etwa mehr als andere Teile des Blattes träfen, sind so gut wie ausgeschlossen,
trotzdem zeichnet es sich, wie wir an einem Beispiel sahen, durch
eine bedeutende Regenerationsfähigkeit aus. Diese Regenerationsfähigkeit kann ebensowenig
wie die der Kristalle im Kampf ums Dasein erworben oder gesteigert
seien. Die Blätter von sukkulenten Pflanzen wie Gasteria, die niemals abfallen und
auch durch mechanische Einwirkungen in der Natur wohl kaum je von der Pflanze
getrennt werden, sind gleichfalls durch besonders rasche und ergiebige Regeneration
ausgezeichnet; dasselbe gilt auch von einigen zartblättrigen Pflanzen, wie z. B. Urtica
dioica. Selbst wenn wir annehmen, daß die Blätter irgendwie von der Pflanze getrennt
werden, würde sie ihr Bewurzelnngsvermögen nichts nützen, da sie einmal in
99 unter 100 Fällen zugrunde gehen würden, ehe sie sich bewurzeln können, und
zudem würde, selbst wenn sie sich bewurzeln, das ohne Nutzen sein, da Sproßbildung
bis jetzt nicht beobachtet werden konnte. Derartige Fähigkeiten können also nicht
1 ) ,J a n s e , An investigation on polarity and organ-formation with Caulerpa prolifera (Kon.
Akademie van Wetenschapen te Amsterdam, Jan. 2 5 1 9 0 5 ). (Auf die neueren Untersuchungen und
Anschauungen über das Zustandekommen der Polarität bei der Regeneration nimmt der Verfasser
keine Rücksicht.)
durch natürliche Zuchtwahl erworben sein, sie sind in der Organisation der betreffenden
Pflanzen begründet. Das schließt nicht aus, daß sie unter Umständen von Vorteil
sind, wie denn z. B. die leicht sich ablösenden und an der Basis Sprosse erzeugenden
Blätter von Sedum Stahlii oder die Teilblättchen von Zamiocnlcas ein ausgiebiges
vegetatives Vermehrungsmittel darstellen. Und ebenso läßt der Besitz von
embryonalem, leicht bei Verletzungen in Tätigkeit tretendem emb ry o n a l e n Gewebe
uns, wie früher hervorgehoben, verständlich erscheinen, daß eine Restitution bei
Pflanzen meist nicht eintritt. Hier wie überall aber haben die teleologischen Erwägungen
zurückzutreten hinter den kausalen. Daß man bei diesen über vorläufige
Orientierungsversiiche noch nicht hinausgelangt ist, kann nicht wunder nehmen, denn
auf vielen anderen Gebieten der Biologie steht es ebenso. Gerade die theoretischen
Anschauungen aber, zu welchen die Untersuchungen über Regeneration Anlaß gegeben
haben, sind teilweise zum Gegenstand recht energischer Angriffe gemacht worden;
es braucht nur an die Debatten über die SACHSsche Theorie über Stoff und Form erinnert
zu werden. Meiner Ansicht nach hat der ‘Streit darüber nicht viel Bedeutung. Denn
einerseits wird jeder Einsichtige sich von vornherein des Wortes erinnern: „Theorien
sind gewöhnlich Übereilungen eines ungeduldigen Verstandes, der die Phänomene gerne
los sein möchte und an ihrer Stelle deswegen Bilder, Begriffe, ja oft nur Worte einschiebt“
'). Andererseits besteht der Nutzen dieser Bilder und Begriffe darin, daß sie
eine bestimmte Fragestellung für die weitere experimentelle Untersuchung ermöglichen.
Ist dies nicht der Fall, oder erweist sich die Fragestellung als unrichtig, so fällt damit
die Theorie von selbst. Wozu also der Streit? Viel wichtiger wird es sein, den ..Phänomenen“
(um mit G o e t h e zu reden) mit besseren Untersuchungsmethoden, als sie bis
jetzt angewandt wurden, nachzugehen und über die Leichen der alten Theorien hinweg
zn solchen zu gelangen, die es ermöglichen, die Sturmleitern an den Mauern der
Burg, in welcher die Rätsel des Lebens unserer Wißbegier zu spotten scheinen,
langsam aber stetig weiter emporzuschieben.
1) G o e t h e , S p rü c h e i n P ro s a .