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Wissen wir doch, daß beide Bauinarten noch heute im äußersten Norden Europas
l)is zur Baumgrenze gehen. Die Frage ist nur. ob es wirklich der Eall gewesen ist.
Darttbei’ können jitlanzengeographische und biologisclie Erwägungen nichts
entscheiden, sondern einzig und allein die Pflanzenreste aus den Ablagerungen, die
zweifellos am Rande des Landeises und aus dessen Absätzen entstanden sind ').
Solche sind mm durch die Bemühungen N athorst s und zufolge seiner
Anregung auch durch die anderer Forscher in beträchtlicher Zahl ans Skandinavien,
Dänemark, Rußland, Deutschland, der Schweiz, England usw. bekannt geworden. Sie
sind durch das Vorkommen von Dryas octopetala und gewöhnlich auch von Salix
polaris gekennzeichnet. Es werden aber in keinem Falle ans dem eigentlichen Dryas-
horizonte Mitteleuropas Reste der Föhre oder der Eichte erwähnt. Ich selber habe
in den letzten Jahren mehrfach Gelegenheit gehabt, Material dei- Dryasschichten Nord-
deiitschlands eingehender und gerade mit Rücksicht auf diese Frage zu untersuchen;
es ist mir nicht ein einziges Mal gelungen, in ihnen auch um- das Vorkommen von
Pollenkörnern der Föhre oder der Fichte, geschweige denn der Eiche, der Erle oder
der Linde ü festzustellen °). Man kann demnach mit Sicherheit behaupten, daß selbst
in einem Abstande von vielen Kilometern keine ausgedehnten Wälder anemophiler
Bäume zur Zeit der Ablagerung der Dryastone bei uns vorkamen.
Es ergibt sich mithin als zweifellos, daß Verhältnisse, die mit denen am
Malaspinagletscher in Alaska beobachteten auch nur eine ganz entfernte Ähnlichkeit
hätten, bei uns am Rande des Landeises nicht geherrscht haben und daß die ganze
Argumentation, die sich auf dieser oder einer analogen Voraussetzung aufbaut, jeder
Stütze entbehrt. Vielmehr ist im allgemeinen N a th o r s t beizupflichten, der mit der
Entdeckung einer fossilen, hochnordischen Flora bei Deuben in Sachsen'), in der Seehöhe
von etwa 220 m, auf eine sehr starke Depression der Baumgrenze und eine
entsprechend starke Temperaturerniedrigung in den eisfrei gebliebenen Teilen Mitteleuropas
während des Höhepunktes der Vereisung schließt. Es ist meines Erachtens
eine physikalische Unmöglichkeit, daß in einer verhältnismäßig schmalen Randzone
des Landeises ein Klima, ähnlich wie jetzt auf Spitzbergen geherrscht habe, wälirend
einige Kilometer davon ein Klima bestanden haben soll, das mindestens ebenso milde
gewesen ist, wie das gegenwärtig in diesem Gebiet herrschende, zeitweilig sogar
noch milder.
Hier ist der Ort noch eines anderen Umstandes zu gedenken, der gegen die
monoglazialistische Auffassung, wie mir scheint, spricht. Ich meine das Auftreten von
1) N a t h o r s t , E n g l e r s Bot. Jalirb. 1891, Bd. XIII, p. 59.
2) Die Linde ist zwar nicht windiilütig, allein ihre abfallenden Staubblätter, denen
gewöhnlich noch reichlich Bollen anhaften, werden vom Winde weit fortgeführt und finden sich
nicht selten einige hundert Meter von dem Standorte der Bäume.
3 ) Auch N e i i w e i l e r vermochte in dem Dryastone von Krutzelried keinen Pollen von
Waldbäuinen festzustellen. (Beiträge z. Kenntn. schweizerisclier Torfmoore. Vierteljahrsschr. d. nat.
Ges. Zürich, Bd. XLVI, Jahrg. 1901.)
Auch in der glazialen Moosschicht von Oeynhausen (vgl. p. 96) waren keine Pollen von
Bäumen oder Stränchern anfzufinden. '
4) üfvers. af Kgl- Vetensk.-Akad. Förh. 1894, No. 10.
Picea omoi-ika var. und Pinns montana an einem so weit nach Norden vorgeschobenen
Standorte wie Lüneburg zu Beginn der Dilnvialzeit. Hätte nämlich nur eine Eiszeit
stattgefunden, so wäre es kaum zu erklären, warum das Krummholz jetzt nicht auf
dem Oberharze wächst, warum es nicht wie andere alpine Pflanzen samt der Omorika-
flclite dem endlich znröckweiclienden Landeise nach Skandinaviens Hochlanden gefolgt
ist und nicht samt dieser einen Bestandteil der jetzt dort lebenden Pflanzenwelt bildet.
Dagegen ist es vom Standimnkte des Polyglazialismus wohl verständlich, daß,
nachdem sich zur Zeit der stärksten Ausbreitung des Landeises während der ersten
Glazialperiode in dem Gebiete zwischen dem nordischen und dem alpinen Eisfelde
eine Mischung der arktischen und der alpinen Flora vollzogen hatte, sich in der
nächsten Interglazialzeit Skandinaviens Hochgebirge mit Wäldern von Omorikaflchten
und Bergföhren umkränzten und daß sich während dei- letzten Eiszeit die Verhältnisse
für das Gedeihen beider Holzarten, wie mancher anderer Alpenpflanzen, die wir in
Skandinavien jetzt vermissen, in Norddeutscliland so ungünstig gestalteten, daß sie
sich dort nicht wieder anzusiedeln vermochten, sondern bei der Rückwandei-ung ans
dem Norden ohne Zuzug aus dem Süden zugrunde gingen.
Zu beachten ist dabei, daß das Auftreten der Omorikaüchte bei Lüneburg
nicht vereinzelt dasteht. Sie ist auch bei Aue im Erzgebirge in einer ebenfalls für
prädiluvial gehaltenen Ablagerung festgestellt worden').
3. Naclidiluviales Zeitalter.
Ich wende mich nunmehr den Vorgängen zu, die seit dem Rückzuge des
letzten Landeises in der Flora des Norddeutschen Tieflandes stattgefunden haben.
Sie wickelten sich im allgemeinen in ähnlicher Weise wie in Schweden und
in Dänemark ab, so daß wir auch hier die einzelnen Zeitabschnitte wie dort nach den
charakteristischesten, nacheinander einwandernden Pflanzenarten als die Dryas-, die
Birken-, die Föhren-, die Eichen- und die Buchenzeit benennen können.
Wir erinnern uns dabei der Beobachtung über das nacheinander erfolgende
Einwandern und Ziirücktreten der Baumarten in den Interglazialzeiten. In der Tat
liegt hier eine Wiederholung des ersten Teils dieser Erscheinung vor und läßt trotz
einzelner nicht unerheblicher Abweichungen auf gleiche oder ähnliche Ursachen schließen.
Wenn es auch wahrscheinlich ist, daß unter diesen dem Gang der Temperatur in den
betreffenden Abschnitten der Quartärzeit eine Rolle zukommt, besonders bei dem succe-
danen Verschwinden der Bäume in den Sclilußabschnitten der Interglazialzeiten, so
würde doch die Beobachtung N e u w e i l e r s Q , daß die in Rede stehende Ziiwanderungs-
erscheinnng sich in der Postdihivialzeit der Schweiz nicht deutlich erkennen lasse, wofern
sie sich in ihrem ganzen Umfange bestätigen sollte, darauf hinweisen. daß noch
andere Faktoren bei ihrem Zustandekommen mitgewirkt haben.
1) W e b e r , Übei- eine oinorikaartige Fichte aus einer dem altern Quartär Sachsens ange-
liörenden Moorbildung. E n g l e r s Bot. Jahrb. 1898, Bd. XXIV.
2 ) E . N e u w e i l e r , Beiträge zur Kenntnis scluveizerischer Torfmoore. Vierteljahrsschr. d.
nat. Gesellsch. Zürich 1901, 46. Jahrg.
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