Uferabstürzen vorübergehend Standorte für manche von ihnen immer wieder entstehen
würden.
Entscliiedener vermag ich mich über den Charakter der Vertreter der boreal-
alpinen Assoziation Norddeutschlands zu äußern, die nacli der herrschenden Auffassung
ebenfalls als Relikte und zwar als solche der Glazialperiode oder Tiindrenperiode
gelten, trotz der Bedenken, die von verschiedenen Seiten') dagegen geäußert sind.
Nämlich alle diejenigen dieser Pflanzen, die gegenwärtig auf Niedermooren
Vorkommen, wachsen auf einem Boden, der ganz unzweifelhaft ursprünglich mit Erlen-
briichwald, mit dichten Röhrichten oder ebensolclien Hochseggenbeständen besetzt
war, Vereinen, in denen sie nicht zu gedeihen vermögen. Erst die Kultur hat
durch Beseitigung der nrs])rünglichen Vegetation und zum Teil durch Entwässerung
des Geländes zumeist die Bedingungen geschaffen, unter denen sie sicli anzusiedeln
vermochten.
Ebensowenig wuchsen diejenigen Arten der boreal-aliiinen Assoziation, die
wir in den Sphagneten auf unseren Hochmooren antreffen, beständig seit der Eiszeit
an den Orten, wo sie sich heute finden. Denn die überwiegende Mehrzahl der
Hochmoore unseres Gebietes hat sich über Bruchwaldtorf oder Schilftorf und limnischen
Torfarten gebildet d. li. es gab eine Zeit, wo aucli hier das Gelände Pflanzenvereine
bedeckten, welche es den in Rede stehenden Arten unmöglich machten, auf ihm zu
wachsen. Mir ist bislang kein einziges Hochmoor im norddeutschen Tieflande bekannt
geworden, dessen Sphagnumtorfschicht, d. h. die Schicht, welche das Sphagnetum
im Laufe langer Zeiträume aus seinen Resten unter sich anhänfte, bis in die Glazialzeit
hinabreiclit. Vielmehr zeigte sich da, wo es gelang ein Hochmoor der baltischen
Endmoränenlandschaft zu untersuchen, in dessen Liegendem sich die Vegetation der
Dryaszeit fand, daß zwischen diesem Horizonte und dem Sphagnumtorf im Hangenden,
wo von neuem Vertreter der boreal-alpinen Assoziation ihre Reste hinterlassen haben,
eine weite Lücke klafft, die durch mächtige Rückstände von limnetischen Pflanzenvereinen,
von Röhrichten und Bruchwäldern ausgefüllt wird.
Ein gleiches Bedenken gegen den Reliktencharakter der in Rede stehenden
Pflanzen, wie es die paläontologische Untersuchung ergibt, erhebt sich, wenn wir die
heutige geographische Verbreitung ins Auge fassen.
Nämlich L o ew , der diese sorgfältig studiert hat, kommt zu dem Ergebnis,
daß die Vertreter dieser Assoziation im norddeutschen Tieflande südwestliche, südliche
und westliche Vegetationsgrenzen besitzen. Die Anwendung der von demselben
Eorschei- aufgestellten Prinzipien läßt demgemäß auf eine Einwanderung von Norden
und Nordosten schließen L o ew , der zur Zeit der Abfassung der betreffenden
Arbeit noch auf der jetzt als unhaltbar erwiesenen Di’ifthypothese fußte, verlegte die
1) Z. B. von W. 0 . F o c k e , Abh. Naturw. Ver. Bremen 1890, Bd. XI, p. 423. — A. G.
X a t h o r s t , Botaniska Notiser 1895, p. 29. — E. H. L. K r a u s e , Bot. Zentralbl. 1900, Bd. LXXXT, p. 233.
2) L o e w faßte die Yegetationsgrenzen der boreal-alpinen Elemente der norddeutschen
Elora freilich als Riickzngslinien auf. Hier liegt einer der Fälle vor, in denen die Mehrdeutigkeit
der pflanzengeogi-aphischen Befunde für die ’N’erwertung der Geschichte der Flora zutage tritt, auf
die ich in der Anleitung anspielte.
Einwanderung, die also zum größten Teile von Schweden her in unser Land erfolgt
sein muß, in die Zeit nach dem Znrückweichen des Diluvialmeeres, das nach jener
Hypothese zur Diluvialzeit das norddeutsche Tiefland bedeckte. Wir wissen aber
heute, daß am Schlüsse der Eiszeit die umgekehrte Wanderung erfolgte: die boreal-
ali)inen Pflanzen waren eher im norddeutschen Tieflande vorhanden, als an seinen
nördlichen Grenzen und folgten von unserm Gebiete ans dem zurückweichenden Landeise
nach Dänemark und Schweden. Es ergibt sich, daß die Wanderung, auf die sich
ihre lieiitige Verbreitung im norddeutschen Tieflande znrückfüliren läßt, in einer spätem
Zeit stattgefunden liaben muß, daß die betretfenden Pflanzen erst in verhältnismäßig
jüngeren Abschnitten des postdiluvialen Zeitalters von Skandinavien zu uns übergesiedelt
sind und nicht als Relikte der Eiszeit betrachtet werden dürfen, wenigstens
niclit ohne weiteres bloß deshalb, weil sie der boreal-alpinen Assoziation angehören.
Ja, wir können nicht einmal mit Sicherheit behaupten, daß dieser oder jener
Vertreter dieser Gruppe, lyenn er auch nicht mehr an der Stelle wächst, die er zu
Ende der Eiszeit inne hatte, sich doch unter einem wiederholten Wechsel des Standorts
s e it je n e r Z e it in unserm Lande erhalten hätte, daß die heute hier lebenden
Individuen Nachkömmlinge jener wären, die seit der spätem Glazialzeit in Nord-
dentschland wohnten. Wir können sie also nicht einmal mit Sicherheit als Relikte
im weitern Sinne anffassen.
Eine besondere Bestätigung des hier Dargelegten hat mir die Untersuchung
von Betula nana ergelien. Diese Art ist neuerdings an zwei Stellen im norddeutschen
Tieflande lebendig aufgefiinden worden, nämlich bei Nenlinum in Westpreußen und
bei Bodenteich in der Lüneburger Heide ').
Bei Bodenteich wächst sie auf einem N ie d e rm o o r e 2). Ich habe den Boden
desselben im Sommer 1904 eingehend stratigraphisch untersucht und bin nach Prüfung
aller Umstände zu der Überzeugung gelangt, daß die Pflanze bis vor kurzem niciit
an dieser Stelle lebte und auch gar nicht zu leben vermochte. Vielmehr ist es sehr
wahrsclieinlich, daß die Zeit ihrer Ansiedelung nicht weiter als etwa .30 Jahre zurückliegt.
Ihr näciister Standort ist ein Hochmoor auf dem Brocken nahe bei Torfhaiis,
und es liegt nalie anzunehmen, daß ilire Keime von da durch Vögel nach Bodenteich
verscldeiipt worden sind, nachdem das Gelände dort unter dem Einflüsse der Entwässerung
und extensiver Kultur eine ihrem Gedeihen günstige Beschaffenheit angenommen
liatte. Aber auch bei Torfliaus habe ich in den etwas tieferen Lagen
des Sphagnumtorfs vergeblich nach den so leicht erkennbaren und unter den dortigen
Verliältnissen sicli gut herausschaffen lassenden Resten dieser Pflanze gesucht, so daß
aucli dieser Standort ein verliältnismäßig junges Alter zu haben scheint.
1) 11. C o n w e n t z , Betula nana lebend in Westpreußen. Natuinv. Wochenschr. 1901, Heft 1.
F r . P l e t t k e , Bot. Skizzen vom Quellgebiet d. Ilmenau usw. Abh. Naturw. Ver. Bremen
1903, Bd. XVII.
2) Im agrikulturcliemisclien Sinne ist es mehr ein Übergangsmoor. Es war nämlich ursprünglich
mor])liologiscIi größtenteils ein Elachmoor, das erst infolge einer mit der Entwässerung
verbundenen Senkung die hohle Gestalt eines Niedermoors angenommen bat, auf dessen hochliegendem
Rande sich an einer Stelle das Zwergbirkengebüsch angesiedelt hat.
Résultats scientifiques du Congrès international de Botanique. 8