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Es muß zugegeben wei’den, daß diese Untersucluingen im großen und ganzen,
so scliätzenswertes Material dnrcli sie beigebraclit worden ist, zum Verständnis des
Lebens unserer Knltnrpflanzen nur wenig beitragen konnten. Zwisclien den gegebenen
oder künstlicli liergestellten Bedingungen nnd dem scliließliclien Erfolge felilte nnr
zn oft das verknüpfende geistige Band.
Die Saclie verliielt sicli etwa so, wie wenn jemand eine Dampfmascliine ledig-
licli nacli der geleisteten Arbeit nnd dem Kolilenverbraucli beurteilen wollte, olme
Kenntnis ilires inneren Getriebes nnd ilirer regulatorisclien Einriclitungen.
Wenn ancli der Vergleicli 'eines lebendigen organischen Systems mit der
Dampfmascliine bekanntlicli liinkt, so zeigt er docli deutlicli, was uns bisher bei der
agriknltnrchemischen nnd agriknltnrpliysikalisclien Forschungsriclitnng am meisten
gefehlt hat, nämlich die Ken n tni s d e r Ku l tu rp f l an z e an sich.
Gerne räume icli ein, daß der Einfluß sicli nicht verkennen läßt, den in
neuester Zeit die Lelire von der Vererbung und von der Variabilität, bezw. von der
Arten- nnd Rassenbildung anf die Beliaiidlnng pflanzenzüchterisclier Fragen zn nelimen
lieginnt. Icli branclie nnr im LIiiiblick darauf die Namen D a r w in , N ä g e l i , M e n d e l und
d e V r i e s zu nennen, nm den großen Fortscliritt auf diesem Gebiete zu kennzeichnen.
Dnrcli diese Forscher, sowie dnrcli die jüngere Generation, die sicli in der erwälmten
Riclitung erfolgreicli betätigt, sind die Vererbungs- und Variationserscheinimgen in
ein System gebracht und nach Kategorien abgegrenzt worden. Es ist dieses ordnende
Beginnen von großer Wiclitigkeit ancli desliaib, weil bei der lierrsclienden Unklarheit
über die Abgrenzung nnd Definition der Kulturformen die Piianzenzüclitung nicht
imstande war, sicli zn einer Tlieorie aufznscliwingen, die der wissenschaftlichen Kritik
liätte standlialten können.
Allein, meine Herren, das Problem, mit dem sicli die Theorie der Pflanzenknltnr
beschäftigen muß, liat iiocli eine andere Seite. Diese andere Seite umfaßt
einen Komplex von Erscheinungen, wie sie unsere Kulturpflanzen, icli spreclie liier
nnr von den landwirtscliaftliclien, unter den spezifischen Kulturverhältnissen des Ackerlandes
darbieten.
Im Betriebe der Ptlanzenknltnr finden, teils dnrch Standortswechsel, der bei
dem Bezug fremder Knltnrformen zugleich ein Klimaweclisel ist, teils durcli den Ein-
tiuß künstliclier Ernährung, der Bodenbearbeitung und des wechselnden Kultur-
verfahreiis, fortwälirend von außen kommende Störungen des physiologischen Gleicli-
gewichtes statt, welches die Pflanze dnrcli Selbstregulierung resp. durch innere Selbststeuerung
der Lebensprozesse wiederzngewinneii trachtet. Gelingt ilir dies, d. li. vermag
sie ihren Apiiarat auf die neuen Bedingungen einzustellen — bei gedankenlosem
Import fremder Knltnrformen ist dies liänfig nicht der Fall — dann hat sie sicli
denselben zwar angepaßt, allein sie ist dann nicht mehr dieselbe, die sie war, und
der Maßstab für ilire Beurteilung muß sich dementsprechend ändern.
Anf diese Weise können bei den äußerst wechselnden Kulturverhältnissen
durcli die kausale Verkettung aller Regulationsvorgänge sowolil im inneren Betrieb,
oder in der Arbeitsweise, als aucli in der formativen Ausgestaltung sehr weitgeliende
Modifikationen lierbeigefülirt werden, ivenn die Variationsbreite der betreffenden Kulturform
eine genügend große ist. Daß die Kenntnis dieser Modifikationen in jedem
einzelnen Falle für den Pflanzenbau und die Züclitimg von eingreifender Bedeutung
sein muß, liegt auf der Hand.
Da die äußeren Einwirkungen, die ein lebendiges System beeinflussen, im
Sinne der modernen Pliysiologie nichts anderes sind als Reize, nnd die Kulturpflanze
auf jene Reize ebenso reagiert wie jede andere Pflanze, d. h. durch regulatorisclie
Veränderung der Lebensprozesse in quantitativer und qualitativer Bezielinng, so liaben
wir es im letzten Grunde bei der Beurteilung unserer Nutzpflanzen unter den ver-
scliiedenen Kulturverliältnissen mit einem Problem der Reizphysiologie zu tun. Hieraus
erliellt zugleicli, daß die moderne pliysiologisclie Riclitung, die auf die Erforsclmng
der Reizwirknngen und auf die durch sie liervorgerufenen organisclien Regulationen
ein so großes Gewicht legt, für den Pflanzenbau und für die Piianzenzüclitung grundlegend
sein muß.
Die ältere agrikulturcliemisclie Betrachtungsweise, die sich um jene physio-
logischen Reaktionen, aucli soweit sie bekannt waren, nicht kümmerte, und den Erfolg
verscliiedener Kulturmaßregeln nnr nacli dem Ertragseffekte maß, mußte sofort in
Widersiirüclie verwickelt werden, sobald die Wirkung jener Kultnrmaßregeln an einem
anderen Orte, unter abweiciienden klimatisclien nnd Ernährungsverliältnissen, oder aber
an einer anderen, wenn auch nalie verwandten Knitiirform einer Prüfung unterzogen
wurde. Welche ungeheure Verwirrung ist Jalirzelinte lang durch die unter den
verscliiedensten Vegetationsbedingungen kritiklos angestellten Düngungsversuche an-
gerichtet worden! — Und älmlicli erging und ergelit es nocli teilweise mit den sog.
Sortenanbauversuclien. — Eine allmäliliche Klärung trat erst dann ein, als man sicli
darauf besann, daß die Kulturpflanze nicht ein unter allen Umständen nacli einem
Schema funktionierender Automat, sondern ein lebensvoller, reaktionsfälliger und fein abgestimmter
Organismus ist.
Ancti die eigentliciien Züchtungsbestrebungen sind in ihren Erfolgen von den
von außen induzierten regulatorisclien Vorgängen im Pflanzenkörper in lioliem Grade
abliängig. denn wenn die Züclitung auf die Steigerung bestimmter Leistungen einer
bislier unveredelten Landrasse mit allen Kräften hinarbeitet, so stört sie das pliysio-
logische Gleicligewiclit, in welcliem sicli das Züclitungsobjekt vor dem Eingriffe befand.
Wenn es sich aucli in der Züclitnng, wie sie bislier betrieben wurde und zumeist
nocli wird, nur um die Steigerung in der Ausbildung einzelner Organe oder Leistlingen
liandelte, so wui'den docli zufolge der inneren jiliysiologisclien Verkettungen andere
Organe und Leistungen mit in die Störung liineingezogen und zwar in vielen Fällen
in so iinerwünscliter Weise, daß der Erfolg jahrelanger Bemülinngen scliließlicli völlig
illusoriscli wurde. Der Steigeiaing der Vorzüge auf der einen Seite standen immer
gi-eller zutage tretende Felder und Mängel (zuneiimcnde Empfindliclikeit, Verlängerung
der Vegetationsperiode über das normale und zuträgliclie Maß, bei Qualitätsverbesserung
abnelimender Ertrag etc.) auf der anderen Seite gegenüber.
Die Folge war, daß man das Ziiclitverfaliren entweder überliaupt aufgeben mußte
oder aber, daß man sicli in der einseitigen Steigerung der Leistungen eine gewisse