1)8 09
4. Die Geschichte der Pflanzenwelt des norddeutschen
Tieflandes seit der Tertiärzeit.
Von C. A. Weber (Bremen).
Für die Feststellimg der Entwicklnngsgesclnchte der Flora eines Landes, soweit
sie sich niclit auf menschliche Zeugnisse') zn stützen vermag, sind zwei Methoden in
Anwendung, die ich kurz als die ptianzengeographische und die paläontologische
bezeichnen will.
Die geograiihische Methode sucht ans der heutigen Verbreitung der Pflanzen
einen Rückschluß auf die geschichtliche Entwicklung der Flora zu machen. Sie ist
die beipiemere von beiden und läßt sich, wenn eine hinreichend große Zahl von
kritischen Standortsbeobachtnngen vorliegt, im Studierzimmer erledigen. Sie stellt
ein System der Entwicklungsgeschichte auf, das eine gewisse Wahrscheinlichkeit für
sich hat. Seine Übereinstimmuiig mit der Wirklichkeit muß aber erst durch paläontologische
Funde bewiesen werden, und dies ist um so mehr geboten, je enger begrenzt
das Gebiet ist, auf das sich die Forschung erstreckt.
Die iialäontologische Methode ist mühevoller und daher noch wenig gepflegt.
Sie setzt nicht bloß eingehende und umfassende botanische, sondern auch ebensolche geologische
Kenntnisse voraus. Sie vermag ferner nur über den Teil der Flora Aufschluß
zu geben, der einer solchen fossilen Aufbewahrung fähig ist, daß man die
Reste mit Sicherheit zu identiflzieren vermag. Diese Beschränkung kann und darf
natürlich kein Grund sein, ilie paläontologische Methode als minderwertig zu betrachten
oder gar sie unberücksichtigt zu lassen. Wir werden nur daraus schließen, daß man
bei einem mehr oder minder großen Teil der Pflanzenwelt hinsichtlich seiner geologischen
Geschichte niemals mehr als etwas Wahrscheinliches mit Hilfe der pflanzengeographischen
Methode wird ermitteln können.
Die Hauptfehler der paläontologischen Methode kommen durch unrichtige
Identiflzierungen der fossilen Reste und durch falsche Altersbestimmungen der Fundstätten
zustande 2). Fehler der ersten Art werden um so mehr vermieden werden,
je mehr unter anderen kritischen Maßnahmen auch die Anatomie der fossilen Reste
bei der Bestimmung zn Rate gezogen wird") und je mehr Erfahrungen über die Art
1) Z. B. auf archäologisclie, archivalisclie, literarische, toponomatische und sprachwissen-
scliaftliclie Zeugnisse, wie sie namentlich von 0 . H e e e , V . H e h n , A. d e C a n d o l l e , E. H. L . K r a u s e ,
V. F i s c h e r - B e n z o n , W i t tm a c k , B u s c h a n , S o lm s -L a u b a c h , G r a d m a n n , J. H o o p s n. a. m. für
gewisse Abschnitte der Jüngern Phytohistorie angewandt worden sind.
2) Abgesehen von den Fehlern, die durch ungenügende Übung in der sachgemäßen E n tnahme
der zu untersuchenden Sclnchtproi)en oder durch Verschleppung mit den Grab- und Bohrgerpen
entstehen.
3) So sind, um nur ein Beispiel zu nennen, die Bestimmungen von Pinus montana in
tertiären wie quartären Fundstätten samt und sonders unsiciier, soweit sie sich allein auf Samen,
Zapfen und die äußere Gestalt der Nadeln stützen. Erst die Untersucliung des Baus der Epidermis
und des Zentral Strangs gut erlialten gebliebener Nadeln ermöglicht ein sicheres Urteil.
der Erhaltung der einzelnen Pflanzenteile unter den verschiedenen äußeren Anfbe-
wahrnngsverhältiiissen gesammelt werden. Die größte Schwierigkeit liegt bei der
Anwendung der paläontologischen Methode auf die Entwicklungsgeschichte der Pflanzenwelt
seit der Tertiärzeit in der richtigen Altersbestimmung der Fundstätten. Ganz
besonders gilt dies für Norddeutschland, insofern als gerade hier über das Alter
vieler posttertiärer Fundstätten noch wenig Einheit des Urteils besteht; und wo eine
solche vorhanden ist, kann man sich des Zweifels nicht erwehren, ob sie von Dauer
sein wird. Wenn man aber erwägt, daß wir uns in Norddeutschland seit kaum länger
als fünfzehn Jahren eingehender mit den pflanzlichen Resten dieser Fundstätten beschäftigt
haben und daß den betreft'enden Lagerstätten von seiten der Geologen zumeist
erst in den allerleteten Jahren ein lebhafteres Interesse gewidmet wird, so wird
man sich mit mir der Hoffnung hingeben, daß sich auch hier endlich ein sichererer
Kern als bisher für die Pflanzengeschichte herausschälen wird.
Bei meinen phytohistorischen Studien im norddeutschen Tieflande habe ich
mich in erster Linie der paläontologischen Methode bedient, die Ergebnisse derselben
aber stets an der Hand der pflanzengeographischen zn prüfen und vorsichtig zn erweitern
gesucht. Da aber die Ergebnisse der zweiten Methode keineswegs immer
eindeutig, oft mehrdeutig sind, so sind trotzdem Fehler keineswegs ausgeschlossen.
Ich bin daher auch nicht sicher, daß selbst die äußeren Umrisse des Bildes,
die ich hier nur vorzuführen vermag, in allen Einzelheiten der Wahrheit entsprechen
und nicht früher oder später eine Berichtigung erfahren werden. Ich bekenne, daß
mich derartige Erwägungen zögern ließen, den gewünschten Bericht zu übernehmen.
Wenn ich mich dennoch entschlossen habe, der Aufforderung dazu Folge zu leisten,
so geschah es in der Hoffnung, dadurch, daß ich Ihnen dieses Bild, so wie es sich
mir z ur z e i t da r s t e l l t , vorführe, und durch die Erörterungen, die ich daran knüpfe,
eine Anregung zu weiteren Forschungen zu geben.
Denn das norddeutsche Tiefland bietet wie nur wenige andere Länder durch
seine Fülle von fossilienführenden älteren und jüngeren quartären Ablagerungen, insbesondere
durch seine zahlreichen uml gewaltigen Moorbildungen, eine hervorragende
Gelegenheit, nicht mir wichtige Fragen der Entwicklungsgeschichte der Pflanzen- und
Tierwelt, sondern auch solche der Geologie der jüngsten Erdperiode zu lösen. Dem
Forscher, der geneigt und in der Lage ist, für diese Probleme seine volle wissenschaftliche
Kraft einzusetzen, winkt dort ein reiches und dankbares Arbeitsfeld. Bisher
konnte erst ein u n v e r h ä l t n i sm ä ß i g k l e i n e s Bruchstück desselben in Angriff'
genommen werden. Was sich dabei mit Hinblick auf die uns hier beschäftigende
Frage ergeben hat, ist in Kürze folgendes.
1. Vordiluviales Zeitalter.
Das norddeutsche Tiefland hat während der jüngern geologischen Vergangenheit
sehr wechselnde Schicksale erfahren, die wiederholt zu einer völligen Vernichtung
des Pflanzenlebens und ebenso oft wiederholten Neueinwanderung desselben geführt haben.
In der ersten Hälfte der Oligozänzeit war unser Gebiet zum größten Teil
Land und mit einer subtropischen Vegetation bekleidet. Dann versank es im Meere,