liehe Depression der Schneegrenze voraussetzen, während die Flora der ersteren das
Gepräge eines milderen Klimas trägt, als gegenwärtig an Ort und Stelle herrscht.
So gestalten sich denn die Höttinger Bieccie und die Tone von Re zu wichtigen strati-
m-aphischen Beweisen dafür, daß in den Interglazialzeiten die Gletscher sich wirklich
bis ins Innere der Alpen zurückgezogen hatten, was iihytogeographische Argumente
verlangen. Wenn gleicliwohl erst kürzlich wieder durch F. F r e c h und E. G e in it z
Zweifel am interglazialen Alter der Höttinger Breccie geäußert worden sind, so
beruhten diese in erster Linie auf der Voraussetzung, daß die alpinen Gletscher bei
ihrem Anwachsen sich in ein bis hoch liiiiauf reich bewachsenes Inntal erstreckten,
was nach den Ergebnissen physiogeographischer Eiszeitforschung unmöglich ist sowie
auf Interpretierungen der Lagerungsverhältnisse, die nicht durch an Ort und Ste e
gewonnene Beobachtungen gestützt werden. ■
Die Zahl der Fundstellen, welche einen Einblick in die interglaziale Flora
gewähren, ist noch, gering und ermöglicht noch keine weittragenden Folgerungen auf
das gleichzeitige Pflauzenkleid Europas. Wir können augenblicklich nur sagen, daß
die Alpen während der letzten Interglazialzeit, welche zwischen die Riß- und die
Würm-Eiszeit fällt, bis hoch hinauf bewaldet gewesen sein müssen, und daß es namentlich
eine Flora mit pontisclien Anklängen war, die hier Fuß gefaßt hatte. Bemerkenswerterweise
ist die mediterrane Elora, welche jetzt durch den Menschen in die südlichen
Alpenthäler gebracht worden ist, auch während der letzten Interglazialzeit dort nicht
daheim gewesen; der damalige Wald war auch nahe am Südfuße der Alpen kein
immergrüner. Reich bewaldet ist. wie namentlich aus den scharfsinnigen Untersuchungen
C. A. W e b e r s hervorgeht, Norddeutschland während der letzten, der Riß-Würm-
Interglazialzeit gewesen; dagegen können wir nichts von der gleichzeitigen Flora
Skandinaviens sagen. Hier hat die letzte Vergletscherung glatt ausgefegt, was an
älteren Quartärgebilden vorhanden war; es hat an solchen schützenden Winkeln gefehlt
wo sich solche, wie in den Alpen erhalten konnten, und deswegen treffen wir dort
auch kein einziges beweiskräftiges interglaziales Prohl. Auch über die mterglaziale
Flora des politischen Gebietes, wissen wir nichts, und es ist im wesentlichen ein auf
die gegenwärtigen Verhältnisse basierter Analogieschluß, wenn wir von der Möglichkeit
dortiger interglazialer Steppen sprechen. Endlich mangeln alle auf Beobachtung gegi ündete
Anhaltspunkte für Beurteilung der mediterranen Flora der Interglazialzeit. Es fehlen
eben außerhalb der alten Gletschergebiete die Moränen, welche zur stratigraphischen
Altersbestimmung einer interglazialen Flora notwendig sind, und wenn man in der
Nähe alter Gletschergebiete, wie z. B. in Norddeutschland, von interglazialen Floren
auf Grund einer gewissen floristischen Vergesellschaftung sprechen kann, so kann man
eine ebensolche Vergesellschaftung eben nicht über größere Gebiete erwarten.
Bemerkenswert ist, daß die interglaziale Flora der Alpen mit dei heutigen
die überwiegende Zahl ihrer Arten gemein hat. Speziell auf der linken Flanke des
Imítales kommen so viele Arten der Höttinger Breccie auch lebend vor, daß
V. W e t t s t e in der der letzteren Breccie folgenden Eiszeit keine auch nur annähernd
so weitgehende klimatische Änderung und Vergletscherung zuzuschreiben vermochte,
als der ihr vorangehenden. Die von physiogeographischem Standpunkte aus betriebenen
Eiszeitforschungen gewähren einer solchen Auffassung keine Stütze. Blieb auch die
letzte VergletscheiTing allenthalben innerhalb der Grenzen der vorletzten, so setzt sie
doch eine nahezu ebenso große Depression der Höhengrenzen voraus; nur um 100 m,
liöchstens 200 m lag die Schneegi-enze der vorletzten, der Riß-Eiszeit tiefer als die
der Würm-Eiszeit, von der wir bisher allein gesprochen haben. Wenn wir um
Innsbruck heute dieselben Arten finden, wie in der Höttinger Breccie, so ist ganz
ausgeschlossen, daß sie noch da sind; es kann nur angenommen werden, daß sie
wiedei- da sind, nachdem sie eine Wanderung zurückgelegt haben, welche eine Herabsenkung
der Schneegrenze von über 1200 m und eine darauffolgende Erhebung
derselben um den letzteren Betrag verlangt. Das entspricht in horizontaler Entfernung
einer AVeglänge von 2000—3000 km hin und fast ebensoviel zurück. Nur an zwei
Stellen der ganzen Alpenkette vermocliten sicli größere Partien der interglazialen
Flora in ausgedehnterem Umfange zu erhalten: einerseits am Südende des Gebirges
in den provem;alischen Alpen, wo die eiszeitliche Schneegrenze nur auf 2000 m Höhe
herabgedrückt war; hier konnte die Florenregiou des entsprechenden Höhenintervalls,
also die Flora vom Säntis bis zum Bodensee herab bestehen, ferner im Osten des
Gebirges, wo in den kärntnerisch-steirischen Alpen westlich von Graz die eiszeitliche
Schneegrenze in etwa 1800 m Höhe, also 1500 m über dem steirischen Hügellande,
verlief, und daher die Flora eines Höhenintervalls von 1500 m unterhalb der Schneegrenze,
also der oberhalb des Brenners gelegenen, Existenzbedingungen geboten waren.
Auch der Südsaum der Alpen bot Raum für Erhaltung der interglazialen Flora. Wohl
war die Vergletscherung selbst hier viel geringer als am Nordsaume des Gebirges und be-
schränkte sich hier auf die größten Täler, aber die Schneegrenze lag doch ziemlich tief,
UOO in im Osten, 1600—1700 m im Westen, also nur 1300 m über der Poebene, und
es konnte hier nur ilie A^egetation eines Höhengürtels, entsprechend demjenigen, welcher
sicli oberhalb des bekannten Karrersees in den Südtiroler Dolomiten erstreckt, die
Eiszeit überdauern; für sie boten die wenig vergletschert gewesenen Bergamasker
und Brescianer Alpen ziemlich ausgedehnte unvergletscherte Flächen, deren alten
Endemismus E n g l e r B besonders hervorhebt. Dagegen kann sich am Nordrande der
Alpen zwischen Rhone- und Salzachthal ebensowenig wie im Innern des Gebirges
• Pflanzenleben seit der Riß-Würm-Interglazialzeit erhalten haben. Die Eisströme reichten
hier bis an die Schneegrenze heran.
Die genaue Untersuchung des Alpenvorlandes hat nicht weniger als viei
Í
verschiedene Systeme alter Moränen nachweisen können, welche sich in ähnlicher
Weise voneinander sondern, wie die Würm-Moränen der letzten und die Riß-Moränen
der vorletzten Eiszeit. Aller AVahrscheinlichkeit nach entsprechen diese Systeme vier
verschiedenen Eiszeiten. Auch finden sich Ablagerungen, welche älteren Intei glazial-
zeiten zugewiesen werden können. Allein die Überlieferung ist so spärlich, daß sich
für die älteren Eiszeiten eine Geschichte der Alpen kaum skizzieren, geschweige denn
eine solche für ganz Europa entwerfen läßt. Den Gang der Entwicklung rückwärts
I) Die Pflanzenforinaüonen >ind die pflanzengeogi-aphisclie Gliederung der Alpenkette.
Notizblatt der Königl. 13ot. Gartens., 2. Aufl. Berlin 1903, .Appendix M I. p. 83.