Mäßigung anfzuerlegen begann, die iliren Lolin in einer größeren Sicherheit des
Erfolges fand.
Überliaupt inaclit sicli, in zunehmender Erkenntnis der Sachlage, in der
modernen landwirtschaftlichen Pfianzenzüchtung das Bestreben bemerkbar, den
lockenden Extremen liöchster Leistungen im Eitrage, in der Güte usw. aus dem
Wege zu gellen. Der verständige und erfalirene Ptianzenzüchter begnügt sich lieber
mit einem guten und relativ siclicren Mittel, wobei jedocli betont werden muß, daß
dieses gute Mittel die Durclisclinittsleistungen unserer unveredelten Landrassen schon
reclit erlieblich überschreitet. Es ist dies eine Folge der durch die Züchtung gesteigerten
physiologischen Elastizität unserer Kulturpflanzen.
In dieser walirliaft modernen Tendenz der landwirtscliaftliclien Pflanzenzüclitung,
erkennen wir den Reflex derjenigen pliysiologischen Vorgänge, welclie als regulatorisclie
bezeiclmet werden, und welche in ilirem Endzweck, wenn von einem solchen gesprochen
werden darf, auf ein harmonisclies Ineinandei-greifen aller Lebensäußerungen abzielen.
Anf diesen Punkt muß künftighin bei allen Kultur- und Züchtungsmaßregeln, das
größte Gewicht gelegt werden, da jede bleibende Störung, die durch Regulation nicht
wieder ausgeglichen werden kann, auch den Kultnrzweck beeinträchtigt.
Diese Tatsache wird im Laufe der Zeit unbedingt zu der alle Züchtungsbestrebungen
durchdringenden Erkenntnis führen, daß die r i c h t i g e Wü r d i g u n g der
Le i s t u ngen e i n e r Ku l t u rpf l anz e mi r u nt e r g l e i c h z e i t i g e r B e r ü c k s i c h -
t i g i i n g i h r e r G e s am t f u n k t i o n e n a n g e b a h n t werden kann.
An dieser Stelle darf daran erinnert werden, daß dieser Standpunkt bereits
bei dem internationalen land- unf forstwirtschaftlichen Kongresse in Wien, im
Jalire 1890, von dem Vortragenden im Vereine mit dem rühmlichst bekannten öster-
reichischen Pflanzenzüchter E. v o n P r o sk o w e t z jiin. vertreten worden ist. Wir
liatten den Gegenstand damals an der korrelativen Variabilität der Gerste und der
Zuckerrübe erläutert. Es ist uns hierfür die Genugtuung geworden, daß die Bedeutung
des Gegenstandes, wenn aucii von mancher Seite angefochten oder mißverstanden,
seitdem von berufenen Vertretern der Tlieorie und Praxis der Pflanzenzüchtung immer
melir und mehr anerkannt wird.
Was die praktische Erfahrung dem Pflanzenzüchter an Kenntnissen und
Fertigkeiten zuzubringen vermochte, das ist ilim bereits zugebracht worden. Ein
weiterer Fortscliritt anf diesem Gebiete kann derzeit nur von der wissenschaftlichen
Forschung ansgehen. Es kann nicht zweifelhaft sein, nach welcher Richtung sich
dieselbe künftighin zu bewegen haben wird.
War es durch Jalirzelinte hindurch die Agrikulturchemie und die Agrikulturphysik,
welche die wissenscliaftliche Begründung pflanzenbaulicher Lehrsätze übernommen
hatten, so wird die Führung unter den begründenden Wissenschaften in Zukunft
unbedingt an die Pflanzenphysiologie übergehen.
Agrikulturchemie und Agrikulturphysik haben der Wissenschaft und Praxis
durch Erforschung der stoffliclien Zusammensetzung nnd der Nahrungsmittel der
Kulturpflanzen, sowie durcli Eifoi-scliiing der Vegetationsbedingungen an sicli, überaus
große Dienste geleistet. Dabei ist jedocli unsere Kenntnis von dem Apparate, mit
dem der Pflanzenzüchter arbeitet, d. h. es ist unsere Kenntnis von der Kulturpflanze
nnd ilirem Leben eine sehr unvollständige und lückenliafte geblieben. Diese Lücken
allmählich auszufüllen, wird die Aufgabe der Pflanzenpliysiologie — dieses Wort im
weitesten Sinne genommen — werden müssen.
Und so lassen Sie mich mit dem Wunsche schließen, daß die Physiologen von
Fach sich mehr wie bisher mit den Kulturpflanzen und mit den auch in wissen-
scliaftlicher Bezielinng bedeutsamen pflanzenzüchterisclien Problemen bescliäftigen
möchten. Die Pflanzenzücliter aber sollten sich mit den Physiologen, die ilmen
solcher Art entgegenkommen, zu gemeinsamer Arbeit vereinigen.
Ich verspreclie mir von einem solclien Zusammenschluß selir viel, denn wenn
in unserem Tagen mit Reclit ein so hoher Wert auf die Organisation der Arbeit
gelegt wird, so leuchtet ein, daß diese Organisation aucli auf unseren Gebiete sich
erfolgreich erweisen muß.
Wissenschaft und Praxis dürfen aucli auf dem Gebiete der Pflanzenzüchtung
nicht mehr getrennt marschieren, denn wenn die Praxis durch wissenscliaftliche Einsicht
gewinnt, so gewinnt die Wissenschaft durcli die lebensvollen Anregungen
der Praxis.
9. Die südrussischen Steppen.
Von G. J. T an filjew (Odessa).
Vortrag, gehalten auf dem internationalen Botaniker-Kongreß in Wien, am 16. Juni 1 9 0 5 ‘).
(Mit 2 Textabbildungen.)
Kommt ein Reisender ans dem Westen Europas über die russische Grenze,
so wird er beim überschreiten derselben meist keinen Unterscliied im Charakter der
sich ihm bietenden Landschaft finden. Dieselben Ebenen, dieselben liellgefärbten,
sandigen und lehmigen Böden, dieselbe Vegetation wiederholt sich diesseits und jenseits
der Grenze.
Ganz andere Eindrücke erhält ein aus dem Norden von Rußland kommender
Reisender, wenn er eintritt in das Gebiet der Steppe oder in das dem Steppengebiet
vorgelagerte Gebiet der Eichenwälder. Meist ist die Grenze zwischen diesen beiden
1) Dieser Vortrag bietet wesentlich einen Auszug aus einem Kapitel einer in russischer
Sprache erschienenen Arbeit des Verfassers, wo ancli die einschlägige Literatur zusammengestellt ist
(„Grimdzüge der Vegetation Rußlands“ mit einer pflanzengeograpliisclien Karte von Rußland. Bd. XXVII
der naturwissenschaftliclien Bibliothek von Brockhaus-Ephron. St. Petersburg 19ü3j.