Schneegrenze kurzhin, und der Baumgrenze ein deutlicher Abstand vorhanden sein,
denn wir haben dann unmittelbar unter der Schneegrenze Regionen, in welchen die
Sclineedecke den überwiegenden Teil des Jahres anhält, so daß die für den Baum wuchs
nötige Ajierzeit nicht gegeben ist.
Unter solchen Umständen hegen wir Zweifel an der Richtigkeit der seit
P h i l i p p i B wiederholt geäußerten Angabe, daß in den Anden des westlichen Patagonien
die Urwälder bis an die Schneegrenze heranreichten und finden uns in diesen Zweifeln
durch die allerdings nur gelegentlich gemachten Angaben über die Lage der Baum-
imd Schneegrenze bestärkt, welche die Erforscher des chilenisch-argentinischen
Grenzgebietes gemacht haben. P a u l K r ü g e r , welcher selbst wiederholte, daß die
patagonischen Anden bis zur Schneegrenze heran mit undurchdringlichem Urwalde
bedeckt seien, fand unter 42° 45' S. beim Überqueren des Gebirges, daß der dichte
Wald nur bis 750 m Höhe reichte und sich in 980 m Höhe die letzte Pflanzenzone
einstellt, gebildet von niedrigen Bäumen, deren zur Ei'de gekrümmte Zweige andeuten,
daß der Schnee die größte Zeit des Jahres auf ihnen lastet Inmitten solchen
Waldes, den wir nur mit unserem Krummholzgestrüpp vergleichen können, treten
sumpfige Wiesen ein, höhere Partien sind kahl; erst bei 1410 m liegt die Schneegrenze.
Ganz ebenso schildert H a n s S t e f f e n B die Höhengürtel südlich von 46° S. Die
Gebirgszüge sind in ihrem unteren Teile von liochstämmigem Urwald, höher hinauf
von dicken Moospolstern bedeckt, erst von 1200 m Höhe ab tragen sie ewigen Schnee.
Im Einklänge hiermit zeigen die Bilder, welche einen Aufsatz von Ga l l o i s '^) über
die Anden Patagoniens begleiten, durchweg eine deutlich ausgesprochene baumlose
Region zwischen den Sclmeegipfeln und den Urwäldern. Hiernach haben wir auch
in Westpatagonien auf einen einige hundert Meter betragenden Abstand von Schnee-
und Baumgrenze zu schließen; die Angabe, daß beide zusammenüelen, dürfte darin
liegründet sein, daß sich die Schneegrenze rasch westwärts senkt und an der Außenküste
in Höhen angetroffen wird, bis zu welchen im Innern derBaumwnchs sich erhebt. Ganz
ebenso liegen die Dinge an der Westküste Nordamerikas. Allerdings berichtet S e t o n
K a r r “), daß die Schneegrenze am Eliasberge nur in einer Meereshöhe von 400 feet =
120 m läge, also in der Höhe verlaufe, bis zu welcher sich der Urwald auf der
Moräne des Agassizgletschers erstreckt; aber diese Angabe ist sofort von E r e s h f i e l d
angezweifelt worden, und nach J. C. R ü s s e l °) ist die Schneegrenze am Malaspinagletscher
am Euße des St. Eliasberges in 2500 feet = 750 m Höhe, also ganz
beträchtlich über der Baumgrenze zu suchen. Nach den Beobachtungen des Herzogs
1) Botanische Zeitung 1852, Bd. X, p. 921.
2) Die chilenische Renihné-Expedition. Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1900, Bd. XXXV,
p. 1 n. 2.ß.
B) Reisenotizen aus Westpatagonien. Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 190B, p. 167 (174).
4) Les Andes de Patagonie. Annales de géographie 1901, T. X.
5) The Alpine Regions of Alaska. Proceed. Ro5l geogr. Soc., Ijondon 1887, Vol. IX,
p. 269 (275).
6) Malaspina Glacier. The Journal of Geology 1893, Vol. I, p. 219 (223).
L u ig i A m a d e o v . S a v o y e n liegt sie gar erst in 900 m Höhe ’)• Es ist daher nicht
richtig, wenn F r it z F r e c h B aus den Angaben S e t o n Ka r r s neuerlich wieder auf
ein A^erschwinden der alpinen Region folgert und dies zum Ausgange weitgehender
geologischer Folgerungen benutzt. Tatsache ist nur, daß an einigen besonders uieder-
schlagsreichen Westküsten sich die Schneegrenze außergewöhnlich tief herabsenkt und
dabei der Baumgrenze besonders nahe kommt, ferner daß sie in solchen Fällen dann
binnenwärts rasch ansteigt und sich dabei von der Baumgrenze namhaft entfernt.
\\4r wissen z. B. von H a y e s B, daß sie auf der Nordseite des Eliasberges bereits
6000 feet = 1800 m hoch liegt, und im Innern der Kontinente wird der Abstand
beider Grenzen am größten; er steigt im Herzen Asiens auf über 1500 m an.
Unter solchen Umständen können wir unter steter Bei'ücksichtigung geographischer
A^erhältnisse aus der Lage der Schneegrenze auf die Lage der entsprechenden
Baumgrenze folgern und vermögen namentlich aus der eiszeitlichen Schneegrenze auf
die Gebiete Europas zu schließen, welche während der Eiszeit unter allen Umständen
waldlos gewesen sind.
Dies gilt namentlich vom größten Teil des germanischen Mitteleuropas, welcher
sich zwischen dem großen nordischen Inlandeise und der alpinen Vergletschei'ung
erstreckt. Hier lag die Schneegrenze im AA'esten nur 800 m, im Osten kaum 1200 m
hoch. Der Saum der/ nordischen Inlandeises, der im AA^esten sich bis zum Meere
herabzieht, im Osten aber sich bis über 400 m hoch erhebt, bleibt auf seine ganze
Erstreckung in dem Abstande unter der eiszeitlichen Schneegrenze, in dem wir heute
im gleichen Gebiete die Baumgrenze unter der Schneegrenze sehen, und die eiszeitlichen
Gletscher der Aljien, die bis zu 400—500 m Höhe herabreichten, blieben sogar
durchweg inneidialb dieses Abstandes. AAhr können daher nicht behaupten, daß die
eiszeitlichen Gletscher im germanischen Mitteleuropa bis an Waldgebiete herangereicht
hätten; wenn solche vorhanden waren, so mußten sie auf die tiefstgelegenen Ebenen
des Südens beschränkt sein, auf das Nordende der oberrheinischen Tiefebene, auf
die tiefsten Partien des Elbebeckens in Böhmen, auf die Niederungen Mährens.
Freilich könnte eingewendet werden, daß der eiszeitliche Abstand von Schnee-
nnd Baumgrenze in Mitteleuropa nicht derselbe wie heute gewesen sein müßte, sondern
kleiner gewesen sein könnte, so wie z. B. heute im westlichen Patogonien und im
südlichen Alaska. Aber abgesehen davon, daß sich vom physiogeogi-aphischen Standpunkte
ans eine solche Einwendung nicht begründen läßt, da es in Mitteleuropa
während der Eiszeit kein so jäh ansteigendes, sich den regenbringenden Winden ([uer
entgegenstellendes Gebirge gegeben hat, wie es in den genannten Gebieten vorhanden
ist, so sprechen pfianzengeographische Gründe gegen eine derartige Mutmaßung: längst
schon hat man aus dei' nahen A^erwandschaft zwischen der alpinen und der hocli-
nordischen Flora gefolgert, daß beide während der Eiszeit auf mitteleuropäischem
Boden zusammengehangen haben. Und diese Postulat ist diircli Beobachtungen bekräftigt
1) Die Eorsclmngsreise S. K. H. des Prinzen Ludwig Amadeus von Savoyen nach dem
Eliasberg, Leipzig 1900, p. 183.
2) Flora und Eanna des ()nartärs. In G e i n i t z , Das ()uartilr von Nordeuropa, 1904, p. 5.
3) An Expedition through tlie Yukon district. Nat. geogr. Alag. 1892, Vol. IV, p. 153.