Weite Strecken der dentsclien Ost- und Nordseeküste versinken wälirend der Ausbildung
der Litorinasee unter den Fluten des Meeres und heben sich auch in der
folgenden Zeit nicht odei- nur nnhedeutend wieder über ihnen empor, während in der
Folge eine Hebung das südliche Skandinavien und die dänischen Inseln ergreift, die
Ostsee wieder stärker vom Ozean scheidet und die ^'erminderung ihres Salzgehaltes
veranlaßt.
Die Waldföhre zieht sich währenddes in einem gewissen Abstande von den
Küsten der Nordsee zui'ück, eine Erscheinung, die noch nicht genügend aufgeklärt
ist'). Im weitern Verlauf der Buchenzeit greift der Mensch mit seiner zunehmenden
Kultur immer stärker in die natürliclien Vegetationsverhältnisse ein. Mit dem Garten-
und Ackerbau und mit dem zunehmenden >'erkehr wandern zahlreiche neue Elemente
unserer Flora ein, andere erlangen gegen früher eine gewaltige Ausdehnung. Die
Wälder lichten sich mehr und m e h r ' ’) . Die Calluna-Heiden bi'eiten sich im nordwestlichen
Deutschland aus. weithin das alte Waldgelände in Besitz nehmend. Auf
den Niedennooren werden nach der Beseitigung der natürlichen moorbildenden
Ptianzenvereine und der Entwässerung Niederseggen- und Graswiesen erzeugt. Zuletzt
wird auch dem Wachstum der Sphagneten auf den Hochmooren durch Torfgräberei
und planmäßige Entwässerung ein Ende bereitet, und selbst die Heiden und Seggenwiesen
müssen den Anforderungen weichen, die die Zunahme der Bevölkerungsdichte
an den Ertrag des Bodens stellt. Wohnplätze mit iveiten Garten- und Parkanlagen,
Fabriken, Ackerfelder, Kunstwiesen, Viehweiden, Kimstforsten, Fischteiche, Kanäle
und die Wasserbecken der Talsperren beschränken das Gebiet der ursprünglichen
Vegetation mehr und mehr, überliefern einzelne Elemente wie ganze Gruppen derselben
der dauernden Vernichtung, nötigen viefach den Rest der Flora zn neuen Gruppierungen
und verändern dadurch die Physiognomie unseres Landes in zunehmendem Maße.
1) Man vergieiclie die Karte der ursprünglichen Verbreitung der Waldföhre in Deutschland
für das gegemviirtige Zeitalter hei Denglur: Die Tlorizontaiverbroitung der Kiefer (Pinus silvestris L.).
Neudamm 1904.
D e n g l e r neigt dazu, für die oben erwähnte Erscheinung die starken und häufigen Seewinde
verantwortlich zu machen, was mir indessen aus Gründen, deren Erörterung liier zu weit
führen würde, nicht hinreichend feststeht.
2) Wenn G r a d m a n n (Pflanzenlehen der Schwäbischen Alb. 1900, Pd. 1) meint, daß sich
unter dem Einflüsse der menschlichen Kultur weite Gebiete (Mitteleuropas seit der Stejipenzeit — ieli
möchte lieber sagen: seit dem Schlüsse der Dilnvialzeit — beständig wahlfrei orlialten hätten, so ist
trotz einigem Zweifel an der liichtigkeit dieser Ansicht doch ilire Möglichkeit für einzelne 'J’eile
des norddeutschen Tieflandes znzugehen. Aber irgend ein Beweis fehlt bislang. Es scheint v ie lmehr,
daß an den meisten Stellen unseres Landes in dem Anftroteii und Verschwinden, dem Sich-
ansbreiten und Wiederziirückgelien der Wälder ein wiederliolter A'eclisel stattgefunden hat, der mit
den Bewegungen der Völker, ihren Siodeluiigs- und Agrarverliältiiissen, ihren wechselnden jiolitischeii
Schicksalen, ihrer wechselnden wirtschaftlichen Lage im engsten Zusaiiimeiiliango stand. Bis in die
Gegenwart wird dnrcli solche rmstände und ihre sekundären l'olgen im iiordwestdentschen Tieflande
das gegenseitige Verhältnis von Wald und Heide hauptsächlich bestimmt, niclit durcli das unaufhaltsame
Walten von anßermenschlichen Naturkräften, wie G k a e b n e r (Die Heide Norddeutschlands.
1901) meint. Und ein gleiches gilt üherhaupt von dem Flächenverhältnis zwischen den natürlichen
und den Kiinstformationen.
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Noch sind in ilim die alten, autochthonen Pflanzenvereine vorhanden, wenn auch ihre
Areale durch menschlichen Einfluß verändert und verschoben, wenn auch viele nur
als zerstreute, immer kleiner und seltener werdende Inseln zwischen den Kulturformationen.
Ob die neuerlichen Bestrebungen, durch Gründung von Naturschutzbezirken
hier und da einen Rest des ursprüngliclien Bildes dauernd festznhalten, im
norddeutschen Tieflande von Erfolg gekrönt sein werden, bleibt abzuwarten').
Es ersclieint mir nicht unangemessen, diese Skizze der Entwickelungsgeschichte
unserer Flora durch die Bes])reehung der Einwanderung der pontischen und boreal-
alpinen Elemente derselben zu vervollständigen und zwar etwas ausführlicher, da
gerade diese Frage wiederholt Phytohistoriker beschäftigt hat.
Was zunäclist die Steppenptlanzen anlangt, so liegt es nahe, ihre Einwanderung
mit der Trockenperiode in Beziehung zu setzen, die gegen das Ende der Eichenperiode
bei uns stattgefunden hat.
Hier ist indes zu bemerken, daß nach meinen Befunden jene Trockenperiode
nicht so ausgeprägt gewesen sein kann, um einen Steppencharakter des Landes zu
bedingen. Immerhin hat sie wahrscheinlich eine größere Zahl trockener Standorte
erzeugt und es ist daher möglich, daß damals die Vertreter der pontischen Assoziation
eingewandert sind. In diesem Falle darf man sie natürlich nicht als Steppenrelikte
bezeichnen, wie gewöhnlich geschieht.
Nun steht es zwar fest, daß wenigstens der südliche Teil des norddeutschen
Tieflandes in einem ältern Abschnitte der Quartärzeit einen entschiedenen Steppencharakter
getragen hat, und man hat nicht verfehlt, die betreffenden Pflanzen als
Relikte gerade jener Zeit zu betrachten.
Aber seitdem wir wissen, daß sich zwischen diese Zeit, die nach meiner vorhin
dargelegten Überzeugung in den Schliißabschnitt der letzten Eiszeit fällt, und die
Gegenwart zwei niederschlagsreiche Perioden einschieben, die höchst wahrscheinlich eine
stärkere Ausbreitung des Waldwuchses begünstigten, hat jene Ansicht stark an Wahr-
scheinlichkeit eingebüßt. Träfe sie zu, so müßte überdies die heutige Verbreitung
der pontischen Pflanzen bei uns auf eine Einivanderung aus Süden deuten, w'ährend
bereits L o e w bemerkt hat 2) , daß diese vielmehr der Hauptsache nach auf eine Einwanderung
aus Osten hinweist. Ich für mein Teil halte es nicht für ausgeschlossen,
daß manche Kolonien der pontischen Assoziation erst in der Zeit nach der Beseitigung
der Wälder durch die Kultur entstanden sind. Die Gelegenheit zu ihrer Einschleppung
ist ja z. B. durch die von Zeit zu Zeit wiederkehrenden Massenvorstöße der Steppenhühner
in unser Gebiet sowie durch den menschlichen Verkehr in Krieg und Frieden
gegeben. Ihre Erhaltung an den mir bekannten Standorten des Tieflandes ist m. E.
lediglich dem Umstande zuzuschreiben, daß geschlossener, unterholzreicher Waldwuchs'
durch menschlichen Einfluß ferngelialten wii'd. Doch will ich nicht bestreiten, daß
bei ungebändigtem Wirken der Ströme auch unter natürlichen Verhältnissen auf neuen
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1) W e b e r , Über die Erhaltung von Mooren und Heiden im Naturzustände etc. Ahli.
Naturw. Ver. Bremen 1901, Bd. XV.
2) E. L o e w , Ül)er Perioden und Wege ehemaliger Pflanzenwanderimgen im norddeutschen
Tieflande. Linnaea 1878 u. 1879, Neue Eolge, Bd. V lll.