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3. Die Kohlensäureassimilation vom Standpunkt des
Metabolismus.
Von Prof. Max Kassowitz (Wien).
Meine H e rren ! Ich habe niii'. obwohl nicht Botaniker von Fach, das Wort
erbeten, weil ich geglaubt habe, einigem Interesse zu begegnen, wenn ich aus Anlaß
der anf der Tagesordnung stehenden Frage der Kohlensäureassimilation jene Auffassung
dieses Prozesses Ihrem maßgebenden Urteile unterbreite, welche ich. anf
streng metabolischem Standpunkt fußend, im ersten Bande meiner Allgemeinen Biologie
entwickelt habe.
Was verstehe ich nun unter Metabolismus oder metabolischem Stoffwechsel'?
Ich verstehe darunter die Verwendung von Nahrungstoffen — mögen sie nun in den
Organismus von außen eingeführt w'erden oder in ihm schon als Resei've vorhanden
sein — zum Aufbau von Protoplasma, und auf der anderen Seite den Zerfall von
Protoplasma unter Abgabe von Spaltungsprodukten, welche entweder als nicht mehr
verwendbare Auswurfstoffe nach außen befördert oder als formbildende Elemente
und als Reservestoffe abgelagert werden. Diesem metabolischen Stoffwechsel habe
ich den katabolischen gegenüber gestellt, welcher nach viel verbreiteter Annahme
darin bestehen soll, daß nähi-ende Stoffe, ohne zum Aufbau von Protoplasma verwendet
zu werden, unter einem unbekannten und nndefinierbai-en Einfluß dieses selben
Protoplasmas entweder direkt in Auswurfstoffe vei’wandelt werden oder andere absteigende
nnd aufsteigende Veränderungen erfahi'en. Während aber der metabolische
Stoffwechsel nicht im mindesten hypothetisch ist, weil es keinem Zweifel unterliegen
kann, daß lebendes Protoplasma auf Kosten von Nahrungstoffen heranwächst und
es ebenso sicher ist, daß die labilen chemischen Einheiten des Protoplasmas durch
die verschiedensten Einwirkungen und Reize zum Zerfall gebracht werden können,
werden die katabolischen Prozesse zwar von vielen Seiten theoretisch postuliert und
hypothetisch als bestehend angenommen; aber es existiert kein einziger stringenter
Beweis dafüi’, daß diese theoretisch deduzierten katabolischen Spaltungen und Synthesen
auch tatsächlich vor sich gehen. Natürlich sehe ich dabei ab von den enzymatischen
Spaltungen, durch welche nicht assimilierbare Stoffe mittelst der von den
lebenden Protojilasmen gelieferten Fermente in assimilierbare verwandelt werden, weil
diese Spaltungen, sobald die Enzyme einmal abgegeben sind, auch unabhängig vom
lebenden Protoplasma vor sich gehen können. Daß aber Zucker oder Fett direkt zu
Kohlensäure und Wasser oxydiert werden, daß aus Zucker Stärke oder Glykogen oder
Zellulose direkt hervorgehen, daß aus Ammoniak oder Salpetersäure Pflanzeneiweiß
und aus diesem Fibrin oder Muskeleiweiß oder Eieralbnmin oder irgend ein anderer
tierischer Eiweißkörper ohne metabolische Vermittlung von lebendem Protoplasma
gebildet werden können, das wird zwar vielfach auf Grund von hypothetischen Vorstellungen
angenommen, aber wir kennen keine einzige Tatsache, welche dazu zwingt,
diese hypothetischen Verstellungen als den Ausdruck wirklichen Geschehens zn betrachten.
Nicht weniger bedeutsam erscheint aber der Unterschied zwischen der metabolischen
und der katabolischen Auffassung der Stoffwechselvorgänge in der Beziehung,
daß wir uns über den Mechanismus der metabolischen Prozesse ganz bestimmte
konkrete Vorstellungen zu machen in der Lage sind, während die Kräfte, w'elche die
katobolischen Stoffumwandlungen vollführen sollen, in das tiefste Dunkel gehüllt sind.
Wenn wir also znnächst das Wa c h s t um d e s P r o t o p l a sma s auf Kosten
der Nahrung oder der Reservestoff'e ins Ange fassen, so besitzen wir hier einen testen
empirischen Llalt in der von niemandem mehr bezweifelten Tatsache, daß neues Protoplasma
sich niemals selbständig ans seinen Komponenten aufbant, sondern immer nni'
dann, wenn schon lebendes Protoplasma vorhanden ist und wenn das zum Aufbau
der neuen protoplasmatischen Teile geeignete Material in die molekulare Nähe des
vorhandenen Pi'otoplasmas gelangt. Daraus können wir aber unmöglich etwas anderes
schließen, als daß die chemischen Einheiten des lebenden Protoplasmas einen bestimmten
Einfluß auf die in ihre Aktionsspliäre gelangenden assimilierbaren Stoffe ausüben, und
zwar in der Richtung, daß sich diese zu neuen Einheiten derselben chemischen Struktur
oder einer sehr ähnlichen vereinigen. Man mag sich über diese assimilatorische Energie
welche Vorstellung immer machen, aber die Annahme einer solchen ist keine hypothetische,
sondern sie geht schon aus den beobachteten Tatsachen der assimilatorischen
Protoplasmabildung unmittelbar hervor, nnd überdies ist ihre Existenz auch durch
gewisse Beobachtungen der anorganischen Chemie vollständig gesichert, weil sich
gezeigt hat, daß auch hier gewisse Synthesen, welche ohne die Gegenwart der zu
bildenden Verbindungen entweder gar nicht, oder nur träge vonstatten gehen, sofort
in energischer Weise eingeleitet werden, wenn auch nur ganz geringe Mengen der zn
bildenden Substanz in intime Berührung mit den zur Synthese geeigneten Stoffen
gebi'acht werden ').
Aber auch die Spa l tun g der Molekü l e des l e ben den Pr o to p l a sma s
unter Abgabe von einfacher gebauten Spaltprodnkten ist nicht bloß eine Hypothese,
die richtig oder auch nicht richtig sein könnte, sondern sie ergibt sich nnmittelbai-
aus feststehenden em{)irisclien Tatsachen. Denn daß das lebende Protoplasma durch
Einwirkungen der mannigfaltigsten Art, durch mechanische (Stoß, Druck, Zerrung)
oder chemische (Ätzmittel, Gifte) oder thermische (V'erbrennnng. Erfrierung) oder
durch Elektrolyse zerstört und getötet werden kann und daß dabei die Bestandteile
des zerstörten Protoplasmas nicht etwa spurlos verschwinden, sondern als Spaltprodukte
seiner zerstörten chemischen Einheiten Zurückbleiben, das kann man wohl als
zweifellos hinstellen und man kann daraus nicht nur mit Bestimmtheit deduzieren.
1) Xälieres liierttber im ersten Bande meiner Allgemeinen Biologie, p. 193 ff. Wien 1899.