Schließlich waren bei fortschreitender Hebung die Konkurrenten, welche höhere Ansprüche
an die Nalirungszufnhr aus dem Boden stellten, ausgeschlossen und mehrere der vorher
zerstreut vorkommenden Felsen- und Geröllptlanzen konnten nun Formationen bilden.
In ähnlicher Weise kann man sicli die Entstehung der tropischen und subtropischen
Steppenptlanzen vorsteilen.
Entsprechend B der größeren Ausdehnung der tertiären Meere und der stärkeren
Zerteilung der Landmassen durch Meeresbuchten und Binnenseen waren die klimatischen
Differenzen zwischen den von den Pyrenäen bis zum Himalaja reichenden Gebirgs-
ländern keine so großen wie gegenwärtig, und es bestand namentlich in Mitteleuropa,
noch lange Zeit bis zum Eintreten der Glazialperiode, eine größere Mannigfaltigkeit
der Gehölze als jetzt, ähnlich derjenigen, welche wir heute nocli in den Wäldern der
Balkanhalbinsel, in den Wäldern der Krim, des Kaukasus, des Himalaja und Ostasiens
linden. Die gegenwärtig im nördlichen Teil des Mittelmeergebietes nur an den Küsten
auftretenden immergrünen Macchien erstreckten sich jedenfalls nicht bloß längs des
ganzen Südabhanges der Alpen, sondern auch wie gegenwärtig im südlichen Griechenland
weiter in die Täler hinein. Eine Gehölzllora vom Charakter, wenn auch nicht
von der Znsainmensetzimg der ans allen subtropischen Gebieten zusammengewürfelten
borromäischen Inseln, der Isola di Garda, von Gargnano und Miramare muß lange
am Südhang der Alpen verbreitet gewesen sein an Stelle der sparsam verteilten sub-
mediterranen Buschformationen, die wir heute antreffen.
Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß in jedem Hochgebirge, welches vor
der Tertiärperiode oder in der älteren Tertiärperiode bereits existierte, in den oberen
Regionen den klimatischen Bedingungen derselben angepaßte Arten sich entwickelt
haben, welche mit solchen der unteren Regionen verwandt sind, aber nur von einem
sehr geringen Bruchteil der in den unteren Regionen verbreiteten Typen ist ein Teil
der Nachkommen imstande, in die höheren Regionen aufzusteigen und daselbst etwas
modifiziert sich zu erhalten, sich zu vermehren und weiter zu verbreiten. Demzufolge
ist in den oberen Hochgebirgsregionen immer noch besiedelungsfähiges Terrain anzutreffen
und früher jedenfalls noch mehr vorhanden gewesen. Es haben daher die
Hochgebirgspilanzen, welche aus Arten der unteren Regionen aut den erloschenen
Gebirgen Mitteleuropas, auf den zahllosen Gebirgsketten Ost- und Zentralasiens, in
den einzelnen Teilen des Himalaja, des Kaukasus, der Balkanländer, der Alpen und
Pyrenäen entstanden sind, allmählich mehr Terrain gewinnen und auch unter Umständen
auf benachbarte Gebirgssysteme übersiedeln können. Plierbei sind folgende Punkte
festzuhalten: 1. Es sind verhältnismäßig nur wenige Familien und Gattungen, aus
deren montanen Arten Hochgebirgsformen entstanden sind; daher finden wir auf fast
allen Hochgebirgen der nördlich gemäßigten Zone, ja auch auf den ganzen Anden von
Nord- bis Südamerika in der alpinen Region vorherrschend dieselben Familien und
Gattungen. 2. Einzelne mit langdanernder Keimfähigkeit und Transportfähigkeit der
1) Der größte Teil der folgenden Ansfülirungen findet sich bereits wörtlich in meiner
Schrift über die Pflanzenformationen und die pflanzengeographische Gliederung der Alpenkette, im
Notizblatt des Königl. bot. Gartens zu Berlin. Apjiendix VIT, 1901.
Samen ausgerüstete Arten verbreiten sich leichter und kommen auch auf solchen
Gebirgen zur Entwicklung, in deren unteren Regionen ihre Verwandten nicht existieren.
Das sieht man namentlich deutlich an den Hociigehirgen des tropischen Afrika, in
welchen sich nur wenige Hochgebirgsformen entwickelt haben und bis zu welchen
auch einige Gebirgsarteii der europäischen und asiatischen Gebirge vorgedrungen sind.
3. Isolierte vulkanische Berge von geologisch jungem Alter wie der Vesuv, der Ätna,
das Kanierungebirge haben entweder gar keine oder nur sehr spärliche Hochgebirgsformen
zu erzeugen vermocht. 4. Während von einem Teil der alpinen Hochgebirgsformen
sich Verwandte in den unteren Regionen der Aljien selbst oder in der Mittel-
nieertiora finden, werden von anderen die Verwandten erst in den unteren Regionen
Ostasiens und von manchen auch gar keine in unteren Regionen angetroffen, ö. Daraus
ergibt sicli, daß die Geschichte der Alpenflora nur im Zusammenhang mit der Geschichte
der Flora der übrigen eurasiatischen Gebirge oder durch das monographische Studium
der einzelnen Gattungen zu verstehen ist. Man darf sich aber dabei nicht der Illusion
hingeben, daß man die Entwicklungs- und Verbreitungsgeschichte bis in das kleinste
Detail feststellen könne.
Es waren wohl am Ende der Tertiärperiode die meisten Hochgebirge der
nördlich gemäßigten Zone bereits vorhanden und hatten jedes ihre eigene Hochgebirgs-
hora, nur einzelne besonders verbreitungsfähige Arten waren von Gebirge zu Gebirge
gewandert. In jener Zeit entwickelten sich Formen, wie die Ramondia und Haberlea
in den Gebirgen der Balkanhalbinsel und den Pyrönäen, Dioscorea caucasica im Kaukasus
lind D. pyrenaica in den Pyrenäen; sie haben sich erhalten, während die
nächsten Verwandten, aus denen sie hervorgegangen sind, uns nicht mehr bekannt
sind. Jedenfalls besaßen am Ende der Tertiärperiode die einzelnen Teile der Alpen
schon mehrere ihrer altendemischen Felseniillanzen, namentlich Saxifraga, Campanula,
Primilla, Androsace, Verónica, die Paederota, Wulfenia, namentlich auch ihre Rho-
dodendra und andere, von denen wir heute näherstehende Verwandte im Alpenlande
sowohl wie anderwärts in Europa nicht kennen.
Dem ursprünglichen Zustande des Alpenlandes, in welchem dasselbe seine
eigene subalpine und alpine Flora über einem subtropischen und tropischen Pflanzengürtel
entwickelt hatte, wurde ein Ende gemacht durch das Eintreten der Glazialperiode.
Als dieselbe ihren Höhepunkt erreicht hatte, waren die Zentral- und Nordalpen von
Firnfeldern und Gletschern bedeckt, welche letzteren teilweise die Seen der Nordalpen
einnahmen und sich noch darüber hinaus erstreckten. Auch der größte Teil der Südalpen
wurde in gleieher Weise verändert und durch die oberitalienischen Seen reichten
ebenfalls Gletscher bis in die heutige Po-Ebene; aber ein Teil des Jura, der westliche
Teil der kottischen Alpen und der größte Teil der Seealpen sowie der ligurische
Apennin und das illyrische Gebirgssystem, das Karstland, das südwestliche Alpenvorland
und der Fuß des östlichen Abfalles der Alpen zeigen nicht die Spuren einer
dauernden Bedeckung mit Schnee und E is ; namentlich am Südabhang der Kette
ragten zwischen den vorgestreckten Gletscherzungen noch hohe Teile der Alpen, welche
jetzt durch starken alten Endemismus ausgezeichnet sind, frei empor und boten an
ihren steilen der Sonne zugänglichen Abhängen ausreichenden Platz für Erhaltung