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Wälirend man also in pre - LiNNiSsclien Zeiten kaum von eigentlicher
Systematik reden kann, war L in n a eu s ein ecliter Systematiker, für seine Zeit „liors
ligne“ ; er läßt sicli wolil am besten cliarakterisieren als ein ordmmgscliatfendes Genie.
Aber damit trat die Systematik nocli niclit in die Reihe der Wissenscliaften,
denn wenn ancli ordnen, arrangieren, katalogisieren, die Rasis aller Wissenscliaft ist,
Wissenscliaft ist es nocli niclit.
Zur Wissenscliaft gehört der Gedanke, die kausale Verbindung der beobacliteten
Ersclieinnngen. Keiner war sicli dessen besser liewnßt als L in n a eu s selber; reclit klar
sali er ein, daß sein System ein künstliclies war, daß es verkelirt war, verscliiedene
Gräser in verscliiedenen Klassen unterzubringen, nur weil die Zalil ilirer Staubfäden
verscliieden wai\ so daß er selber den Versncii machte, ein natürliciies System anf-
znstellen nnd selber den Systematikern die Wichtigkeit natürliclier Anordiuing vorliält
mit den Worten: „Prinuini et ultimum in parte systematica Botanices qnaesitum est
methodus natiiralis“.
Jedocli dies war leicliter gesagt als getan. Zwar folgten viele der Weisung
Lin n e s . icli brauche nur Namen wie de J u s s i e u . A. P. d e Ca n d o l l e , E n d l ic h e r
und B ro g n ia r t zu nennen, aber an ein natürliciies System in unserem Sinne, an
eines, welclies die Verwandtschaft der Gewädise zur Anscliauimg bringt, konnte niclit
gedaclit werden, solange das Dogma der Konstanz der Art nocli ailgeniein herrsclite. Der
erste, welclier, icli will niclit sagen mit schlagendem Erfolg, aber jedenfalls mit seiner
ganzen Kraft an diesem Dogma rüttelte, war der viel zu viel verkannte Lamarck.
Was ist eine Art? so fragt er, nnd antwortet: Man nennt eine Art jede
Gruppe von einander ähnliclien Individuen, welche von anderen dergleiclien Individuen
liervorgebraclit werden.
Diese Definition, so fährt er fort, ist riclitig, denn jedes lebende Wesen älinelt
der ,oder denen, welclie es liervorgebraclit haben. Aber was nicht riciitig ist, ist die
Annahme, welche man damit verknüpft hat, daß die Individuen, welche eine Art
bilden, nie in iliren Merkmalen variiren können nnd daß die Art demnacli etwas absolut
konstantes sei.
Diese Annahme, sagt er, nnd nnr diese, will icli bestreiten; und bekämpft
hat er sie, und, wenn aucli nicht aus dem Wege geräumt, so docli jedeniälls erschüttert.
Mit Recht sagt er, daß es scliwer liielt, bei den Pfianzen eine Verbindung
zwischen den verschiedenen Gruppen zu selien, viel schwerer als bei den Tieren, so
daß bereits A r is t o t e l e s eine natürlicliere Gruppierung für die Tiere aufstellte als
den Botanikern zur Zeit von L inn a eu s für die Pfianzen bekannt ivar.
Wie unnatürlich sogar die nach Lin n a eu s anfgestellten Systeme noch waren,
möge aus den zwei Umständen hervorgehen, daß A. P. d e Can d o l l e nocli 1819 den
Pteridophyten unter den Monokotylen, Br o g n ia r t nocli 1843 den Gymnospermen unter
den Dikotylen einen Platz einräumt.
Aber wie war es anders möglich, beschäftigte man sicli docli fast nocli ausschließlich
mit der äußeren Gestalt der Pflanzen und wurde an eine A'ertiefung unserer
Kenntnisse noch kaum gedacht. Diese Vertiefung erliielt die Systematik durch Herbeiziehnng
der Entwicklungsgeschichte, ein Gebiet, auf welchem der unvergeßliche W il h e lm
H o fm e i s t e r seine Triumphe feierte.
Es ist wirklich nicht wunder zu nehmen, daß A. P. de Ca ndol l e 1819 die
Pteridopliyten den Monokotylen einverleibte, galten docli 1840 die Farngewächse noch
fast allgemein für geschleclitslos oder maclite man sicli ganz willkürliclie Vorstellungen
über deren Gesclilechtsorgane oder nahm man eine ebenso willkürliche Analogie mit
den Blütenpflanzen an; ja , es erklärte Sc h l e id e n nocli 1843, daß sämtliche Moose,
Lycopodien, Farne und Equiseten gescliieclitslos seien, und erklärte alle Versuche, in
deren Spiralfäden oder Samentierclien ein Befruclitungsorgan zu erblicken, für reine
Träumereien. Ja, 1847 hält N ä g e l i nocli die Auffassung der Spiralfäden als Sexualzellen
oder als Infusorien für so ziemlich gleichberechtigt.
Ebensow'enig braucht es uns zu verwundern, daß B ro g n ia r t noch 1843 die
Gymnospermen unter den Dikotylen aiifnimmt, denn nocli 1849 wurde zwar deren
Analogie mit den Blütenpflanzen aufs eifrigste diskutiert, es hatte aber nocli keiner
an einen Vergleicli mit den Pteridophyten gedacht.
Dies alles w'urde mit einem Schlage durch die epochemaclienden Untersuchungen
eines damals selir jungen Menschen, von W il h e lm H o fm e i s t e r , geändert, Untersuchungen,
bei w'elchen man niclit weiß, w®as man mehr bewundern soll, die erstaunliche
Arbeitskraft, die fast übernatürliche manuelle Geschicklichkeit oder die geniale Einsicht.
Damit gewann die Systematik ihre wiclitigste Stütze, ihre erste wesentliche
Vertiefung, die Herbeizielumg der Entwicklungsgeschiclite.
H o fm e i s t e r s Bedeutung läßt sicli wohl nicht besser ausdrücken als mit
J u l iu s v . Sachs Worten:
„Vor dem Leser von H o fm e i s t e r s vergleichenden Untersuchungen entrollt
sich ein Bild des verwandtschaftliclien genetischen Zusammenhangs der Kryptogamen
und Phanerogamen, dessen Wahrnehmung mit dem damals lierrsclienden Glauben an
die Konstanz der Arten nicht vereinigbar war. Es handelte sich hier nicht um Aufstellung
von Typen, sondern nm die Erkenntnis eines entwicklnngsgeschiclitlichen
Zusammenhangs, der das Allerverschiedenste, die einfachsten Moose mit den Palmen,
Coniferen und Laubhölzern eng verknüpft erscheinen ließ.
Mit der Annahme, daß jede natürliche Gruppe des Pfianzenreichs eine „Idee“
repräsentiere, war hier nichts melir zu maclien; die Vorstellung von dem, was das
natürliche System zu bedeuten liabe, mußte sicli gänzlicli ändern, ebenso w'enig wie
ein bloßes Faciuverk von Begriffen konnte es als eine Gesamtlieit platonisclier Ideen
gelten. Aber auch in methodologisclier Hinsiclit w'ar das Resultat der „vergleichenden
Untersuclmngen“ durchsclilagend. Für die Morphologie standen jetzt die Kryptogamen
im Vordergrund; die Muscineen w'aren das Maß, mit dem die niederen Kryptogamen,
die Farne das Maß, mit dem die Plianerogamen gemessen werden mußten. Die
Embryologie war der Faden, der in das Labyrint der vergleichenden und genetischen
Morpliologie führte; die Metamorpliose gew'ann jetzt ihren einzigen richtigen Sinn, in
dem sicli jedes Organ auf seine Stammform, die Staub- nnd Fruchtblätter der Phanerogamen,
z. B. auf die sporentragenden Blätter der Gefäßkryptogamen zurückführen
ließen. Was H a e c k e l erst nacli Darwins Auftreten die phylogenetische Methode