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nannte, hatte H o f m e i s t e r in seinen „vergleichenden Untersuchungen“ lange vorher
und mit großartigstem Erfolge wirklicli diirchgeführt. Als aclit Jalire nach H o f m e i s t e r s
vergleichenden Untersuclmngen D a r w in s Deszendenzlelire erschien, lagen die ver-
w'andtschaftlichen Bezieliiingen der großen Abteilungen des Pflanzenreiches so offen,
so tiefbegründet nnd so dnrclisiclitig klar vor Augen, daß die Deszendenztheorie eben
nur anzuerkennen brauclite, w'as liier die genetisclie Morpliologie tatsäclilich zur An-
schaiinng gebracht hätte.“
Trotzdem dies ja im großen und ganzen riclitig ist, scheint mir docli darin
eine Verkennung der Evoliitionslehre zu liegen, denn H o f m e i s t e r sah nur Analogien;
kein Gedanke an Blutsverwandtscliaft verknüpfte die errungenen Tatsachen, seine
Untersuchungen waren — es sei in vollster Anerkennung seiner ungelieuren Verdienste
gesagt — dennocli nur einen Haufen schön behauter Steine — welche den
Baumeister erw'arteten, der aus ilmen den Evolutionsbau zusammenstellen wdirde.
Dieser Baumeister war und bleibt C h a r l e s D a r w in . Vor ilim liat man
zwar versnclit, natürliclie Systemen aufziistellen, aber trotz L am a r c k s wiclitigen Vorarbeiten
fühlte keiner dabei festen Boden unter den Füßen.
Will man ein anderes Bild, um D a r w in s Bedeutung für die Systematik klarzulegen,
so denke man sich die standesamtliche Eintragung sämtlicher Kinder in
einem großen Lande zw'ar gewissenliaft ausgefülirt, ja sogar mit sorgfältiger Eintragung
des Curriculum vitae eines jeden Individuums, aber olme daß dabei notiert
wurde, von welclien Eltern die Kinder abstammten. Die Aufgabe, welclie D a r w in
eiwvartete, war zw'ar nicht, die Verwandtscliaft des einzelnen genau festzustellen, aber
dennoch in großen Zügen eine walirscheinliche Theorie über die Blutsverwandtschaft
dieser Individuen aufziistellen. Eine fast verzweifelnde Aufgabe, welche er dennoch
gelöst hat.
Erst mit D a r w in s Theorie trat die Systematik in die Reihe der eigentlichen
Wissenschaften, fiel ihr die Aufgabe zu, ein System aufzubauen, welches die Blutsverwandtschaft
der Gewächse zum Ausdruck bringt.
So stehen dann vier Männer verschiedener Nationalität als die Heroen der
Systematik da. Der Schwede L i n n a e u s , der in richtiger Beschränkung: „varietates
minores non curat botanicus“ zunächst Ordnung schuf, der Franzose L a m a r c k , der
dem Dogma der Konstanz der Art angriff, der Deutsche W i l h e l m H o f m e i s t e r ,
der durch die Herbeiziehung der Entwicklungsgeschichte eine sehr wesentliche Vertiefung
unserer Kenntnisse' über die Beziehungen der Pfianzengrnppen untereinander
herbeiführte, und der Engländer Ch a r l e s D a r w i n , der uns lehrte, daß all dieses
erst seine Bedeutung erhielt durch die Betrachtung der Gewächse als Zweige eines
Stammbaumes, der uns auf die Blutsverwandtschaft der Pflanzen aufmerksam machte.
In dieser Periode, in die der phylogenetischen Systematik, leben wir noch
heute und unser Streben ist mir darauf gerichtet, dieses System dnrch weitere ^'er-
tiefung unserer Kenntnisse ausziibauen.
Zwar werden wir nie das Endziel, die vollständige Rekonstruktion des Stammbaumes,
erreichen, aber einen möglichst großen Teil des dorthin führenden Weges
wollen wir doch durchlaufen. Weshalb verzweifeln, weshalb soll ich nicht bis Wien
reisen, wenn ich auch weiß, daß hinter Wien noch viele tausend Kilometer von eisernen
Schienen sich ausdehnen nnd ich Wladiwostock wohl nie besuchen werde?
Zwar stimme ich vollkommen meinem hochverehrten Lehrer S o l m s -L a u b a c h
bei, wenn er am Ende seiner Cruciferenstiidien sagt'): „Ein phylognetisches System,
wie manch einer es mit jugendlicher Zuversicht von der Zukunft erhofft, wird stets
ein piiim desiderium bleiben“, und ich muß ihm glauben, wenn er sagt: „Es ist mir
aber sehr unwahrscheinlich, daß man jemals wesentlich weiter in deren, der Cruci-
feren, Phylogenie wird eindringen können“, aber diesen Satz möchte ich nicht verallgemeinern
und sagen, es sei eine wesentliche Vertiefung unserer phylogenetischen
Kenntnisse kaum zu erwarten.
Das Gegenteil doch wurde uns von S c o t t und seinen Mitarbeitern gezeigt,
welche durch ihre schönen Untersuchungen über die Gruppe der Cycadofilices einen
wesentlichen Fortschritt des phylogenetischen Systems herbeigeführt haben, und auch
H a l l ie r s Versuch eines phylogenetischen Systems, wenn auch noch recht phantasiereich,
scheint mir ein Schritt in der guten Richtung.
Mir scheint im allgemeinen eine zu große Abneigung gegen Phantasie in der
Wissenschaft zu herrschen. Die Phantasie ist eine göttliche Gabe, welche anf Erden
niedergekommen von uns Menschen nur zu gern gerupft wird. Und dieses Rupfen
ist nicht nur nützlich, sondern geradezu notwendig, denn so tritt die nackte Wahrheit
zum Vorschein. Phantasieren nnd rupfen wir also ruhig weiter, jeder nach seiner
Art, so wird sich schließlich die Göttin der Wahrheit in ihrer unbedeckten Schönheit
uns zeigen, und Phantasierender nnd Rupfender gelangen so zum gleichen Ziel!
Wir haben also schon gesehen, wie sich die Systematik der Hilfe der
Paläontologie, der Deszendenzlehre und der Entwicklungsgeschichte bedient hat; sehen
wir, ob sie sich nicht noch weiterer Hilfstruppen bedienen kann. Von der Entwicklungsgeschichte
zur Cytologie ist nur ein Schritt, welcher jedoch selbstverständlich
erst zuletzt getan wurde, denn ohne eine in allen Einzelheiten durchgearbeitete
Methode konnte sie keine Resultate abwerfen.
Knüpfen wir, zu unserem eigentlichen Thema, dem Einfluß der Cytologie
auf die Systematik übergehend, wiederum an H o f m e i s t e r s Untersuchungen an.
In dem Rückblick seiner vergleichenden Untersuchungen sagt er wörtlich:
„Der Vergleich des Entwicklungsganges der Laub- und Lebermoose einerseits,
der Farne, Equisetaceen und Lycopodiaceen andererseits, zeigt die vollste Übereinstimmung
der P’ruchtbildung der einen mit der Embryologie der anderen. Das
Archegonium der Moose, das Organ innerhalb dessen die Fr u c h t a n l a g e gebildet
wird, ist vollkommen gleich gebaut dem Archegonium der Farne dem Teil in dessen
Innerem der Embryo der wed e l t r agenden P f l a nze entsteht.
Moose und Farne bieten somit eines der auffälligsten Beispiele eines regelmäßigen
Wechsels zweiei- in ihrer Organisation weit verschiedener Generationen.
Die erste derselben aus der keimenden Spore hervorgegangen, entwickelt Antheridien
und Archegon len.
1) Bot. Ztg. 1903, p. 70.