zu den Problemen übergehen, die sicli ans der Beobachtung der Regenerationserscheinungen
ergeben nnd dabei zunächst anknüpfen an einen Satz, den T u r p in im
Jahre 1839') ausgesprochen hat. Dieser Satz lautet, „daß in allen Geweberegionen
einer Pflanze das Leben gleiclimäßig verteilt nnd in unzählige Einzelzentren konzentriert
ist, ans denen durch Reizung die Entwicklung eines embryonalen, die Art erhaltenden
Körpers hervorgehen kann“. In die heutige Sprache übersetzt, würde das
lauten: Alle Zellen einer Pflanze sind äcpiipotentiell, jede kann unter bestimmten Ura-
stännden zn einer ganzen Pflanze lieranwachsen.
Dieser TuRPiNsclie Satz tritt zwar äußerlich als Zusammenfassung von Beobachtungstatsachen
auf, in Wirklichkeit aber ist er eine auf einer sclimalen Basis von
Erfahrungen anfgebaute Verallgemeinerung und schließt — obwohl auch spätere
Autoren zn denselben Anschaunngen gelangt sind — eine Reihe von noch keineswegs
gelösten Pi'oblemen ein. Es ergeben sich aus ihm die folgenden Fragen: Sind
wirklich alle Zellen eines Pflanzenkörpers gleichmäßig regenerationsfähig, und was ist
der Reiz („excitation“), der sie zur Regeneration veranlaßt? An diese schließen sich
dann zwei weitere, zwar niclit T u r p in , teilweise aber anderen älteren Beobachtern
zum Bewußtsein gekommene Probleme: die Frage nach der Qualität der bei der Regeneration
erscheinenden Neubildungen und die nach ihrer Anordnung, speziell nach
den Ursachen der so häufig zu beobachtenden polaren Verteilung.
§ 1. Aquipotentialität und Regenerationsfähigkeit der Zellen.
Daß die Entscheidung darüber, ob alle protoplasmahaltigen Zellen eines
Pflanzenkörpers gleich regenerationsfähig sind oder nicht für unsere Gesamtauffassung
der Entwicklung von großer Bedeutung ist, braucht kaum liervorgelioben zu werden;
denn anders ausgedrückt lautet die Frage: Wie geht eigentlich die Entwicklung von
der Eizelle oder Spore aus vor sich? Sind die durch Teilung entstandenen Zellen untereinander
ursprünglich gleichartig (und deshalb ebenso wie die Keimzelle imstande den
ganzen Organismus hervorzubringen) und nur durch ihre Beziehungen zu anderen Zellen
und zur Außenwelt, in bestimmter Richtung, aber nicht dauernd induziert resp. modifiziert,
oder werden die einzelnen Zellen im Laufe der Entwicklung ungleichartig und
erhalten von vornherein einen besonderen Stempel aufgeprägt, der sie ein für allemal
voneinander verschieden erscheinen läßt? Das Resultat der bisher vorliegenden
Beobachtungen läßt sich wohl dahin zusammenfassen, daß die Regenerationsfähigkeit
der Zellen eine um so größere ist, je weniger scharf die Arbeitsteilung zwischen den
einzelnen Zellenformen durchgeführt ist. Der TuRPiNsche Satz gilt also z. B. für
die Moose in weiterer Ausdehnung als für die höheren Pflanzen, und auch bei den
Moosen nicht für diejenigen Zellen, die am meisten von den anderen abweiclien, wie
z. B. die Rhizoiden nnd Schleimpapillen der Lebermoose, Zellen, welche, obwohl sie
Protoplasma enthalten, soweit wir wissen ihre Teilungsfähigkeit und damit auch die
Regenerationsfähigkeit eingebüßt haben, was in der neueren Literatur, welche vielfach
1) Comptes rendus de l ’academie des sciences, Paris 1839, p. 439.
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alle Zellen eines Lebermoosthallus für regenerationsfähig erklärt, vielfach nicht beachtet
worden ist. Aber es liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß es sich dabei nur um eine
im V e r la u f d e r E n tw ic k lu n g eingetretene Umänderung der Zellen- resp. Protoplasmaeigenschaften
handelt. Denn es ist kaum zu bezweifeln, daß eine sehr jugendliche
Rhizoidzelle oder Schleimpapille zur Regeneration der ganzen Pflanze veranlaßt werden
könnte. Wenigstens hat Gie s e n h a g e n B für Chara gezeigt, daß man die jungen Rhizoiden
zu Sprossen (Zweig-Vorkeimen) umbihlen kann, und so dürfte es sich auch für die
Lebermoosrhizoiden nur darum liandeln, auf welchem, früheren oder späteren, Ent-
wicklnngsstadinm der Verlust der Regenerationsfähigkeit eintritt, zumal z. B. die
Rhizoiden einer Anzahl von mir untersuchter Gottschea-Arten schon normal zu ziemlich
umfangreichen Zellkörper werden. Es knüpft sich daran naturgemäß die weitere
Frage, worauf der Verlust der Regenerationsfähigkeit beruht, welche inneren Veränderungen
in der Zelle diesen also bedingen. Für die Beantwortung dieser Frage liegen bis
jetzt keine Anhaltspunkte vor. Wir können es einer Zelle nicht direkt ansehen, ob sie
regenerationsfähig ist oder nicht. Denn wenn wir z. B. sagen würden, sie ist um
so regenerationsfähiger, je mehr sie ihren embryonalen Charakter behalten hat, so ist
dies keine Erklärung, sondern nur eine Umschreibung der Tatsache, daß allerdings
Gewebe, welches wir als embryonal bezeichnen, d. h. welches besteht ans Zellen, die
sich durch ihre Teilungsfähigkeit und iliren reichen Plasmagehalt auszeichnen, besonders
regenerationsfähig sind, und daß auch Zellen, welche in den Dauerzustand übergegangen
sind, bei der Regeneration erst wieder embryonal werden müssen. Aber
dieses Embryonalwerden ist eben nichts anderes als der Beginn der Regeneration selbst,
also eine Folge des die Regeneration bedingenden Reizes, nicht seine Ursache, wie dies
namentlich aus N olls B Untersuchungen an Siphoneeii mit besonderer Deutlichkeit hervorgeht.
Die Tatsache, daß embryonales Gewebe durch die ganz besonders rasch
eintretende Fähigkeit, verloren gegangene Teile zu ergänzen, ausgezeichnet ist, ist
allerdings von fundamentaler Bedeutung. Es ist dies aber eine Erscheinung, die
keineswegs auf Organismen beschränkt ist, sie kehrt auch bei Kristallen wieder, und
die Einw'endungen, welche man gegen einen Vergleich der Kristallregeneration mit
der bei Organismen eintretenden vorgebracht hat, sind nach den Untersuchungen von
P rz ib ram ") wohl nicht mehr haltbar. Diese Eigenschaft des embryonalen Gewebes,
verlorene Teile ergänzen zu können, ist um so mehr hervorzuheben, als hierin die
pflanzlichen Regenerationserscheinungen mit den tierischen übereinstimmen.
Bei Tieren tritt ungemein deutlich hervor, daß wenigstens in der Mehrzahl
der Fälle die Regeneration darin besteht, daß das Verlorene wiederhergestellt
(repariert [Wit t r o c k ] oder restituiert [Kü s t e r ]) wird. Eine Eidechse, welche den
1) G i e s e n h a g e n , Untersuchungen über die Characeen, 1. Heft, Marburg 1 9 0 2 , Tafelerklärung
zu Taf. II, Fig. 6.
2 ) N o l l , Beobachtungen und Betrachtungen über embryonale Substanz. Biolog. Zentralblatt
1 9 0 3 .
3) PßziBRAM, Forinregulationen verletzter Kristalle (Zeitschr. f. Kristallographie, Bd. XXXIX,
1904). Es wird hier namentlich gezeigt, daß die Kristalle ihre Form nach Verletzung herzustellen
vermögen, auch dann, wenn keine absolute Massenzunahme des Kristalls erfolgen kann.
Resultats seientifiques du Congrès inteinalional de Botanique. ^5