K)
worden. Wir kennen namentlich durch N a t h o r s t B aus den Torfmooren Mitteleuropas
die Reste einer arktoalpinen Flora, die uns vergewissern, daß das Land, das nach
unserer Folgerung über der Baumgrenze gelegen gewesen war, wirklich dem Bereiche
der alpinen Region angehörte.
Was vom germanischen Mitteleuropa gilt, gilt vollinhaltlich auch von den
angrenzenden Teilen Westeuropas, vom eisfrei gewesenen Süden Englands, vom ganzen
nördlichen und mittleren Frankreich; denn hier lag die eiszeitliche Schneegrenze
allenthalben sehr tief, im Norden kaum GOO m, im Süden, im französischen Zentralplateau
etwa 1000 ni hoch. Das sind Llöhen der Schneegrenze, welche heute unter
sich gar keinen oder nur einen sehr bescheidenen Raum für den Banmwuchs lassen
würden; wir haben uns deswegen das atlantische Gestade Europas während der
Eiszeit erst etwa von der aqnitanischen Küste an bewaldet zu denken, sonst herrschte
Tundra. Dagegen haben wir es östlich vom germanischen Mitteleuropa mit einem
ziemlich raschen Ansteigen der eiszeitlichen Schneegrenze zu tun. In der Tatra ist
sie in 1500 m Höhe, am Ostabfalle der Alpen in mehr als 1500 m, in den östlichen
Waldkarpathen auf 1800 m Höhe zu veranschlagen und über dem Ui-al lag sie so hoch,
daß dies Gebirge nach unserer gegenwärtigen Kenntnis unvergletschert gewesen ist.
Hiernach ist denkbar, daß das große nordische Inlandeis in Galizien und im mittleren
Rußland unterhalb der Baumgrenze geendet hat, selbst wenn man sich diese in etwas
größerem Abstande als 800 m unter der Schneegrenze gezogen denkt. Aber es muß
sich fragen, ob die anderweitigen klimatischen A^erhältnisse auf der sarmatischen
Seite der großen nordischen Vereisung dem Baumwuchse günstig waren. Wir müssen
in Betracht ziehen, daß jene das Klima ihrer Umgebung notwendigerweise beeinflußte.
Nicht nur sperrte sie im Verein mit der alpinen A^ereinigung den Osten Europas
vom Meere ab und fing die von letzterem kommende atmosphärische Feuchtigkeit auf,
sondern sie rief auch besondere Winde hervor. Wie dies geschahj können wir nach
den Ergebnissen der letzten antarktischen Expeditionen nunmehr mit Sicherheit aussprechen.
Sie erwiesen, daß über dem antarktischen Inlandeise eine große Antizyklone
lagert, von welcher die Luft konstant abströmt, so daß die vorherrschenden Westwinde
der höheren Südbreiten am Saume des Eises von Ostwinden abgelöst werden.
Ähnlich müssen die Dinge an dem einige Millionen Quadratkilometer messenden
nordischen Inlandeise gelegen gewesen sein: es mußte ein Luftdruckmaxinium an
sich knüpfen, von dem Luft abfioß, an der sarmatischen Seite in Gestalt nördlicher
und östlicher AVinde, welch letztere bis in das germanische Mitteleuropa hinein an
Stelle der heutigen vorwiegend westlichen AATnde geweht liaben müssen 2). Diese
AVinde konnten nur trocken und mußten meist kalt sein, sofern sie nicht föhnartigen
Charakter annahmen. Man hat danach auf ein steppenartiges Klima auf der Kontinental
und Südseite der nordischen A-ergletschernng zu folgern, welches dem Baum-
1) Über den gegenwärtigen Standpunkt unserer Kenntnis von dem A’^orkommen fossiler
Glazialpflanzen. Biliang tili K. Svenska Yet.-Akad. Handl. 1892, Bd. XA"I, 3.
2) Solclie östliche Winde hat bereits C. A. W e b e r am Südrande der nordischen Yereisnng
angenommen. Über die fossile Flora von Honerdingen. Abhandl. d. naturw. Vereins Bremen 1896,
Bd. XIII, p. 413 (452).
wiichse ungünstig war, so wie z. B. heute das Klima des nördlichen Zenlralasien.
Nun kennen wir im Süden und Osten des nordischen Inlandeises ein eigenartiges
Gestein, den Löß, dessen Ursprung und Entstehimg viel umstritten ist, welcher
aber in neuerer Zeit mehr und mehr als äolisches Produkt aufgefaßt wird, nachdem
sich gezeigt hat, daß er niclit das sein kann, als das er anfänglich gedeutet worden
ist. nämlich der Überschwemmungsplatz von Flüssen; denn er reicht, wo er auch
auftritt, hoch über die Grenzen der Flußanscliwemmnngen des Eiszeitalters hinaus.
Dabei ist aber, unverkennbar, daß der Löß an den letzteren in gewissei- Beziehung
steht; er zeigt in ihrer Nähe seine stattlichste Entfaltung, und alles weist darauf hin,
daß er den vom Winde verwehten Hochwasserscldamm darstellt, der zu den pleisto-
zänen Schotter- und Sandablagernngen gehört. In der weiteren Umgebung AATens
läßt sich erkennen, daß er nach AVesten hin verweht ist; westlich vom bi'eiten Tullner
Felde lappt er in der Gegend von Krems und Langenlois hoch empor am Ostabfalle
des boischen Rumpfes. Nur Ostwinde können ihn Inerher gebraclit haben während
einer Zeit, da ein Steppenklima herrschte.
Einige Forscher B haben bereits den Löß Mittel- und Osteuropas als den
eiszeitlichen Steppen-Staub von der Kontinental- und Südseite des großen nordischen
Inlandeises gedeutet, doch liat sich Iner bisher wenigstens nirgends ein stratigraphisch
verfolgharer Konnex zAvischen ihm und den Eiszeitbildnngen ergeben. Auf der Nordseite
der Alpen hat sich allenthalben gezeigt, daß er auf den verwitterten äußeren
Moränen aufruht, während er das Bereich der frischen inneren meidet, und daß an den
wenigen Stellen, wo er mit den letzteren in Berührung kommt, er von denselben überlagert
wird. Er spielt am Nordfuße der Alpen die Rolle eines Fremdkörpers zwischen
Moränen, und erscheint hier nicht als die Ablagerung einer Eiszeit, sondern als die
einer zwischen Eiszeiten sich einschaltenden Interglazialzeit. Auf der Südseite der Alpen
ist aber in der Gegend von Turin ein viel jüngerer Löß vorhanden, und das Studium
der im jüngsten Löß Niederösterreichs auftretenden paläolithischen Funde hat ergeben,
daß dieselben mit solchen der Postglazialzeit, nämlich denen des Magdalénien, in so enger
A’^erwandtschaft stehen, daß zwisclien beiden unmöglich ein gr o ße r Altersunterschied
bestehen kann. Hiernach ist anznnehmen, daß die Lößbildung länger angehalten hat,
als sich auf Grund der Lagerungsverhältnisse am Nordsanme der Alpen bisher ergeben
hat, und nicht ausgeschlossen ist, daß ein Teil des Lösses von Niederösterreich, Mähren
und Ungarn, vielleicht auch ein Teil des norddeutschen, des galizischen und russischen
Lösses die Steppenablagerung am Kontinental- und Südsanme des großen nordischen
Inlandeises darstellt, die wir aus theoretischen Gründen zu gewärtigen haben, während
der Löß, der sich bis an die alpinen Moränen hei'an erstreckt, einer älteren Phase angehört.
Klarheit (.larüber kann erst eine genauere Untersuchung jener Lößablagerungen bringen.
Heute läßt sich nur noch sagen, daß die Säugetierfaiina des jüngeren Löß die größte
Ähnlichkeit mit der rein eiszeitlicher Ablagerungen hat; wir begegnen in ihr einen selt-
1) S a u e r , Über die äolische Entstehung des t^öß am Rande der norddeutschen Tiefebene.
Zeitschr. f. Xaturwiss. 1889. P a u l T u t k o w s k i , On the origin of the Loess. Scott. Geogr. Mag.
1900, Vol. XVI, p. 171.
Kesultats scientifiqiios du Congres international de Botanique.