
 
		G.  Bei  denjenigen  Pfianzen,  an  welclien  gewisse  Organe  sicli  durch  irgend  ein  
 Aroma  auszeichneii,  nimmt  dieses  Aroma,  vorausgesetzt,  daß  die  Pflanze  ilire  volle  
 Reife  erlangt,  zu,  je  weiter  nacli  Norden  man  kommt,  wälirend  dagegen  die  Ziicker-  
 mengen,  wenigstens  in  den  Frücliten,  abnelmien. 
 Diese  Sätze  erregten  innerlialb  der  botanischen  Faclikreise  große  Aufmerksamkeit, 
   und  man  konnte  sie  sogar  bis  auf  die  neueste  Zeit  liinab')  als  Beweis  dafür  
 aiigefülirt  selien,  daß  dnrcli  direkte  Anpassung  der  Pflanze  an  äußere  Lebensverliält-  
 iiisse  Mutationen  entstellen  können. 
 Es  mußte  ja  nun  nahe  liegen,  diese  ausgezeichneten,  erworbenen Eigenschaften  
 von  Pflanzen,  die  in  nördliclien  Breiten  wiiclisen,  in  der  Praxis  ausziinützen;  denn  
 es  mußte  in  südlicliereri  Ländern  ja  vorteiiliaft  sein,  sicli  derartig  wertvolle  Samen  
 zur  Aussaat  zu  versciiaflen,  selbst  wenn  sie  etwas  melir  kosteten.  Es  wurden  denn  
 aiicli  von  praktisclien  Leuten  besonders  in  Schweden  Versuche  gemacht,  die  S c h ü b e -  
 LERschen  Naturgesetze  ökonomisch  aiiszunützen  durch  einen  Export  nordischer  Samen  
 nacli  südlicliei-en  Ländern.  Es  zeigte  sicli  aber  doch  selir  bald,  daß  die  großen  Hoif-  
 nnngen,  die  man  anfänglicli  in  dieser Hinsicht  hatte,  sicli  nicht  erfüllten;  in  der  Praxis  
 kam  nämlicli  zutage,  daß  Samen  aus  nördliclien  Gegenden  eine  besondere  Überlegen-  
 heit  niclit  aufwiesen,  wenn  sie  in  südliciien  Ländern  ausgesät  wurden,  und  der  beab-  
 sichtigte  Sanienexport  sclirumpfte  bald  zu  einer  Uiibedeiitendlieit  zusammen. 
 Es  dürfte  datier  an  der  Zeit  sein,  die  ScHÜBELERsclien  Beliaiiptungen  einer  
 kritisciien  Untersucliung  zu  imterzielien,  zumal  da  die  Forscliungeii  des  letzten  Dezenniums  
 über  Mutationen,  Bastardierung  und  die  ökologischen  Verliältnisse  der  Pflanzen  
 bedeutungsvolle  und  zum  Teil  ganz  unerwartete  Resultate  gebracht  haben.  Es  
 ei sclieint  daher  schon  a  priori  als  möglicli,  daß  man  jetzt  bei  näheiem  Studium  der  
 Tatsaclien,  welclie die Grundlage der ScHÜBELERschen  Gesetze  bilden,  zu  anderen  Folgerungen  
 gelangt,  als  wie  sie  vor  2 0 - 4 0   Jahren  natürlicli  und  möglicli  waren. 
 E s   sind  viel-  verschiedene  Arbeiten,  in  denen  F .  C.  S c h ü b e l e r ")  nacli  und  
 nacli  die  latsaclien  niedergelegt  liat,  auf  welclien  er  die  erwähnten  sechs  Gesetze  
 auf gebaut  liat.  In  Wirklichkeit  stellt  er  indessen  diese  Gesetze  in  ihren  Haiiptziigen  
 schon  in  der  ersten  jener  Arbeiten  (1862)  auf  und  sammelt  später  Beobaclitungen  
 offenbar  mit  dem  Ziele  vor  Augen,  jene  Sätze  ausführlicher  zu  begründen. 
 Schlägt  man  in  der  erstgenannten  Arbeit  („Kulturpflanzen“,  p.  24)  nacli,  
 so  findet  man,  daß  S c h ü b e l e r s   Versuche  nur  darin  bestanden,  daß  er  Samen  verschiedener  
 Pflanzenarten,  welche  in  Kanada,  Frankreicli  oder  Deutschland  gesammelt  
 waren,  in Norwegen  (den  größten Teil  in  Cliristiania,  einige  in  Trondhjem)  aussäen  ließ; 
 1)  II. VON YVe t t s t e in ,  „Der gegenwärtige  Stand unserer Kenntnisse betreffend die Neubildung  
 von  Formen  jm   Pflanzenreiclie“.  (Bericht  d.  Deutsch,  bot.  Ges.,  Berlin  1901,  Bd.  XYHII,  p.  198). 
 —  I d e m ,   „Über  direkte  Anpassung“,  YVien  1902,  p.  15. 
 2)  F.  C.  S c h ü b e l e r ,  „Die  Kulturpflanzen  Norwegens“.  Cliristiania  1862.  —  I d em ,  „Die  
 Pflanzenwelt  Norwegens.  Ein  Beitrag  zur  Natur-  und  Kiüturgescliiclite  Nordeuropas“.  Cliristiania  
 18i3—75.  —  Idem,   „Y'äxtlivet  i  Norge  med  särligt  Hensyn  tit  Plantegeografien“ .  Cliristiania  1879. 
 -   I dem,   YOridarium  norvegicuiii.  Norges  Y'äxtrige.  Et  Bidrag  til  Nord-Europas  Natur-  og  Cultur-  
 historie,  Cliristiania  1886—1889,  Bd.  I  bis  III. 
 er  beoliaclitete  dann  an  den  Samen  eine  Gewichtszunahme  von  bis  71  Proz.  Auf  der  
 anderen  Seite  ließ  er  Samen  aus  Norwegen  in  Breslau  aussäen,  wo  man  eine  Gewichtsabnahme  
 von  bis  27,6  Proz.  feststellte.  Diese  Versuclie  sind  jedocli  im  allgemeinen  
 nur  ein  einziges  Jalir  lang  und  in  Massenkultiir  ausgefülirt  worden,  und  man  liat  
 keine  Bürgschaft  dafür,  daß  die  ausgesäten  und  die  abgeernteten  Samen  nach  ein-  
 heitlichen  Grundsätzen  vergliclien  sind,  da  nämlich  die  Einsainmlung  an  den  verschiedenen  
 Stellen  von  verschiedenen  Personen  vorgenommen  zu  sein  sclieint.  Die  
 Versuclie  ermangeln  datier  der  wesentlichsten  Bedingungen,  um  wirklicli  als  streng  
 komparativ  gelten  zu  können. 
 Daß  die  Vegetationsdauer  sich  nacli  Norden  zu  stark  verkürzt,  scldießt  
 S c h ü b e l e r   ebenda  („Kulturpflanzen“,  p.  26),  wie  es  scheint,  im  wesentlichen  aus  
 dem,  was  man  ilim  über  Getreideaussaat  und  Erntezeit  in  Alten  (in  Norwegen  70° 
 11.  Br.)  erzählt  liat,  sowie  aus  den  Angaben  eines  schwedischen  Journals  über  Saat-  
 imd  Erntezeit  in  Piteä  (65°  19'  13"  n.  Br.)  aus  den  Jahren  1740—51  und  in  Upsala  
 (59°  51'  34"  n.  Br.)  aus  den  Jahren  1747—52.  Daß  der  Farbstoff  in  den  Früchten  
 nacli  Norden  hin  zunimmt,  schließt  S c h ü b e l e r   („Kulturpflanzen“,  p.  29)  aus  selir  
 wenigen  und  keineswegs  einwandfreien  Versuchen  unter  anderem  mit  Weizen  aus  
 Bessarabien,  der,  naclidem  er  einige  Jahre  in  Norwegen  gewachsen  war,  mehr  gelbbraun  
 wurde,  mit  Bolmen  ans  Kanada,  die  in  Trondlijem  ausgesät  und  dort  größer  
 und  farbiger  wurden;  während  umgekehrt  Erbsen  und  Bolmen  aus  Norwegen,  die  in  
 Breslau  ansgesät  wurden,  sowohl  an  Größe  als  Färbung  abnalimen.  Ganz  besonders  
 liebt  er  als  beweiskräftig  hervor,  daß  Erbsen,  die  in  Cliristiania  angebaut  worden  
 waren  und  eine  weißgelbe  Farbe  hatten,  wenn  sie  im  nördlichsten  Norwegen  einen  
 Sommer  iiindnrch  kultiviert  wurden,  grasgrüne  Samen  bekamen;  wurden  sie  dann  
 wieder  einen  Sommer  lang  in  Cliristiania  angebaut,  so  kehrte  die  weißgelbe  Färbung  
 der  Samen  zurück.  Da  liierbei  auf  den  nngleiclien  Reifegrad  der  in  Rede  stehenden  
 Samen  kaum  Rücksicht  genommen  worden  sein  kann,  ebensowenig  wie  auf  mögliche  
 Kreuzungen  und  latente  Eigenschaften  entsprechend  dem  MENDELSchen  Gesetze,  
 erscheinen  diese  Beweise  bei  kritischer  Betrachtung  ziemlich  schwach. 
 Betreffs der stärkeren Farbenpracht der Blüten im Norden beruft sich  S c h ü b e l e r   
 im  wesentlichen  auf  eine  Beobachtung  von  Professor  G ö p p e r t   auf  einer  Reise  in  
 Norwegen.  Bezüglicli  des  stärkeren  Aromas  der  Früchte  weist  er  auf  seinen  eigenen  
 Gesclimack  und  den  einzelnen  anderer  Personen  ihn,  also  auf  vollkommen  subjektive  
 Tatsaclien.  Später  hat  freilich  Ci-i.  F l a h a u l t   ')  Untersuchungen  veröffentlicht,  welche  
 die  Beiiauptungen  über  die  reichere  Farbenpracht  der  Blüten  sowie  über  bedeutende  
 Größenzunahme  der  Blätter  in  nördliclien  Ländern  zu  stützen  scheinen;  indessen  
 lassen  sich  auch  gegen  diese  Untersuchungen  einige  Einwände  erheben,  so  daß  es  
 wünsclienswert  wäre,  wenn  die  Forschungen  über  diesen  Gegenstand  in  etwas  größerem  
 Maßstabe  wieder  aufgenommen  würden. 
 In  den  folgenden  der  erwälmten  ScHÜBELERSchen  Arbeiten  vermehrt  er  die  
 Zitate  aus  anderen  Verfassern  und  teilt  die  weiteren,  nicht  selir  zalilreichen  Versuclie 
 1)  Ch .  F l a h a u l t ,  „Nouvelles  observations  sur  les  Modifications  des  Végétaux  suivant  les  
 Conditions  pliysiques  du  Milieu“.  (Annales  des  Sciences  naturelles.  6 e  Sér.,  Botanique,  I.  9,  Paris  1880.)