lernten wir denn jetzt auch einige der wenigen B irar-T ungusen, welche am U-Flüsschen
zeitweise lebten, kennen und traten mit ihnen in freundschaftliche Beziehungen. Es traten
gegen das Ende des Octobers dann starke Fröste ein. In der Nacht vom 21. zum 22. kam
das erste Treibeis und am 31. October 11 UhrVorm. kam der Strom bei meiner Wohnung
zum Stehen. Schon am 4. Novbr. las ich Morgens früh 7 Uhr -¡¿S'193/,0 B. ab und am 11.
begann ein so anhaltender und starker Schneesturm, dass wir am 13. früh erst wieder klares
Wetter hatten und um uns Alles in tiefen Schnee gebettet sahen. Von unserem Leben
im Winter lässt sich im Allgemeinen nur sagen, dass es die Gleichförmigkeit eines Einsiedlerlebens
in vollem Maasse hatte, dass die nun mit grösseren Mühen zu vollführenden Jagden
nach und nach weniger ergiebig wurden und wir, obgleich von arctischer Kälte umgeben,
doch in unserer Wohnung recht vorzüglich und warm geborgen waren. Die Freude,
welche ich bei der Ankunft dieses oder jenesB irar-Tungusbn empfand, war gross und ich
bot Alles auf, mit diesen eingeschüchterten, guten Menschen intimer zu werden und bei
ihnen Erkundigungen verschiedenster Art einzuziehen. Fuchs- und Wolffang wurden betrieben,
die kleine Wirthschaft geführt und regelmässig die meteorologischen Beobachtungen
notirt. Bei einer solchen Lebensweise sind auch die geringfügigsten Erlebnisse und
Ereignisse die Veranlassung zu erquickender Freude und anregender Stärkung in der Geduld
und Ausdauer. Am 11. Januar früh 7 Uhr war es am kältesten, nämlich nach dem Spiritus-
Thermometer — 35° B. und Kälten bis 30° B. fanden im Januar überhaupt nicht selten
statt. So hätten wir denn alle wohl den langen Winter recht leicht überstanden, wenn
nicht andere Unfälle sich ereignet hätten; Unfälle, die für die Folge sehr einflussreich auf
meine weiteren Unternehmungen wirken-mussten. Schon im October nämlich hatte der
Kosak N ikolai, unstreitig der tüchtigste meiner Leute, bei den herbstlichen Jagden sich
heftige Erkältungen zugezogen und kränkelte beständig. Die ihm von mir gereichten Me-
dicamente wollte er nicht gebrauchen. Im Laufe der Zeit stellte es sich nun freilich heraus,
dass bei ihm schlecht geheilte Syphilis zum Ausbruche kam, und da er hartnäckig die ihm
verordneten Arzeneien verschmähete, mich dagegen bat, ihm zu erlauben, mit einigen durchreisenden
Jägern zum nächsten Dorfe (im August 1857 am Beginne des Bureja-Gebirges
gegründet, jetzt Paschkow a) zn wandern, um von dortigen Kosakenweibern sich heilen
zu lassen, so bewilligte ich ihm dies und er zog im November davon. Durch sein Ausbleiben
um Weihnachten beunruhigt, reiste ich dann selbst in jenen Posten und fand seinen
Zustand schon sehr beklagenswerth; er starb am 9. Februar 1858.
Meine Mannschaft aber verringerte sich um Neujahr noch um einen zweiten, mir sehr
nützlichen Menschen, Der Tunguse Iwan nämlich, dessen Bravheit ich nicht genug rühmen
kann, hatte sich nur verpflichtet bis Neujahr zu dienen, und ich war darauf eingegangen,
weil ich glaubte, er würde sich um diese Zeit durch die grosse Strecke,, die er zurückzulegen
hatte, um G orbiza, seinen Wohnort, zu erreichen (circa 1500 Werst), abschrecken
lassen, um so mehr, als er ohne Wege und zu Fusse reisen musste. Allein.dem Tungusen
waren diese Umstände nicht hinderlich, und weil er mir so treu gedient, so wollte ich ihm
mein gegebenes Wort auch erfüllen, -verrechnete und beschenkte ihn, und er zog am 2. Januar
1858 davon. Es blieben mir demnach zwei Kosaken und gerade die, welche am wenigsten
sich für unser Leben eigneten, der eine aus Irk u tsk , nie an Waldleben gewöhnt
und ungeschliffen,, sobald man ihm den eigenen Willen liess, der andere gatwillig und treu,
aber einfältig unddangsam.
In der Hoffnung auf bessere Zeiten hielten wir denn mutbig aus, Erst gegen das
Ende des Januar hatte ich die Freude einen Mann zu sehen, gegen den ich mich aussprechen
konnte. Dieser, es war der Flotten-Capitain B asgratzk i, erreichte Ende Januar
meine Wohnung, da er von N icolajefsk nach Irk u tsk als Courir entsendet wurde, und
diese Beise bis zum Paschkow a-Posten mit giljakischen Hunden vollführte. Ihm gab
ich.denn die fertig gehaltenen Berichte und Briefe nach St. P etersb u rg mit und erquickte
mich an einer lange entbehrten Unterhaltung. Meine kleine Wirthschaft bot dagegen dem
Durchreisenden allerlei erwünschte Bequemlichkeiten und Genüsse, eine Badestube, ein
warmes Lager auf chinesischem Ofen und Fisch und Fleisch,
Dem Herrn B asgratzki folgten im Februar und März noch zwei andere Couriere,
die gleichfalls bei mir Station machten, und nun ging es denn auch bald, mit dem Höhersteigen
der Sonne in der Natur vorwärts und es nahte sich die Zeit, auf die ich so lange
gewartet hatte, und die mich entschädigen musste für Alles was nicht angenehm zu erleben
gewesen war. Von später durchreisenden Kosaken, welche die Post stromabwärts gebracht
hatten, und jetzt zum Paschkow a-Posten zurückkehrten, konnte ich noch zwei abge-
hungerte Pferde erhandeln, die ich dann im Sommer recht pflegen wollte, um mit ihnen
und dem Grauschimmel die Kückreise im nächsten. Winter anzutreten.
Besuche, die ich den B irar-T ungu sen am U-FIusse machte, sowie ihre Gegenbesuche
und unser nunmehr schon zutrauliches Yerhältniss, liessen mich denn auch manchen
Einblick in die Anschauungen dieser Waldmenschen thun, ihre religiösen" Vorstellungen
erkennen und sie als etwas m ongolisirte (durch die D auren) T ungusen definiren,
welche in diesen Breiten, wo die Weissbirke .seltener ist und die Kennthiere gar nicht mehr
vorhanden sind (denn diese beiden scheinen für den Entwickelungsgrad tungu sischer
Bildung maassgebend zu sein) auf einer viel niedrigeren Stufe der Entwicklung stehen
blieben als die O rotschonen und andere Tungusenstämme, welche die einförmigen Wälder
der Quellzuflüsse des Amur und der Lena bewohnen.
Schon mit der Mitte des März wurde die Flora eröffnet, indem am 17. die Blüthen-
kätzchen einer Salix und die von Populm tremula an den gegen Süden gekehrten Seiten der
Bäume aufbrachen, am 30. März wurde Eranthis und Adonis schon blühend, gefunden und
nachdem am 4. A pril die Eisdecke auf dem Amur bei meiner Wohnung berstete, und bis
zum 10. der Eisgang beendet war, auch am 21. schon fünfmal bedeutende Gewitter im
oberen Theile des Gebirges sich entladen hatten, machte die Vegetation dann in der letzten
Woche des April,, als die Wärme Mittags im Schatten selbst bis auf -t- 22° B. stieg (am
26. April) uugemein rasche Fortschritte und es begann nun die Zeit meiner Ernten. Nur
R ad d e, Reisen im Süden von Osl-Sibirien. Thl. I. V