Säugelhiere.
ner sie reifen machte; ja die Beobachtang lehrt als unbestreitbares Factum, dass das Eichhörnchen
sich nur an die gesundesten Zapfen macht und, was dem nach äusseren Kennzeichen
unterscheidenden Menschen unmöglich ist, aus Hunderten und Tausenden gerade die
gesundesten zu finden weiss. — Was leitet diese und alle anderen Thiere bei den, dem Anscheine
nach so weit über ihre geistigen Fähigkeiten stehenden, Handlungsweisen? Die
Masse ruft, indem sie dem Thiere den speculativen Geist streitig macht und sich ein Wort
gefunden hat, hinter dem so vieles schon versteckt wurde, was unerklärt blieb, «der Instinkt,
der Instinkt!» — aber, wer sich mit einigem Glücke versuchte in den Beobachtungen der
lebendigen Schöpfung, schreckt bald zurück vor diesem Worte und gesteht dem Thiere eine
mehr oder weniger, sowohl artlich als individuell variirende, aber in gewisse Grenzen gebannte
geistige Speculation tu. E r ruft mit einem der bedeutendsten, freilich auch vielfach
angegriffenen Forscher der Gegenwart: «Wer eine Grenzlinie ziehen will zwischen Instinkt
und Verstand, oder Verstand und Vernunft, giebt dadurch allein schon das beste Zeugniss
ab, dass er niemals mit prüfendem Blicke das Leben und Treiben der Thiere beobachtet
habe.»
Sehen wir zu wie sich das anscheinende Bäthsel für die Emigration der Eichhörnchen
im Bureja-Gebirge löst.
Im Sommer, wenn die Eichhörnchen ihr glattes, kurzes Haar schwarz tragen und die
lebensfrischen paarig sich in die tiefer gelegenen Dickichte der Wälder zurückziehen, um
im friedlichen Neste, das zwischen den knorrig abstehenden Aesten am Tannenstamme gebaut
wurde, die Jungen zu erziehen; im Sommer, wenn die Cfemafis-Staude den Beiz ihrer
zahllosen weissen Blüthen schon verloren hat und bei steigender Sonne erst um 11 Uhr
Vormittags der Thau von dichter Ufervegetation im Bureja-Gebirge abtrocknet, dann
schweifen einzelne Eichhörnchen, nicht gefesselt durch Familiensorgen, von W. nach 0.
vordringend, in den Uferparthieen des Gebirges umher. Ihre Füsse sind abgelaufen, die
Sohlen- und Zehenschwielen (Knorpelwülste) sehr gross, kahl und bisweilen blutunterlaufen.
Sie kamen aus der Ferne und lassen sich durch grössere waldentblösste Thäler nicht abhalten;
sie Zogen im Juni und Juli des Sommers 1858 immer einzeln, selbst durch das
U-Thal und wurden von den Hunden der dort stationirten B irar-T ungusen auf deren
Jurten gejagt. Diese vereinzelten Thierchen machen die Vorstudien, sie sind auf regelrechten
Becognoscirungen begriffen, sie kehren im August von den untersuchten Thalhöhen
zurück, sie wissen, wie es dort um die Cembra-Zapfen bestellt ist, und ihrem Geheisse folgend,
sehen wir nach Monatsfrist, Ende Septembers, sich die Cembrabestände beleben, bald
mehr, bald weniger, bald stellenweise gar nicht, bald in sporadischer Gruppirung, gleichsam
als Insulaner in dichtesten Haufen.
Als genauere Beohachtungsdaten zu dem oben Gesagten entlehne ich folgende Notizen
meinem Journale. Im U-Thale, dem breitesten zum rechten Amurufer im Bureja-Gebirge
mündenden, wo die B irar-T ungu sen im Sommer einige ihrer Jurten nahe der Mündung
des gleichnamigen Flüsschens auf dessen linkem Ufer errichteten, wurden von den Hunden
in vier Tagen (2 2 .- 2 5 . Juni alten Styls) drei Eichhörnchen auf die Jurten selbst gejagt.
Bei meiner Wohnung kam es vom Juni bis August 2—3 mal allwöchentlich vor, dass unser
Hund U ktae über Nacht ein Eichhörnchen auf die grosse Ulme jagte, die neben dem Hause
stand. Im Jahre 1857 wären diese Wanderer während der Sommerzeit viel'häufiger. In
eben diesem Jahre folgte auf den ziemlich trockenen Sommer, der das Beifen der Zirbelnüsse
begünstigte, ein feuchter Herbst, in welchem die Eichhörnchen sich in so grösser Zahl zu
gewissen Thalhöhen drängten, dass ich mit meinem Tungusen Iwan im October an einem
Tage 87 Stück erlegte. Im Sommer 1858, der ein feuchter war, so dass die Zirbelzapfen
an Fäule litten, folgten den im Sommer durchwanderten Eichhörnchen im Herbste nur wenige
Thiere, so dass 20— 23 die höchste Beute am Tage für je ein Gewehr war. An einigen
der wandernden Thiere im Sommer waren einzelne Zehen so stark verletzt, dass sie
eiternde Wunden hatten. Am 29. Aug. (10. Sept.) fand man viele Eichhörnchen im Amur
ertrunken. Bei den herbstlichen Wanderungen aller von mir beobachteten Thiere hält die
reissende Strömung des Amurs hier im Bureja-Gebirge selbst dann, wenn starker Eisgang
das Leben der Wanderer gefährdet, nicht ab, das jenseitige Ufer zu erstreben. Im
October 1857 wurden nicht selten ertrunkene Eichhörnchen auf dem Amur treibend gefunden
und die Eber während des Eisganges noch im Strome erlegt. Auch der Zobel
schweift dann noch vom rechten zum linken Amurufer herüber.
Wenngleich nun zwar die Eichhörnchen im Herbste ziemlich allgemein, getrieben
davon, sich für den Winter eine nahrungsreichere Oertlichkeit zu suchen, in oft forcirten
Märschen weite Strecken zurücklegen, so trifft man ihrer doch selten grössere Mengen
dicht beisammen, sie rücken nicht wie die Lemminge und der Hypud. Brandtn (siehe über
den letzteren weiter unten) in wohlgeordneten Zügen vor, sondern schweifen in licht grup-
pirten und vertheilten Haufen über Berg und Thal, bis der Ort des Bastens gefunden ist.
Es gehört zu den seltensten Ereignissen, dass, wenn auf sehr ausgedehnten Gebieten Misswachs
der saamen- und nusstragenden Futterpflanzen stattfindet, sie sich näher an einander
drängend, dann in grossen Zügen in einmal eingeschlagener Bichtung, ohne die gröss-
ten, angetroffenen Hindernisse zu beachten, Vordringen. So geschah das im Herbste 1847
von Ost nach West bei K rasnojarsk , wo ihrer, wie man sagt, damals viele Tausende
durch den breiten Jeniseistrom schwammen und sie in den Strassen der Stadt selbst todt-
geschlagen wurden.
Im Jahre 1852 wurden die Gebirge am Südwestwinkel des B aikals, welche bis dahin
reich an allen Wildarten und schönen Pelzthieren waren, in so bedeutendem Grade durch
die allgemein stattfindenden Emigrationen dieser Thiere entvölkert, dass die meisten Jäger
des Dorfes K ultuk über die Kamara-Gebirge hinaus nach Süden zogen, um in bessere
Jagdreviere zu gelangen. Auch die Eichhörnchen, sowie besonders die drei hier lebenden
Waldhuhnarten betheiligten sich an diesen Auswanderungen. So wurden im Winter 1852—
1853 hier nicht mehr als sieben Eichhörnchen auf das Gewehr (ein sib irisch er Ausdruck,
d. h. von jedem Jäger) erlegt, und hat sich seit jener Zeit keineswegs die Jagd in den