Im Winter 1855 waren die Mitglied!* der mathematischen Abtheilung der Ostsibiri-
schep Expedition, welche auf Kosten der K aiserlich e^ Russischen Geographischen Gesellschaft
in St. Petersburg ausgeführt werden sollte, bereits abger'eist, als ich aus T aurien
hierher kam und, empfohlen durch die Herren Wirklichen Stäatsräthe C hristian v. Steven
und P e te r v. Köppen, von dieser Gesellschaft für die physico-mathematische Abtheilung
der Expedition engagirt wurde. Die in Folge dessen erhaltenen Instructionen, welche für
Zoologie durch den Herrn Wirklichen Staatsrath, Akademiker von B randt entworfen, und
für die Botanik mir aus dem K aiserlich en botanischen Garten zu St. Petersburg zugestellt
wurden, machten es mir zur Pflicht, aus dem Gesammtgebiete der Zoologie und Botanik
ein möglichst grosses Material in den Collectionen zusammen zu bringen und dieses
durch Beobachtungen in der Natur selbst zu vervollständigen.
Wenngleich nun durch diese Instructionen mir keineswegs besondere Localitftten des
östlichen S ibiriens angewiesen wurden, ich auch ausdrücklich es mir Vorbehalten hatte,
dort meine Arbeiten vollführen zu dürfen, wo, nach einigermaassen stattgefundener Onen-
tirung, eine reichere Ausbeute mir gesichert schien, so war ich doch namentlich durch Herrn
Akademiker v. B randt dahin bestimmt worden, mich nicht den oft mehr nördlich gelegenen
Gebirgsgebieten zuzuwenden, welche die Astronomen unserer Expedition durchzogen,
sondern'vielmehr immer'die südlichsten Grenzstreifen O stsibiriens aufzusuchen, deren
Fauna und Flora schon durch P allas grossartige Entdeckungen vielesEigenthüpiliche und
Seltene erwiesen hatten.
Hierauf hin wurden mir denn die Hochsteppen D auriens in’,s Besondere empfohlen,
welche' Seit dem Jahre 1772 speciell auf ihre .eigenthümliche Fauna nicht untersucht wurden,
während sie durch T urczaninoff in Hinsicht ihrer Vegetation im Zeiträume von
1828— 1836 genau durchforscht worden sind. Auch ‘das Amur-Gebiet sollte, falls Zeit
und Umstände es erlauben würden, von mir besucht werden und war,dies mm so wünschensw
erte-, als die Herren Leop. v. S chrenck und C. Maximowicz um jene Zeit-(1855—
185'6) gerade in dem Mündungslande des Stromes lebten und, ihn stromaufwärts reisend,
über O stsibirien nach E u ro p a heimkehren sollten, mithin die später von mir unternommenen
Reisen schon insofern modificirt werden konnten, als die erwähnten Herren Reisenden
den ganzen Lauf des Stromes .gesehen und die ergiebigsten Oertlichkeiten seiner Ufer
empfehlen konnten;
So verliess ich, nachdem ich mich noch mit den eigenthümlichsten ostsibirischen
Thieren durch die akademischen Sammlungen bekannt gemacht hatte und mit allem Nöthigen
versehen war, Ende April 1855 St. Petersburg, um in grösster Eile den Osten zu gewinnen
und in Irk u tsk durch den Chef der mathematischen Abtheilung, Herrn Astronomen
Schw arz weiter instruirt und beordert zu werden.
Schon in Moskau, wo ich in den letzten Tagen des April ankam, erinnerten einige
spärliche Frühlingsblümcheu (Draba, Veronica) an das Herannahen des Frühlings, sowie die
vielen Milane (Milvus ater), welche den Kreml umschwebten, auch daran mahnten zu eilen,
Itinerär, historischer Gang der Reise. ui
und mich besorgt maehten, ich1 möchte den so ergiebigen Frühling für dieses Jahr in Sibirien
verlieren. Am 29,.April') verliess ich Moskau, um über N ishni-N ow gorod, dann
die Wolga abwärts reisend, nach K asan zu gelangen. Am 5. Mai konnte K asan verlassen
werden. Die Caraganen und Birken hatten hier bereits hellgrünes, Frühlingslaub und die
ausgetretenen Wasser der Bäche und Flüsse erschwerten auf kleine Distanzen die Reise,
welche im Allgemeinen auf den gutchaussirten Wegen rasch von Statten ging. Ueber Malmisch
und Ochansk kam ich am 8. Mai nach Perm . An demselben Tage verliess ich
diese Stadt und sah nun bei der Passage der Westverflachungen des Ural-Gebirges den
Frühling bei weitem nicht so vorgeschritten, a,ls in den bis dahin durchreisten Tiefländern.
Die wiesengrünen Thalsöhlen boten den europäischen TroUius und Vergissmeinnicht-Arten.
Am 10. Mai wurde Jek aterin en b u rg erreicht, und, nachdem die dort befindliche Steinschleiferei
in Augenschein genommen, dieser Ort wieder verlassen. Waren die Westabhänge
des Ural-Gebirges in ihren Höhen durchweg mit dichten Coniferenwäldern, namentlich
Tannen und Kiefern bedeckt, so mangelten diese den Ostabhängen des Gebirges merklich
und weite Lichtungen, mit krüppelnden Birken meistens nur spärlich bestanden, schoben
sich in Kieferholzungen, die auf Moorboden niedrig und schwach blieben.
Ich kam nun rasch in das wasserreiche System des grossen Obj-Stromes und damit
denn auch in die -weithingedehnten und im Allgemeinen waldarmen Flächen, welche der
Tobol, der Ischim und .Irtisch durchströmen, und deren östlicher gelegenen, kahlen, an
Seen reichen Theil man mit dem Namen der B araba oder barabinskischen Steppe bezeichnet,
Die Städtchen Tjüm en und Ischim wurden passirt und am 14. Mai erreichte
ich 12 Uhr Mittags Omsk. Immer waren es hier die Pulsatillen-Gruppen und kleine Poten-
lillen. im Vereine mit Iris, Adonis und Tormentilla gewesen, welche die Frühlingsflora auszeichneten
und die noch gescharten Flüge der Alauda leucoptera (sibirica), zu denen sich
auch die tatarischen Lerchen gesellt hatten, erinnerten noch an den Winter. Die W ege
waren sehr beschwerlich gewesen, weil in der Baraba-Steppe sich derselbe schwarze
Leimboden findet, der den pontischen Steppen eigen ist und der nach den Frühlingsregen
so erweicht wird, dass in ihn die Räder tief einschneiden.
Am nächsten Tage verliess ich Omsk. Das Wetter wurde schlecht, der Wind wehte
aus NW. stärker und Abends hatten wir nur 3° Wärme (Reaum.), Am 18. Mai erreichte
ich Koliwan, dessen Umgegend schon stärk hügelig und meistens gut bewaldet ist. Die
Ufer des Obj und des Tom bieten oft reizende Parthien. und sind durchweg gut mit Weiden
bestanden, unter denen damals gelbblühende Corydalis und das prächtige Erilhronium
Dens canis prangten. Den 19. Mai erreichte ich Tomsk und reiste am nächsten Tage nach
Krasnoj arsk. ab.
Sonntag, den 22. Mai, kam ich in dem kleinen Städtchen A tschinsk an. Auf dem
Wege dahin wird die Lärche (Larix) schon viel häufiger und das Terrain dann östlich ber-
I) Die Daten sind alle nach altem Styl angegeben.