gu einer Anbetung ber Verfaffung warb, würbe er unb gwei feiner ©enoffen
ror bem Vatfmus Eingerichtet (12).
©as nannte man Verner „Freiheit.“
©roßbem galt Vern für bas Sanfter eines weife oerwalteten Staates, ein
Lob, bas im SRunbe oon V a p o l e o n ober bes befannten fonferoatioen
£iftorifers S o d a n n o. 921 ü 11 e r freilich fehr oerftänblich Hingt, umfo unbegreiflicherweife
aber auch oon bem 23egrünber bes „©ontrat ©ocial“, g e a n
g a c q u e s 9t o u f f e a u betätigt mürbe. ©atfacf)e ift, baß Vern unter folcher
Regierung blühte; nirgenbs in ber Schweig unb im weiteren ©eutßhlanb waren
bie ©chulen fo gut, hatte ber Vauer fo oft fein §ul;n im ©opfe, waren bie Verwaltung
fo reblich, bie Lanbftraßen fo oortrefflich, bie ©eridjte fo unbeftecf>lid>
unb bie 92lenfchen fo jufrieben wie gu Vern, wo bas Volt gar feine Rechte aber
bafür Vaßen hatte, ©iefer fleine ©taat war ber einzige in ©uropa, ber feine
©chulben, fonbern ein großes Varoermögen befaß.
®s wäre einer befonberen Untersuchung wert, gu erforfchen, ob hieran bie
Verfaffung ober bie 92lenfd>en basVerbienft hatten, ©er fernbeutfehe unb biberbe
Seift bes Schweigers war oielleicht bas eingige Vlilieu, in bem fich burch fo oiele
gahrhunberte eine ähnliche ftarre Verfaffung fonferoieren unb boch golbene
Früchte tragen fonnte. ©twas befonbers treuf>ergiges unb burch feine finb-
Itche ©ct)theit anmutenbes liegt über allen ©enfmälern jener Seit, foweit
fie Vern noch bewahrt hat. ©ei es ber „K i n b l i f r e f f e r b r u n n e n “
auf bem Kornf>ausplaß ober bie Spielerei für große Kinber am 3 e i t g l o cf e n-
t u r m , feien es bie © o t e n t a n g fleiber, bie bas h i ft o r i f cf> e Vtufeum
aufbewahrt, unb bie uns einen tiefen Vlicf in bie spfpehe bes mittelalterlichen
92tenf<hen tun laffen, wenn wir uns oorftellen, baß biefe uralten 3wild)fäcfe
mit aufgemalten ©feletten unb fd)wargen ©otenmasfen ber ©rgößung in g=aft-
nachtsfpielen gu bienen hatten, bei benen bie ©otentänge bes § o l b e i n unb
V i f l a u s ® a n u e l im lebenbigen Vilbe oorgeführt würben, ©in merf-
würbiger ©eift bes ©emeinfinns unb ber ©rgebenheit in bie oon ber ©emein-
fchaft gutgeheißenen Lebensformen mußte jene untergegangene Vernifche SBelt
befeelt haben, etwas oon bem, was bas ©efüge eines Slmeifen- ober ©ermiteri-
ftaates gu fo wunberbarer Vollfommenheit geftaltet. ©in graufig treuhergiger
Beuge biefes ©eiftes fpricht laut gu uns barüber in bem gleichen hiftorifchen
92tufeum, bas bie ©otentanglieiber birgt. Vern bewahrt bort eine reichhaltige
Sammlung oon 9tichtf<hmertern auf, barunter eines mit ber gnfdjrift:
„O Sjetr, nimm biefen armen ©ünber auf in ©ein 9tei<h,
©amit er fann banfbar fein für einen glücfüchen S t r e i f .“
Vielleicht lag in folchem ©eift bas wahre ©lücf unb bie llrfache ber ©röße
Verns, oielleicht liegt in ihm noch immer b e r wi r t l i c h e © r u n b , b e r
b e r S c hwe i g bur ch i> t c g a h r h u n b e r t e hi nbur ef ) bi e
© e l b f t ä n b i g f e i t b e w a h r t e u n b b em b e u t f e h e n S d> w e i-
g e t a l s b em K e r n b i e f e s L a n b e s bi e 921 ö g l i d> I e i t g a b ,
f e i n e F r e i h e i t im f t r e n g f t e n K o n f e r o a t i s m u s gu
f i n b e n , u n b bur ch f e i n e ©ü c h t i g f e i t fich auch u n t e r
b e n h ä r t e ft en V e r h ä l t n i f f e n b e s gu e n g e n S a n b e s f o
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glücf l i ch gu f ü h l e n , b a ß e i n e 2 l u s w a n b e r u n g o o n
© e u t f ch f ch w e i g e r n a l s e i n ©i n g b e r U n m ö g l i cf> f e i t
gi l t .
©ie 2Beltgef<hi<hte wäre nicht bie am beften erfonnene unb wirfungsoollfte
aller ©ragifomöbien, wenn nicht bie Verner Solibität, bie V a p o l e o n fo
lobte, ben großen Korfen bagu oerlocft hätte, fie gu oernichten. ©s gefchah gwar
nicht in feinem STamen, aber in feinem ©eifte, baff bas ^ a rife t ©ireftorium es
im gahre 1798 nicht ertrug, bas Verner Volf fo unterbrüeft unb — bie
Verner Staatsfaffe fo gefüllt gu fef>en. 2ln ben ©rengen granfreichs
fchmachteten grangofen als Vernif<he Untertanen, bas muffte anbers werben,
©ie gafobiner, beren man gu Sßaris überbrüffig war, würben na<h © e n f
gefchicft, unb nach bem erften Schrei ber Ungufriebenheit eilte ben 2Daabt-
länbern ein frangöfifches f)eer gu fgilfe. 28ie bie Löwen fämpften bie Verner
gegen bie Sansculotten, aber fie erlagen ber Übermacht, unb nun gog bie
neue Beit mit ihren bemofratif<hen gbealen in Vern ein — unb ber Vernifche
Staatsfchah in einer enblofen 9teif>e oon 2J3agen als ©egengabe nach iparis.
Vern ift feitbem bemofratifch geblieben, es würbe aber nie wieber fo reich,
als es in ber Vergangenheit war, wenngleich es auch heute wieber ber eingige
S ta a t ift, ben feine ©chulben brüefen. Suoor mußte jeboch ber hiftorifchen
©erechtigfeit ©enüge g e s eh e n unb ben 92lanen bes unfchulbig Eingerichteten
§ e n g i ein Verfölmungsopfer gebracht werben. ®s gefchah in ber fform, baß
fi<h bie gürften-ipatrigier im gahre 1832 in biefelbe armfelige Stellung bes
Verfchwörers gebrängt fahen, wie einft ber unglücfliche Verner Spfarrersfofm.
Unb bie ©nfel jener harthergigen 9ti<hter mußten es erleben, baf; fie nun felber
auf ber Slnflagebanf faßen unb einem freilich weit milberen Urteil für bas
gleiche Vergehen entgegenfaf>en, bas ihre ©roßoäter ehebem mit bem ©obe
beftraften. ©amit übrigens bie 2Bage ber 2Beltgerecf)tigfeit auf beiben Seiten
gleichmäßig belaftet fei unb fi<h Sympathien unb Slntipathien auch biesmal
fo oerteilen, wie immer auf ber 93eltenbüf>ne, ließ 17 gahre fpäter ber Urenfel
bes Opfers Vernifcher ©yrannei, ber ©eneral §engi bie fhulblofe S tabt Speft
gu einem ©rümmerhaufen gufammenfehießen . . .
gawohl, büftere ©efchichten murmeln bie Steine oon Vern, unb 9tegen-
wetter an einem büfteren unb ftürmifchen ijerbftabenb, bas ift juft bie rechte
Beit, um biefe S tabt in ihrem ferneren, felbftherrifchen, unbegreiflich ftarren
unb ehrenwerten Sein aus ihrer Vergangenheit fo recht gu erfaffen.