II. ®ie 6pracf)e ber ^ a r te
„2Barum beoorzugen Sie fo bie ©Ipen? Qm ©iefengebitge finben fie bie-
felben Sd;önl)eiteri unb nod> fd)önere 28älber baju! ©troas herrlidjeres als
einen Frühlingsmorgen in ben laufcf)igen Salem bes £l)üringef 2ßalbes gibt
es auf beut}cf)em ©oben riicipt unb baju ift bies fd;on oon 9?lai an unb of>ne 93e-
fcf>werbe zugänglid). Sie haben ieine ©efaf>ren unb nid;t biefe fatalen ißetter-
umfcf)läge, bie ben ©Ipenfommer ju einem grünen ©egenwinter mad;en! Unb
ruenn fie ttettern wollen, ba haben Sie bie ©aftei, bie Schrammfteine unb alle bie
Saden unb Siirme unferes föft(id;en ©Ibfanbfteingebirges, bas gi)rem ©tut unb
gt)rer ©efd;idüd;Eeit teilweife nocl) fdjwierigere ©ngriffspunfte bietet, als bie
©ajolettürme ober fonft einer ber ©olomitenzaden!“
Solche ©efpräd)e befommt man allerorten ju hören, benn es ift eine weit-
perbreitete 2lniid)t,. baß bie 2llpenreifen einfad) eine ©tobe finb, bie feit ©oetfies
©riefen begannen. 28enn einer befonbere Kermtniffe ber geheimen gäben
t>at, bie bas geiftige Seben oon ©uropa regieren, fo feist er toofü aud; nocl) hinzu,
eigentlich toar es ber alte S d> a u b a cf) (4) , ber mit feinem Sllpenbud) in ben
fünfziger unb fecf)jiger gaf>ren jene Sel)nfuct)t ertoedte, bas Hochgebirge ju
fehen, bie bann fpäter burch bie ©nglänber in ber Schweiz 311 einem S port aus-
gebilbet würbe,
©s mag fein, unb ich bin ber leiste, ber es bezweifelt, baff oiel oon ber gegenwärtigen
©Ipenbegeifterung auf bas Konto ber ©tobe ju fchreiben fei. ©ber
wenn man aus biefem ©runbe auch fmnbetttaufenb 2llpenbefud)er wegftreid;t,
fo bleibt eine halbe ©tillion, bie auch bann in bas baptifche §ochlanb, in bie
Schweiz ober nach ben . Dolomiten zieht wenn bie ©tobe fchon wieber anbere
©egenftänbe ergriffen hat. Sie hat es ja fchon längft getan, unb wirbt mit
großer ©nftrengung für bie Schönheiten Norwegens, bie S a tra unb bie P pre -
näen. Sie empfiehlt bemjenigen, ber Hochgebirge fehen will, nicht mehr bie
„überlaufenen“ ©Ipen, fonbern ben Kauiafus ober einen ©efud> oon Spitzbergen.
Sie hat fich fogar fchon in Siteratur unb Kunft oon ben 93ergen ab-
gewanbt unb beoorzugt bie Heibe, bie ©tittelgebirge, ben Seeftranb als bie
©tobeorte oon morgen,
©üefes 28erben wirb aber oergeblid) fein! ©enn in ber ©eoot’zugung ber
Sllpen fchlummern ewige ©efeße, bie lein ©tenfcl) butd)bred;en lann. ©ie
Schweiz wirb immer bas fchönfte aller europäifd>en Sänber fein, unb in ihr
werben immer bas 93erner Oberlanb, bie Jungfrau, bas ©tatterfjorn unb bie
©tonte-©ofagruppe ben Spreis ber Schönheit baoon tragen, ©ie ©olomiten
werben niemals aufhören, mit biefen Sd;auftüden um ben erften ‘Ureis zu
ringen unb jeber, ber fich jenen nähert, wirb nach wie oor feinen anberen 2Beg
wählen, wie ben über ben ©ottharb, wenn er nicht befonbere 3wede perfolgt,
3 n biefen Behauptungen fteden ebenfooiele frag en , ©enn fie befagen
bod), baß bie Schönheit bes ©erner Oberlanbes ober ber gungfrau nicht reine
©efchmadfad>e fei, fonbern auf ganz beftimmten ©efefsen beruhe, fo wie auch
bie ©ebeutung bes ©ottharb-paffes als Hauptperfef)rsweg ber gefamten
2llpen, geh will fyiez biefe fra g en beantworten, unb zwar oom Stanbpunft
bes ©aturforfdjers aus, weil bas, was ich fner behauptet habe, in ber ©atur bes
Sanbes begriinbet liegt.
28er nur einen ©lid auf bie Karte ©uropas wirft, hat es fofort erfaßt,
baß bie Sllpen bas ©üdgrat biefes ©rbteils finb, aber auch zugleich fein Herz.
98er ben Kontinent burchquert, mag er oon ©orben nach Süben reifen, ober
auch oom Often nach ken großen Kulturzentren bes 98eftens, ftößt auf biefen
SBall unb feine ©ustäufer unb fommt nicht um ihn herum. ünb wenn er ihn
überfteigen muff, fo fönnte er bie ganzen taufenb Kilometer abgehen, bie bas
Sllpengebirge lang ift, er fänbe bod) nur einen einzigen Übergang, wo er bie
gefamten Sllpen mit einer einmaligen Steigung überwinben iann. ©iefer Übergang
ift ber © o t t h a r b - p a ß .
©s ift alfo fein Sufall, baß er feit unbenf[icf>en geiten ber Hauptperfef>rsweg
Zwifchen bem Süben unb ©orben ©uropas war (6j. 98enn auch ein unabfef)-
bares ©ewirr oon wilben Hörnern unb Kuppen, oon ausgebehnten ©letfchern
unb weiten fjirnen ihn umlagert, unb man pon ber ©oßböbc aus taum einen
©algrunb fehen iann, ba fowol>l baS ©heintal, wie bas ber ©f>6ne, bie ben ©ott-
harb pon Oft unb 2Deft umfäumen, ganz fd;male ©infdmitte finb, beren Sauf
oon ben porfpringenben ©ebirgsftöden immer wieber perbedt wirb. Sogar
bie ©ewäffer irren auf ber Paßhöf>e planlos umher; wie wenn fie felbft unent-
fchloffen wären, ob fie fich nach ©üben ober ©orben wenben follen, bilben fie
Zehn Meine Seen, ©och berert ©bflüffe finben ben 20eg in bie £äler, unb ihn
haben auch &ie ©tenfd)en gefunben. ©om ©ottharb ftrahlen bie Säler nach
allen ©id)tungen aus. ®s ift wunberbar zu fehen, weld/ regelmäßigen S tern
fie auf ber Karte bieten unb ein ©tonbbewoljner, bem eines unferer ©iefen-
fernrohre zu ©ebote flehen würbe, hätte biefen q3untt ber ©rbe längft als einen
ihrer meriwürbigften beachtet unb ihn mit feiner eigenen Heintat perglichen,
etwa mit ber ©egenb, bie wir als „Karpathen“ auf bem ©tonbe bezeichnen,'
wo auch oom Krater Kopernitus tiefe ©illen nach allen Seiten ausgehen.
Sn ber ©egenb bes ©ottharb finb es namentlich zwei STäler, bie fich gegen-
| über ftehen unb zwei 28elten fd>eiben, ber © h e i n unb bie © h ö n e; aber auch
nach ©üb unb ©orb ftrahlen bie Seniungen aus, bie nicht zu geringeren Kon-
traften führen als jene: bie ©eufj fließt ins beutfehe Sanb, ber $ i c i n o zu
ben Halmen bes Sübens. Hier mußte fchon ber 'Pfahlbauer, ber Höhlenmenfch
; ber ©orzeit porüber gefommen fein, wenn ihn bie Sehnfud>t aus bem nor-
ifchen ©ebel nach &en lichten Himmel bes Sübens Zog. ünb fo ging benn fchon
I )eit bem breizehnten gahrhunbert, zu einer Seit, wo faft bas ganze ©uropa
; noq> ieme Straßen hatte, ein regelrechter Saumpfab mit hölzernen ©rüden
f. un zuternben Stegen über bas Sod) bes ©ottharbberges hinunter ins Seffintal.
S ©as Hirtenoöltlein oon ü r i forgte in ©reue für feinen ünterljalt unb Sicherheit
unb hat bafür bie ©eid>sfreif)eit erlangt, ga, fo meriwürbig es £üngt, in
HKu eß H i ^ eln un^ ürfache aller Schweizer Freiheiten, er ift bie eigent-
i<he ürfache, burch M o fid; b i e S c hwe i z b i l b e t e im f e l t f a m e n
© a n g b e r 2ß e l t g e f c h i c h t e l
. 28ir träumen fo gerne oon Helben, bie mit genialem Kopf unb eiferner
draiÜ j n bie Schidfale ber ©tenfehheit eingreifen; unfer Sclbffgefühl fühlt