VIII. S ie ße&enägefcfjidjte be3 ©öeitoeifj
2Ber fid> oon 231 ü n d> e n aus auf i>er großen Tiroler fjauptlinie ben
23ergen näf>ert, erlebt fd;on in der erften ©tunbe feiner g afut jmei angenehme
itberrafd)ungen. 2Jtad>t er tiefe Steife jum erftenmal, fo ift er überaus erftaunt,
troh ber allgemein perbreiteten Meinung, 23lünd)en liege am fjuß ber Sllpen
unb troh mancher 2lnficf)ts!arte, bie als ijintergrunb ber SJlündmet S tabt eine
fcf)immernbe Korbillere gletfcf)ergepanjerter Stiefenberge jeigt, nocf> ieine 93erge
ju fel)en. 28as fid) ba im ©üben ausbreitet, nadjbem er bie „malerifdjen ©e-
filbe" bes Oftbal>nl>ofes perlaffen, rnas l)ie unb ba jmifchen einer Siegelei t>in-
burcf)lugt, erfd>eint als ganj befd;eibener ©cf>attenrif3 unb erroedt leine anberen
©efül>le, als mie etroa ber Slnbüd bes § arje s pon feinem 93orlanbe aus. Un-
abfel)bar belmt fid) eine polltommen glatte ©bene, bas berüchtigte „9Ilünd;ner
©d>otterbreied“, unb roer fid; batnad; fef)nt, einmal ben Slnblid einer ungatifd)en
Pujjta ju genießen, bem genügt eine Steife nach f)aar. ©eitbem im
fernen Often an ©teile ber ©jitofehen bie ©ampfpflüge unb ©ämafchinen bie
§errfchaft angetreten haben, gemährt Ungarn tatfää>lich leinen anberen Slnblid,
als bas unmittelbare SKüncfmer Stlpenporlanb an biefer ©teile, ©amt aber
lommt eintöniger Sßalb, bann SKoor unb mieber Söalb, ein geplogifch ge-
fcjmltes Sluge entbedt auch SJtoränenhügel unb ©chotterablagerungen, ber
©urchfchnittsreifenbe finbet jeboef) bie ©egenb langmeilig, lehnt fich in bie
Riffen jurüd unb hofft auf Sinterung erft Pom ©intritt in Tirol.
©a hält ber ©iljug jum erftenmal in St o f e n l> e i m , unb erftaunt blidt
man in eine neue SBelt. Sum ©reifen nahe finb u rp löpd) 93erge herangeftiegen
unb pon einem, ber fo befonbers formenfehön buftblau über alle alle anberen
hinrneg ragt, hört man, bas fei ber fagenberühmte 28 e n b e l ft e i n. ©as ift
aber lein „Sjarj“ mehr; leder unb malerifch erftreben bie ginnen empor, unb ift's
ein taufrifcher ©omrriermorgen, an bem man bie Steife angetreten hat, fo lann
man beutlich fogar bie rötlich fchimmernben ^elfenmänbe unb bie blauen ©palten
barin erlernten.
Unb mie als erfte 23otin bes ©ebirgslanbes ftef)t braunen auf bem 23ahn-
fteig ein altes SBeiblein im fpitjert „9Iiiesbad)er iju t“, mit ber ©olbfehnur baran
unb bietet fef>r barbarifch ausfehenbe „SBuEetn“ jum 93erlaufe aus. ©ie be-
ftehen aus 23ujcbaum, Sllpenrofen unb ©belmeig. Sticht bas eine ober anbere
Stämmd;en ber loftbaren unb feltenen Blume, nein, eine ganje fjanb poll
©belmeiß bietet fie an, gleich 50 ober 100 ©tüd, mehr als genug, um als Trophäen
eines ©uijenb fchauberhafter Kletterpartien bienen ju lönnen. SRan
ift fo entjüdt über ben unermarteten Steichtum biefer ©beltoeigberge, baf; bie
alte fjrau ganj gute ©efd;äfte macht, ©er Steifenbe aber ermartet nach biefer
Sntrobultion, bag an feinen Pfaben bas ©beltoeif; minbeftens fo reichlich ftehen
müffe, mie ju gaufe bie Schafgarben auf ber SBiefe. — ©r fühlt fich enttäufd)t
ober aber in feiner ©rmartung beftätigt, je nachbem er feine Stoute nach bem
Steifehanbbuch jufammenftellte ober aber nach eigenem Kopf manbert.
©ie „gefährlichfte 93lume" ber Sllpen hot ihre eigene unb nid)t uninter-
effante Kulturgefdjichte. ©ie perbient ihren 93einanten, bie „SZlobebirn im
Blumenreich“, bentt laut ber ©ta-
tiftil ber alpinen Unfälle fallen
ihr feit mehr als einer ©enerc-
tion jährlich bur<hfd;nittlich 20 bis
25 SJtenfchenleben jum Opfer, ©as
märe möhl nicht ber fjall, menn es
gemein belannt märe, b a f b a s
©b e lme i f ; l e i n e R e i f e n -
p f l a n j e , f o n b e r t t p i e l -
me h r e i n e S B i e f e n b l ume
fei . @s meibet nur bie Söeibe
unb bie oon Sielen begangenen
Pfabe, es ift aber häufig auf ben
„ 931 ä h b e r ,rt auf ben mehr
ober minber fdtroffen, blumenreichen
Stafen ber ©eggen unb bes
Slaugrafes; es finbet fich maffen-
haft auf ©rasbänbern unb ift eine
ber gemöhnlichften Pflanjen auf
ben SBiibheuplanlen. Keinesmegs
fucht es ©teilen, bie fd>roff unb
unjugängtich finb. Slm 211 b u l a~
p a f ober in 21 p e r s mirb es
fogar gemäht, gilt als ganj torrtmune
SBiefenpflanje, bie ju fjunberten unb Taufenben aus bem buftenben
£eu herausgelefen merben lann. Sin ganj gut jugänglichen Orten, j. 93. auf
bem Stap p l a t e a u bei 28 i e n , mar es noch ju 23eginn ber 60er ftahre fo
häufig, baf; man es mit ben fjüfeen trat. Um bas © d j n e e b e r g h o t e l
herum mächft es bort nod> immer maffenhaft; in ben P p r e n ä e n geht
es noch tiefer als ber 9Balb mächft, unb fogar in ben Sllpen ift es teinesmegs
bie lennjeichnenbe Pflanje ber §od>region, fonbern mengt fid) oft genug noch
unter bie Pflanjenmelt ber 93aumgrenje. Slm p i l a t u s trifft man es bei
1700 m £)öt>e, an ben T o f a f ä l t e n in Italien bei 1650 m, im Kanton
© l a r u s finb fjunborte belannt, bie nur 700 m bod; finb. Sogar am nieber-
öfterreid)ifd;en ©dmeeberg gebeiht es auf bem „2llpl“ bereits in 1600 m S)o\)e.
©ies finb jeboch Slusnahmen; im allgemeinen lebt es in Sapern oon ben
Sjöl>en, bie ber h e i m g a r t e n erreicht, bis ju ber Stegion, in bie bie © d> ö t -
t e l t a r f p i i j e ihren ©ipfel erhebt, ffn ben ©chmeijet 23ergen finbet es feine
Sjauptperbreitung jmifchen 1800 bis 2800 m fjöhe. ©s ift alfo teinesmegs eine
Pflanje ber höchften unb fcfuoffften Serge, follte baher auch nicht bas Spmbol
bes tühnen Sßagemutes fein, geroiffermaßen bie 93erbienftmebaille bes Kletterers
als bie es gilt.
©iefe jarte 93lume mürbe ein Opfer ber menfd;lid;en pfpd;ologie. ©s ift
fchmer ju ergrünben, mann fie begann populär ju merben. ©s fcheint aber,
baf; ihre Beliebtheit bereits aus bem 221ittelalter batiert, bas fich ja por ben