Verberben. ©ie 500 ober 1000 ©inwohner eines foldten Sales oollenben ben
engen girtel bes fjenfterlns, Renatens unb Saufens ftets unter fid;, ju guter £eßt
fommen fie alte in eine allgemeine Verwanbtfchaft unb — bie Saubftumnaen,
bie §albibioten, bie Sd>wad)finnigen unb ooilfommenen Kretins beweifen,
roie ]d)äb(id) heiraten unter Verwanbten finb.
SBenn man nad; Veweifen für biefen ©aß fud)t, finbet man ißrer im Seben
ber alpinen Veoölferung fo oiete, baß man fiel) nur auf eine Sluswaitl ber aller-
befien befeßränten tann. ©er Kretinismus ift befonbers unter ber armen
Veoötterung oerbreitet, ©as ift natürlich, benn bie 9teid;en tommen leichter
hinaus in bie SB eit, fud;en fiel) iijre Vräute in Stad;barbörfern, abgefeßen oon
ben fonftigen 93orteüen für bie ©efunbßeit, bie ©elb unb ©ut mit fid) bringen.
©s gibt teinen Kretinismus in ben Sätern, beren Veoölferung fo arm ift, baß
fie jurn llmßerwanbern in ber SBelt gejwungen ift, toie oielfacß bie ©a o o p a r -
ben im SBeften unb bie ©ot t feßeer im Often. ©er gufammenßang ift auch
hier ganj beutlid;; bie SRänner gehen fort unb bringen toenn fie jurüdfommen
häufig frembe grauen mit. ©s finbet eine ftänbige ©rneuerung bes Vlutes ftatt.
©ies ertlärt namentlich bie oielbeftaunte ©rfeßeinung, toarum oft nur wenige
Kilometer oon einem ijerb ber ©egeneration eine oolttommen gefunbe Ve-
oölferung häuft. ©ie Verßältniffe finb eben in berf Sllpen fo eigentümlich
gelagert, baß unmittelbar neben ber befaßrenften Sanbftraße fiel) gbpllen
ungeftörter ©infamteit erhalten.
©ine befonbere ©raufamteit ber Statur liegt barin, baff toährenb ber ooll-
tommene Kretin oon ihr ¿um Slusfterben oerurteilt ift, gerabe bie in ben leichteren
©tabien ber Krantheit Vefinblidjen einen unauslöfcßlidten ©rieb in ficb
fühlen, ihr Vnglüd fortjupflanjen. ©s ift einer ber traurigften Süge ber alpinen
Veoölferung, baß ber Umgang mit einem ©rottet nid;t nur nid;t für fcßänblich
gilt, -fonbern aus getoiffett ©rünben fogar begehrt toirb.
ltnb an biefem «ßuntte erweitert fid; bas ©ragifum ber Vlöbfinnigen ju
einer Sragöbie ber Verge unb ber 9Renfd)en überhaupt. Söas toir an ben
Sllpen fo begeiftert preifen, bie ©infamteit, bie gottgefegnete Stuhe unb erhabene
©tilte ihrer Säler, bas ift jugleicß ihr Verhängnis.
©iefe großartige Statur labet ben SJtenfcßen fo freunblid; ein: oerweile
hier, es ift fo feßön — bie fjrucßtbarfeit ber Seiler, bie Sicherheit, weldje bie
unzugänglichen gelsriegel gewährleisten, bie ©emütsanregung burch ben
fteten Slnblid fo oieler Staturfchönheit, bas alles mußte ihn auch unwiberftehlid)
anjießen. Kein SBunber alfo, baß feßon ber erfte 931ict, ben bie wallenben Stebel
ber Vergangenheit geftatten, bie Sllpen reich befiebelt geigt, llnb bie Verge blieben
bem Sltenfcßen aud; eine gütige SItutter. ©ie ernährten oon felbft feine gerben,
fie boten ihm altes was er brauchte für feine SBoßnung, feine Kleibung unb
Stahrung burch Süalb unb SBilb; ihre Schönheit pflanjte ihm bie ijeimatsliebe
unb baburch Sen unaustöfchtichen greißeitsbrang ins ifeej. Sßte würjige,
reine fiuft machte ißn ftarf, bie SRüßfal bes Gebens in biefer urträftigen Statur
erhielt ihn frifch unb erfinberifch, bas Sßarabies auf ©rben fd)ien bem Silpler
ju eigen gegeben aber ba wirtt bas ©ran bes 93öfen, bas allem irbifchen
©lüde beigegeben ift, als Opfer an bie ©ötter: ©er Kretin hebt bettelnb feine
Sretingtuppe mit iijrem Qttjt
9Tbb. 314 d u ü Ben elften Qeiten i)er Kretinfürforge in Ber Sdjtoeiä
Original besS Qltufeumä für ©cfrtDacfjftnmge au 3bftein im Saunitä
oertrümmten Strme unb aus feinem bumpfen ©tammeln Hingt es wie eine
SRarf unb 23ein erfchütternbe SBeßflage über bie ©raufamteit, mit ber bie
Statur bie ©ünben ber Väter an ben Kinbern unb Kinbestinbern ftra ft. . .
SBir hüben genug gefeiten im ^intergrunb ber gauberftäbte am blauen
©enfer ©ee unb fehren ju r ü d . . . ©s ift Slbenb unb in überirbifdjer Klarheit
fteht ber Vergtranj im ©üben oor ben SBaffern. ©in rofig Seucßten geht oom
©chneefelb bes ©ent bu SRibi aus. geßt flammen bie Sichter am ©tranbe auf,
immer höher frieeßen bie funtelnben Schlangen, bis ganj hinauf nach S e s
a o a n t s , ein glühenber Stauch legt fief) über bie ©täbte als SBiberfcßein ihres
©langes — — — ©ort unten brängt fid) bie Sebensfreube; bie @<f>önf)eit unb
ber Steichtum feiern ihr geft ber Vermählung mit ber ßBcßften Steigerung ber
Statur — mir aber Hingt ein bitterer, ßergjerreißenber Son burch biefe jubetnbe
SRufif, unb bie lange SBolfenbanf, bie über ben faoopifeßen Vergen aufjieht,
ift mir wie ein fd;warjer Xlnholb, ber aus jenen Sälern ber Kretins auffteigt,
mit ftummer Klage über bas Sragitum ber ©egenfäße in biefer feßönen —
unglüdlid)en — unbegreiflichen SBelt ber Sllpen.