
l8o6.
Ma-/.
Unser viertägiger, sonst in jeder Rücksicht sehr angenehmer
Aufenthalt auf St. Helena, wurde durch einen eben so traurigen
als höchst unerwarteten Zufall gestört. Der zweyte Lieutenant
unsers Schiffs, G o low a ts ch e ff, ein feiner artiger junger Mann
von 36 Jahren, und ein vortreflicher Seeoffizier, nahm sich hier
gewaltsamerweise das Leben. Eine Stunde vor Vollführung dieser
That, hatte ich ihn auf dem Schiffè dem Anscheine nach
ruhig zurückgelafsen. Kaum war ich ans Land gefahren, als
man mir die Nachricht brachte, dafs er sich erschofsen habe.
Ich eilte auf das Schiff-zurück, und fand ihn schon nicht mehr
am Leben. Seit unserer ersten Abfahrt von Kamtschatka nach
Japan, bemerkte ich eine Veränderung in seinem Betragen. Mis-
verständnifse, und unangenehme Erklärungen, welche im Anfänge
der Reise auf dem Schiffe vorgefallen waren, deren Erzählung in-
defs niemand interessiren kann, hatten zu dieser Veränderung in
seinem Betragen die erste Veranlafsung gegeben. Meine Bemühungen,
ihn von seiner immer mehr und mehr zunehmenden
Melancholie zu heilen, blieben fruchtlos. Dafs diese einen Selbstmord,
und zwar kurz vor Beendigung der Reise, zur Folge haben
würde, diefs war von Niemanden auf dem Schiffe geahndet
worden. Ich hatte geglaubt er würde, wenn er zu seinen Ael-
terri, Geschwistern und Freunden zurückkehrte, von seiner Krankheit,
die nur in einer zerrütteten Einbildungskraft bestand, bald
genesen. Auf dem Schiffe war zu seiner Wiederherstellung keine
Hofnung; denn weder ich, mit so grofser Schonung und Theil-
nahme ich ihn auch behandelte, noch irgend einer seiner Kameraden,
konnte sich sein Zutrauen erwerben, und alle Versuche,
ihn von seinem falschen Wahne £u befreyen, schlugen fehl. Der
Gouverneur liefs ihn mit allen militairischen Ehrenbezeugungen,
welche seinem Range gebührten, begraben. Der englische Prediger
W ilk in so n verrichtete ohne Anstand die Ceremonie der
Beerdigou ngo.
Als ich hier die bestimmte Nachricht erhielt, dafs zwischen
Rufsland und Frankreich der Krieg ausgebrochen sey, bedauerte
ich sehr, dafs Gapifain Lisianskoy, meinen bestimmten Befehlen
zuwider, dennoch St. Helena vorbeigesegelt war. Gegenseitige
Sicherheit hätte freilich gefordert, dafs wir uns jetzt nicht trennten.
Die uns von der französischen Regierung-gegebenen Pässe
schützten uns zwar, selbst wenn ein Krieg ausgebröchen war,
vor feindlicher Behandlung von Seiten wirklicher Kriegsschiffe;
von Kapern läfst’s sich indefs nicht immer erwarten, dafs sie
ähnliche Rücksichten nehmen, selbst wenn sie den Befehl ihrer
Regierung vor Augen haben. Da ich einige Kanonen in Kamtschatka
zurückgelafsen hatte, so erforderte die Vorsicht, diese
wo möglich hier zu ersetzen. Ich ersuchte den Gouverneur, mir
hierzu behülflich zu seyn. Mit der gröfsten Bereitwilligkeit erbot
er sich dazu. Er nahm sich die Mühe, selbst seine Magazine zu
Untersuchen,' und da ich glaubte, einige von dem nöthigen Kaliber
gefunden zu haben, so überliefs er sie mir sogleich mit allem
Zubehör. Es fand sich aber' bey näherer Untersuchung,
dafs wir sie nicht brauchen konnten, und wir waren genöthigt,
nur mit 12 Kanonen abzusegeln. Da wir nun allein segelten,
so hielt ich es für gut, unsere Fahrt nicht durch den englischen
Canal zu nehmen, weil gewöhnlich in der Richtung nach dem
Canal die meisten französischen Kaper kreutzen. Ich nahm nach
Uinsehiflung der Azorischen Inseln meinen Kurs (gerade auf die
nördlichste Spitze von Schottland zu, um durch den Canal, der
die Schetdand Inseln von den Orkaden trennt, die Nordsee zu
«WEITER T HEI L . ' . 1 ' gg
l8o6.
May.