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1B06. gen in diesem Capitel enthaltenen Nachrichten, die Summe von
Februar. ||p | was icjj während meines kurzen Aufenthalts in Canton ge-
sammelt und erfahren habe, etwas dazu beytragen werden, die
Kenntnifs dieses Reichs zu erweitern. Canton ist auch der Ort
nicht, von wo aus sich wichtige Schlüfse über das ganze Land
ziehen lafsen, obgleich auch hier das Gepräge der Nation, (durch
den beständigen Umgang und Verkehr mit den Europäern zwar
ein wenig geläutert), und der Geist der Regierung nicht zu verkennen
sind. Die Nachrichten, welche ich hier aus authentischen
Quellen über die Rebellen im südlichen China, über die
Verschwörungen wider den Kaiser, und über die nicht längst
Statt gehabte Verfolgung der Christen mittheile, können indefs
wohl einiges Interesse haben. Auch habe ich es nicht für ganz
überflüfsig gehalten, eine kurze Uebersicht des europäischen Handels
in Canton zu geben, und meine Meinung darüber, in wiefern
Rufsland Theil an diesem gewinnvollen Handel nehmen
kann , zu äufsern.
' China hat das, wie mir scheint, sehr unverdiente Glück gehabt,
der Gegenstand einer weit verbreiteten Lobpreisung und
grofsen Bewunderung zu werden. Die Weisheit und tiefe Politik
der Regierung, die hohe Moralität des Volks/ seine Industrie,
ja sogar die wissenschaftlichen Kenntnifse dieser Nation, sind
von den Jesuiten in ihren Schriften über dieses Land hoch gepriesen
worden. Vieles mag in China lobenswerth seyn; die
Weisheit der Regierung und die Moralität des Volks sind aber,
so günstig und behutsam man auch urtheilen * möchte, wohl
mehr tadelns als lobenswerth. Die Regierung ist wie bekannt
im ausgedehntesten Verstände despotisch, und eben deswegen
nicht immer weise. Ihr despotischer Geist erstreckt sich stu-
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fenewise vom Throne bis auf die geringsten Regierungs Beamten.
Das Volk seufzt unter dem Drucke dieser niederem Tyrannen.
Die Selbst Erhaltung zwingt viele, das moralische Gefühl
häufig zu verläugnen, und dadurch allein kann die sittliche
Verdorbenheit der Chinesen einigermafsen entschuldigt werden *).
Barrow bemerkt auch richtig, dafs der natürliche Charakter der
Chinesen, durch ihre tyrannische Regierung sich sehr Verändert
haben mufs, und dafs sie, obgleich von Natur gutmüthig,
durch die Maximen derselben fühllos und betrügerisch geworden
sind. Einige gehäfsige Züge des chinesischen Characters, als der
allgemein geduldete Kindermord, der schamlose Handel, welchen
Aeitern mit ihren Töchtern treiben, nachdem sie dieselben blofs
zur Prostitution erzogen haben, sind hinlänglich bekannt, und
selbst von den gröfsten Lobrednern der Chinesen nicht geläug-
net, wenn gleich entschuldigt worden. Auch wird man in einem
neuen Werke über China, (unstreitig dem besten, was über dieses
Land geschrieben worden, denn unbefangen und vorurtheils
frey hat Barrow die Chinesen geschildert, wie er sie fand,) manche
Behauptungen eines sehr berühmten Schriftstellers , M. de
Pauw, den man beschuldigt hat, zu hart und nicht unparthey-
isch in seinen Urtheilen über die Chinesen gewesen zu seyn, bestätigt
finden; und aus Barrow’s Schilderungen der Chinesen sehen
, wie höchst verdorben und grausam, und wie sehr unwis-
*) Das stärkste Beispiel eines sehr fein angelegten Betrugs, zugleich atlch
der fehlerhaften Organisation der Regierung, und ihrer aufserordentli-
chen Schwäche, selbst zu der Zeit, da der kraftvolle K ie n - lo n g auf
dem Throne safs, findet man in Bärrow’s Reise nach Cochin China
pag. o5 i — 354 der Original Ausgabe in 4to, bey Gelegenheit einer Expedition
des Vice Königs von Canton, F o o - c h a n g - to n g , im Jahre
1779 , gegen Tonkin.