achtungen die Ursache der verschiedenen Gestalt ihrer Wohnunghülsen zu erforschen. Ich sammelte
für diesen Zweck nicht allein über hundert Stück dieser Sackträgerinnen, sondern beobachtete auch
noch eine grössere Anzahl im Freien, und so kann ich denn hier mittheilen, wie sich die Sache
hinsichtlich des Raupenstandes derselben verhält.
Das Räupchen kommt schon im Spätsommer aus dem Ei, denn ich fand zu Ende des Oktobers
die ganz kleinen krummen braunen Säcke in starrer Ruhe in den Rindespalten oder an den Zweigen
und Knospen sitzen, wo sie überwintern. Im April des folgenden Jahres zeigen sich diese kleinen
hornförmigen Säcke wieder auf den Obstbaumblättern nahe an dem Stiele, und hier wird man
überrascht, in dem folgenden Monat Mai neben dem kleinen krummen Sacke sehr oft auch einen
röhrenförmigen geraden Sack, beide von hrauner Farbe, anzutreffen. Merkwürdig war es mir dann,
dass der krumme Sack stets unten am Blattrande, nahe dem Blattstiel, der gerade Sack hingegen
auf der Blattfläche, beide jedoch meistens auf der Unterseite des Blattes, sich aufhielten. Mehrere
Male fand ich auch zwei krumme und nur einen geraden Sack beisammen. Als ich nun in erwähnter
Frühlingsperiode diese Sackträger so oft nur paarweise in beiden Formen beisammen fand, so glaubte
ich schon das Räthsel gelöset, und in dieser Erwartung brachte ich eine Parthie krumme Säcke in
ein besonderes Behältniss zu ihrer Erziehung bis zum Schmetterling, und eben so that ich auch
blos gerade Säcke in ein anderes Behältniss, und erwartete, künftig in dem einen nur die Männer,
in dem anderen die Weiber erscheinen Zusehen; aber die Sache endigte sich'auf andere Weise.
Ich fand nämlich nach zwei Tagen in dem einen Behältniss mit den streng abgesonderten krummen
Säcken unerwartet zwölf gerade Säcke, und die Zahl der ersteren um zwölf Stücke vermindert. Dies gab
mir auf einmal Licht in der ganzen Sache, denn ich entdeckte bei weiterer Untersuchung, dass die
Raupe blos in der Jugend ihrem Sacke eine krumme Gestalt giebt, späterhin ihn verlässt, um sich
eine gerade röhrenförmige Wohnung zu verfertigen. Ich beobachtete ferner in der späteren Frühlingszeit
im Freien, dass jeder krumme Sack stets angeleimt uud von der Raupe verlassen w a r d i e gerade
Hülse hingegen, in welcher die nun ziemlich erwachsene Raupe wohnte, von Zeit zu Zeit auf der
Blattfläche fortrückte.
In dem folgenden Jahre 1835 setzte ich meine Forschung, fort, und so glückte es min
diese Sackträgerin auch zwei Male bei dem Wechsel des Sackes selbst zu beobachten. Der Zeitpunkt,
wann die Raupe die krumme Hülse mit der geraden vertauscht, ist der, wann die Baumblätter sich
völlig entfaltet haben. Nachdem die Raupe, welche bis zu dieser Zeit stets in der Nähe des
Blattstieles in ihrem krummen Sacke lebte, diesen festgeleimt hat, verlässt sie denselben und kriecht
nun in den leeren Raum, welcher durch Ausfressen des Blattmarkes zwischen den Blatthäuten bis
an den gezähnten Blattrand entstanden ist, nagt hier an der dem Blattrande entgegengesetzten Se ite_
also nach innen — ein kleines längliches Stück dieses hohlen Blatttheiles ab, und kittet es an dieser
abgenagten Seite wieder fest zusammen, so dass dieses Blattstück eine nach drei Seiten geschlossene,
und blos hinten offen bleibende schotenförmige Hülse bildet. Die Raupe drehet sich hierauf in
derselben um, dass sie mit dem Kopfe an die untere offene Seile dieser Hülse kommt, hebt nun
dieselbe mittelst Zurückschlagens des hinteren Körpers in die Höhe, rundet sie nach und nach durch
Bewegung des Körpers aus, und so ist der gerade röhrenförmige Sack fertig. Mit diesem geraden
Säckel rückt sie nun auf dem Blatte fort, und frisst von hier aus das Blattmark. Im Anfang des Juni, wo
diese Raupen schon ihre geraden röhrenförmigen Hülsen bewohnen, findet man bei genauem Nachsuchen
nicht weit von den geraden Säcken, in der Nähe des Blattstieles die angeleimten krummen leeren Säcke.
Die Raupe ist dick, plump, schmutziggelbgrau, die ersten Ringe sind röthlichgrau. Der erste
Ring hat ein hornartiges schwarzbraunes Nackenschild, welches ziemlich die ganze Rückenfläche des
Ringes einnimmt, und in der Mitte durch eine röthliche Längslinie getheilt ist. Der zweite Ring hat
zwei kleinere schwarzbraune glänzende Flecke, und auf jedem der drei ersten Ringe steht in jeder Seite
noch ein kleinerer schwarzbrauner Fleck. Der Kopf und die Füsse sind schwarzbraun ; über dem After
ist eine kleine hornartige Platte oder Schild; die Bauchfüsse sind ganz kurz, und gar nicht zum Gehen
tauglich; auch das letzte Fusspaar am After ist kürzer als bei andern Raupen, und hat auf jeder Seite
einen runden schwarzbraunen Fleck, und unten einen starken Stachelkranz. Schon in der Jugend, wenn
die Raupe noch in dem krummen Sacke lebt, hat sie dieselbe Farbe und Zeichnung.
In den letzten Tagen des Mai, oder in der ersten Hälfte des Juni beginnt sie ihre Verwandlung
und leimt den Sack an irgend einen Gegenstand fest, bleibt aber noch lange als Raupe darin liegen, ehe
sie Puppe wird. Der Schmetterling erscheint von Ende des Juli bis in den August in beiden Geschlechtern
aus diesen geraden röhrenförmigen Säcken, und sonach ist es erwiesen, dass die Sackgestalt keinen
Geschlechtsunterschied anzeiget. Es findet nur eine Generation im Jahre statt.
Unter den von mir beobachteten sacktragenden Raupen habe ich bei der O rn ix V ib ic i-
p e n n e lla Tr. . eine gleiche Verschiedenheit in der Sackgestalt der früheren und der späteren
Lebensperiode gefunden, und es dürfte dieser Wechsel wohl noch bei einigen Ornixarten, deren
Larvenstand wir jetzt noch nicht kennen, Vorkommen.
Ueberhaupt liegen die Ursachen des in der Jugend der Raupe anders gestalteten Sackes wohl in
der Beschaffenheit des dazu verwendeten Materials. Die weniger saftige Beschaffenheit der Blätter in
dem Spätsommer, wo das Räupchen aus dem Ei kommt, auch dann wieder die im ersten Frühjahr
noch wenig entfalteten Blätter, nöthigen dasselbe, blos aus einzelnen kleinen Stücken der Blatthaut
seine Wohnung zu fertigen, bis späterhin die vollkommene Gestalt der Blätter es der Raupe möglich
macht, ein ganzes Blattstück dazu anzuwenden.
Dass bei den Schaben - Sackträgern die Gestalt des Sackes selbst bei e in e r Art zuweilen von
der Beschaffenheit der Nahrungspflanze abhängt, kennen wir schon von Orn. G a llip e n n e lla Tr., und
Orn. C u r ru c ip e n n e lla Fisch. Ich werde künftig noch einige meiner vieljährigen Beobachtungen der
Schaben-Sackträger den Freunden der Microlepidoptereologie in diesen Blättern mittheilen. *)
Geschrieben im Dezember 1836. p. T i s c h e r .
*) Die Wohnungen der Raupen wurden schon in der Vorzeit sehr sorgfältig beobachtet, und wir finden ausführliche
Berichte darüber, und namentlich über mehrere Tineen-Arten, in B o n n e t Tom. IX. pag. 188; R e a um u r Tom. III.
pag. 100 — 120. 145. 148. 206. u. s. w., und eine gedrängte Zusammenstellung' der Beobachtungen dieser und anderer
Naturforscher in Kirby et Spence’s Einleitung in die Entomologie 1. Bd. 14. et 15. Brief, unter der Aufschrift:
Wohnungen der Kerfe. Durch die neueren Beobachtungen meines Freundes Herrn v. Tischer wird das in jenen Werken
Gesagte nicht nur bestätigt, sondern auch noch durch Vieles vermehrt.
Der H e r a u s g e b e r .
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