56 II: 1. PÜCCINIA g r am in is .
Wenn auch behauptet werden kann, dass der eben geschilderte Verlauf'
der k e u n u n g der Teleutosporen der gewöhnliche und normale ist, so ist et
deniioeli iiiclit der allein vorkommende. Man findet nämlich hier und da
in der L itte ra tu r angedeutet, speciell über Puecinia gram in is bei MaghüsI
(III, 9o), dass der von der Teleutospore ausgehende Keimtäden, an sta tt sich
zu einem Promycelium mit davon abgesohnürten Sporidien zu entwickeln,
ununterbrochen in die Länge wächst, ohne Sporidien zu treiben. Sehr liäufig
haben wir bei Keimversuchen im Wasser au f O bjektträgern oder in Glas-
Schälchen mit Teleuto-sfioren dieser sowie auch anderer Getreiderostarten,
das Vorhandensein solcher sterilen Keimfäden walirgenommen. Sie können
einfach sein (Fig. 5 a), uud das sind sie gewöhnlich auch anfangs, aber
nach Verlauf einiger Zeit pflegen sie sioli auf mannigfaclie Weise zu verzweigen
(Fig. 5 b uud c), indem sie zuweilen eine Art konidieuähnlicher
Gebilde absohnitren, oder auch indem ihre Glieder in dicht quergegliederten
Fadenzweigen auseinandertällen. Ob aber diese Fäden oder die von ihnen
abgetrennteu Gebilde dieselbe F äh ig k e it besitzen, wie der Keimsolilauch
einer Sporidie, in ein daruuterliegendes Blatt emzndriiigeu und hier zu
wurzeln, und ob sie mithin für die Eutwiokelungsgeschichte des Pilzes
bedeutungsvoll sein können, ist nicht festgestellt. Wahrscheinlich sind sie
jedoch nur als abnorme Erscheinungen zu betrachten, die wohl nicht hei
der natürlichen Entwickelung im Freien Vorkommen, sondern nur der künstlichen
Zucht angehören.
3. Infektionsversuche mit Puccinia graminis auf der Berberitze. Die Bestimmung
dei- von keimenden Teleutosporen abgesohnUrteii Sporidien ist, so
viel man bis je tz t weiss, die, beim Keimen a u f ehlorophyllliaitigeii Organen
der Berberitze, besonders auf den Blättern derselben, k ran k e Stollen her
vorzurufen, oder wie mau zu sagen pflegt, dieselben zu inficieren oder
anzustecken. In der Natur geschieht diese Übersiedelung der Sporidien an
ihren Bestimmungsort durch den Wind, der die äusserst kleinen und leichten
Körperchen herumträgt. Dass dabei eine unzählige Menge derselben auf
andere, für sie ungeeignete ü n te rlag en gelangen und dalier verloren gehen,
ist selbstverständlich, aber es produoiert auch die Na tu r die genannten
Körperchen in einer unfassbar überreichlichen Anzahl. Bei den küiistliolien
Kulturen, wo man die Versuohspflanze so viel wie möglich isoliert und gegen
unbeabsichtigte Ansteckung anderswoher schützen will, um sicher zn
sein, dass etwaige k ran k e Flecken bestimmt aus dem aufgetrageiien Ansteckungsstoffe
herzuleiten sind, geschieht die Übertragung a u f verschiedene
andere Weisen, die ebenso wie alle andere Anordnungen, welche bei einer
solchen Arbeit Vorkommen, unten in einem besonderen Absclmitte (III) beschrieben
werden sollen.
Als diejenige Wirtspflanze, die vor allen anderen den zarten Sporidieii-
keimeii einen ih re r ferneren E ntwickelung günstigen Boden gewährt, kennt
man besonders die Berberitze. Das Verdienst, durch völlig überzeugende
Experimente die lange geahnte Beziehung dieser Getreiderostart zu dem
INl'EKTIONSVERSUCHE MIT PUCCINIA GRAMINIS AUF DER BERBERITZE. 57
auf der Berberitze vorkornmenden Becherroste dargelegt zu lialieii, gebührt,
wie schon oben in der historischen Einleitung erwälint wurde, Du B a r y (IV, 25),
dem es im Frühliiige des Jah re s 1864 nach der Aussaat sporidienerzougeiider
Teleutosporen von T riticum repens (und Poa pratensis) gelang, an f Berbe-
ritzenlilättern Spermogonien und Äcidien liervorzuliriiigen. Mit der E n tdeckung
dieser auftällenden Ersoheiiiuiig, dass ein Soliniarotzer von derjenigen
Wirtspflanze, hier einer Gras- oder Getreideart, auf der er seine Urcdo-
und Teleutosporen entwickelt liat, auf eine Wirtspflanze ganz anderer Art
übersiedelt, — eine Ersclieinung, die man den W irtstausch {Heteröcismus)
des Pilzes genannt hat, — mit dieser an und für sioli epochemachenden E n tdeckung
ist jedoch natürlich nicht jed e r Gedanke aucli au anderweitiges
Fortkommen des betreffenden Pilzes ausgeschlossen. Die Schwierigkeit,
um nicht zu sagen die Unniögliclikeit, alle faktiscli in der Natur beobachteten
Umstände bei dem Auftreten dieser Kostart aus dem Gesetze des
Heteröcismus zu erklären, h a t mit immer grösserwerdeiideni E rn s t die F rage
herbeigenötigt, ol) niclit aueh eine andere Art des Fortkommens möglieli und
thatsächlicli wäi'e. Mehrere Forsclier und Verfasser (z. B. R o s t r u p , IV, 5 5 ;
B c b r i l , I, 14 5 ; B o l l e y , II, 13 ) haben sich den Heteröcismus als nur fakultativ
gedacht, d. h. als unter gewissen Umständen (A*orhaudensein der Berberitze)
möglich und thatsächlich, aber darum doch nich t als absolut notwendig,
ohne jedocli bestimmt zeigen zu können, wie denn die Entwickelung
in diesen anderen F ällen sta tt finde. Andere (z. B. L i t t l e , I, 6 4 2 ; H. L. C.
A n d e r s o n , I, ss ) haben den Gedanken an andere Äcidieuträger aufgeworfen,
ohne jedoch solche entdecken zu können. Und noch andere (z. B. B a g n i s , I;
Sm ith , I, 17 7 u. a. 0 .) sind kühn genug, die ganze Lehre vom Heteröcismus
in Zweifel zu ziehen.
Unter solclien Umständen erschien es wüiisolienswert, die wichtige
Frage von der Art und dem AA'eseii des Heteröcismus zum Gegenstand
einer erneuten und umfassenderen Untersuchung, als der ihr bisher zu
Teil gewordenen, zu niaelieii. Zalilreicli sind daher anoh die Versuclie
gewesen, die am Experimentalfältet während der Ja lire 1891—1893
zur Beleuchtung dieser F ra g e angestellt wurden. Das zu diesen Infektioiis-
versuchen verrvertete Material war teils von uusereu 4 Getreidearteii teils
von 12 anderen Gräsern genommen. Mit diesem bunten Material sind
gewöhnlich entweder in einem oder in mehreren F ä llen positive Resultate erzielt
■worden. Eine Änsnalime bildet das vou Phleum pra ten se und von E lym u s are-
naritts genoiimieno Material. Zalilreicli waren die Versuche mit dem Material,
das von der ersteren dieser beiden Grasarten hergeiiommen war, aber die stets
negativen Resultate der damit angestellten A^ersuche verliehen der Ansicht
eine sta rke Stütze, dass die Rostform dieses Grases als besondere Art anzu-
selien sei. Eine liestimnite Meinung über die au f E lym u s arenarius auftretende
Form liaben wir uns in der Hinsicht, was ilirc F äh ig k e it a u f die
Berberitze nberzusiedelii aulaiigt, gleiclnvolil nicht bilden können, da n u r
ein im Sommer 1891 angestollter Versuch mit dieser Form vorliegt. Zu
bemerken ist jedocli, dass dieses Material nach 20 Stunden allgemein gekeimt