mehrern Seiten betrachten; sein Blick, Wenn er sich etwas auf dem Local
gewöhnt hat, wird umfassender. Hat er etwas überden Erfolg und
die Wirkun g von wirklich ausgeführten hydraulischen Anlagen gehört
und gelesen, wie er denn gerne hierüber hören und lesen w ird , wenn
er nicht ein zu orthodoxer Gläubiger von den Resultaten seines Calouls
ist; so w ird er diese Erfahrungen richtiger zu beurtheilen und zu benutzen
verstehen. Er wird wissen, wo möglich, die Wirkung einer solchen
Anlage noch zu verbessern, mancher Unbequemlichkeit abzuhelfen; auch
in Lagen und Umständen, die nicht dieselben sind , wird er eine jede Erfindung
mit den nöthigen Abänderungen anzuwenden im Stande seyn.
Eine gehörige Kenntnifs und Schätzung von der mehr, oder wenigem
Zuverlässigkeit seiner Theorie wird ihn aber auch zurückhalten , in diesen
Abänderungen nicht zu leichtsinnig zu seyn, um nicht ohne Noth
von dem Wege abzugehen, den die Erfahrung schon lange als zum
Ziele führend gezeigt hat. W o die Natur in ihrem grofsen Gange zu
verwickelt ist, als dafs blofse Beobachtungen über manche Gegenstände
die erwünschte Aufklärung geben sollten , wo es also nöthig seyn wird
Versuche anzustellen, da wird er zu den nöthigen Vorkehrungen eher
Rath zu schaffen wissen, und die von andern angestellten Versuche besser
zu prüfen verstehen; die Fehler , welche bey den Versuchen vorfallen
können, wird er schätzen, und also die Grenzen kennen , in welchen
er der Wahrheit sich nähern , oder auch von ihr sich entfernen
kann.W
i r haben geglaubt, das Verhältnifs und den Werth der Theorie
und Practik hier zuvor festsetzen zu müssen, und besorgen nicht, durch
unsere W a rn u n g : den Resultaten der Rechnung kein zu unbedingtes
Zutrauen zu geben , dem Ansehen wahrer, grofser Theoretiker zu
nahe getreten zu seyn ( * ) . Das Verdienst eines Newtons, der Ber-
noulli’s, eines Belidors, Eulers, Kästners, Langsdorfs, Bossuts, Pronys
Buats , und einiger anderer um die Hydraulik ist zu grofs, und bleibt
es auch dennoch; wenn auch manche von ihren tiefsinnigen Untersuchungen
keiner unmittelbaren Anwendung fähig seyn sollte. Der Wasserbaumeister
lese und studiere alle die grofsen und tiefsinnigen Werke
der Hydraulik wenn er Zeit hat; aber er verwende nicht seine ganze
Zeit darauf. Diese Schriften sollen und können ihn nicht zum practi-
schen Manne machen, sie sollen ihm nur dienen die Praxis und Erfahrungen
besser benutzen zu können. Der Hydrotect, der an Flüssen
bauen so ll, mag z, B. manche scharfsinnige Folgerung des Guglielmini
(®) Ueber die Theorie und Praxis im Wasserbau , und ihre Beziehung auf einander,
hat der Etatsrath Tetens in seinen Reisen in die Marschländer p. a3 7 seine Meinung
vortreflich entwickelt.
nicht mit aller Aufmerksamkeit gelesen und verstanden haben ; diefs
wird ihm und dem Staate , dem er dient , nicht so sehr schaden ; aber
er versäume ja nicht , die verschiedenen Bauarten an mehren Flüssen
recht kennen zu lernen , sie zu vergleichen , um davon nach Umständen
sie auf sein Local anzuwenden. Diefs wird ihn auch zugleich für
den zu grofsen Künsteleyen, worin es sonst so leicht ist zu verfallen,
am kräftigsten bewahren.
Man verstehe uns nicht unrecht, als wenn wir den Hydrotecten
von dem Lesen der Werke eines Guglielmini dispensiren , oder wohl
gar abhalten wollten. Der wahre Hydrotect , der nicht blofs ums
Brod dient, sondern dem es Lust und Ernst mit seiner Wissenschaft
■ ist , wird sich auch hiervon nicht dispensirt wissen wollen. Solche
Schriften werden ihm immer wichtig bleiben , und sollte es oft
auch nur seyn , dafs er wissen wollte, wie andere über diesen oder jenen
Gegenstand, mit dem er sich Zeitlebens beschäftigen soll, gedacht
und geurtheilt haben. Nur das rathen wir , dafs er durch das minder
Nothwendige, wenn gleich oft Angenehmere, das Nothwendigere und
minder Angenehme nicht versäumen möge.
Erfahrung , mit den gehörigen Kenntnissen gepaart, um sie li 11*
länglich benutzen zu können, ist in dieser, wie in so mancher andern
Wissenschaft, die beste Lehrmeisterin. Und wenn je Hofnung bleibt,
die hydraulischen Theorien zu vervollkommnen , und sie für die Praxis
anwendbar zu machen , so ist es gewifs nur auf dem Wege : dafs man
eine Menge Beobachtungen sammelt, Versuche und Messungen anstellt,
um hieraus am Ende Regeln zu abstrahiren , die, wenn sie auch nicht
ganz in der. Allgemeinheit , und mit einer mathematischen Schärfe
uud Genauigkeit sollten abgewogen werden können , doch hinreichend
seyn werden , um bey einer jedesmaligen gehörigen Local - Kenntnifs
die, zur Erreichung seines Zweckes, besten und schicklichsten Mittel
zu wählen.
Aber diese Erfahrungen alle selbst gemacht, oder sie gesehen zu haben,
wo ist der Mann, der dieses sagen könnte! Und hätte er sie gemacht.,
kommen sie ihm dann nicht, oder dem Staate, dem er dient,
theuer genug zu stehen ? Um dieses Lehrgeld nicht jedesmahI von neuem gehen
, und in der "Wissenschaft nicht jedesmahl von neuem an fanden zu
dürfen, sondern darin weiter zu kommen , ist der Gedanke, sich^urch
Anderer Erfahrungen belehren zu lassen, wohl ganz natürlich. Der
Vernünftige, vorsichtige Mann , ehe er einen irgend etwas wichtigen Bau
unternimmt, fragt doch wohl zuvor: wie machte man es sonst, bey gleichen
oder ähnlichen Umständen ? Und was war der Erfolg? _ Aber
wo soll er sich hierüber erkundigen? W o , oder bey wem soll er sich