
o Vorwort.
mitgebrachten Materiale gelten sollen, hält er es für geeignet, an die Spitze dieser systematischen
Untersuchungen ein Verzeichniss der gesammten Omis des Südens von
Ost-Sibirien zu stellen, dem er die Vollständigkeit; zu geben gedenkt, wie sie durch
alle darauf bezüglichen Angaben geboten wird. Diesem Verzeichnisse fügt er in tabellarischer
Uebersicht die bis jetzt überhaupt für den Süden von Ost-Sibirien an den betreffenden
Arten ermittelten Zugzeiten an, die ihn selbstverständlich zu einer genaueren Betrachtung
der periodischen Wanderungen der Vögel in seinem Reisegebiete leiten müssen.
Ob nun gleich voraussichtlich ist, dass in Bezug auf die artliche Selbstständigkeit
oder Identität gewisser, oft recht. constaht und bedeutend abweichender--Formen, nicht
immer die Meinung berühmter ornithologischer Autoren des westlichen Europa’s mit derjenigen
des Verfassers übereinstimmen wird, so hielt derselbe doch treu an dem Grundsätze
fest, welchem der wissenschaftliche Begründer der Kenntniss der sibirischen Omis
vor bald hundert Jahren huldigte und dem alle späteren Nachfolger, die auf dem Gebiete
systematisch-zoologischer Forschung für . Sibirien namhaft .sind, sich anschlossen.
P a llas erweiterte in seiner, vorurtheilslreien Auffassung der einflussreichen physikalischen
Momente, die auf die mehr oder weniger flexible Natur der belebten Organismen einwirken
kann, den Artenbegriff bedeutend. -¡-^Gerade auf dem Gebiete der Ornithologie hat er
dem Prinzip einer oftmals ungerechtfertigten Artensplitterung entschieden entgegengearbeitet.
Der continentale Zusammenhang des Russischen Reiches, dessen oft auf. weite
Strecken hin gleichmässig geformte Erdoberflächen dennoch nicht geringe klimatische Differenzen
■ bieten, wodurch auch manche Abänderungen der nutritiven Verhältnisse für
weitverbreitete Thierformen bedingt sind; dieser continentale Zusammenhang, dem wir
Rechnung tragen müssen, eröffnet eben bei den stufenweise sich folgenden Betrachtungen,
die wir über die Veränderlichkeit einer Art anstellen, andere Gesichtspunkte, als
die in der systematischen Ornithologie herrschenden und modernen sind. Wer Beispiels
halber die Varietät amurenm vom F. vespertmus L. in einem bejahrten männlichen Vogel
vor sich hat und ihr daneben die typisch europäische Form dieser Art zur Seite
stellt, wird zwar zugeben müssen, dass in den plastischen Verhältnissen beider Individuen
gar keine, oder doch nur höchst geringfügige, nur individuelle Differenzen obwalten; er wird
aber darauf hin, dass am ostsibirischen Vogel die unteren Flügeldecken weiss, bei dem
europäischen tief schiefergrau sind, doch eine artliche Trennung vornehmen dürfen.
Jüngere Vögel thun die Unhaltbarkeit einer solchen Trennung genugsam dar. Bei
ihnen waltet das Weiss auf der unteren Flügelseite ebenfalls schon bedeutend vor und
wir beobachten an ihnen den vermittelnden Uebergang vom typisch europäischen Vogel,
Vorwort.
der bekanntlich ausserordentlich wenig abändert, zu jener östlichsten, so abweichend gefärbten
Varietät.
Wir glaubten den Standpunkt, den wir bei der Abschätzung des Artenwerthes ein-
nahmen, ausdrücklich dem beurtheilenden Publicum vorführen zu müssen, da von diesem
Standpunkte aus ja gerade die Zahlenbestände des nächstfolgenden Verzeichnisses und der
numerischen Vergleiche abhängen. Berechtigt fühlten wir uns nur da zum Zusammenziehen
der sogenannten Arten, wo directe Uebergänge in Form, Zahl und Farbe uns Vorlagen, oder
wo wir den Weg conseqüenter Analogie betreten durften. Unberechtigt erschien uns daher
in dieser Beziehung Manches Anderer, denen dieser Weg, sei es aus . Mangel an
reichen Materialien, sei es aus einmal erfassten Vorurtheilen, nicht zugänglich war. Die
alte Frage:' „Was ist Art und was ist Varietät?“ geht ihrer scharfen, allendlichen Lösung
nur langsam und nur in Bezug auf solche Thiergestalten entgegen, die gerade das
eingehendste Studium ihres ganzen Seins ermöglichen. Und wie gering ist bis jetzt die
Anzahl solcher Gestalten!
Indem wir bei Abschluss (jieser einleitenden Worte zum 2-ten Theile unseres Werkes
nochmals der Verdienste gedenken, welche die Herren Maximowicz und Dr. Wulffius
sich um die Kenntniss der ostsibirischeü Omis erwarben, da sie vom Ussuri sowohl, wie
auch vom ‘südlichen Hafencomplexus der Mandshurei Sammlungen sendeten, können wir
nicht umhin, dafür zu danken und zugleich der gütigen Erlaubniss zu erwähnen, durch
welche uns Herr Akad. v. B randt zur Benutzung dieser Sendungen und der Sammlungen
des akademischen Museums autorisirte. Gleichfalls fühlen wir uns auch Herrn Professor
Blasius in Braunschweig; der uns seinen Rath bei Gelegenheit einiger kleinen Singvögel
'zu Theil werden ■ liess, zu aufrichtigem Danke Verpflichtet.
Gustav R adde.