
aber diese Lokalitäten sind ausserordentlich todt. Vereinzelt nur leben hie und da die
brütenden Paare der Schell- und Reiher-Ente oder des Wasserhuhns an ihnen, und
über die jüngsten Geröll- und Sand-Ablagerungen der Gebirgsbäche läuft mit grösser Unruhe
der kleine Regenpfeifer (Chard. curcmicus), dessen langgezogenen Pfiff man auch
oft in der Nacht vernimmt,. Ich gedenke aber, bevor ich den Zug durch die Mongolei
eingehender erörtere, jenes bei dem Beginne des Herbstzuges so stark animirten Lebens
der Vögel im Delta der oberen Angara.
Die landschaftlichen Grundzüge unseres Bildes würden folgendermaassen zu zeichnen
sein: Unser Standpunkt ist auf dem sandigen Ufer der nordöstlichsten Bucht des
Baikalsees gewählt. Eine niedrige Dünenkette, deren höchste, sanft gerundete Rücken
hie und da von strauchender Zirbelkiefer bedeckt sind, während in den flachen Satteltiefen
breit sich lagernde Spiraea sorüfolm wuchert, dies bietet dem Auge die zunächst liegenden
Haltpunkte, die bei sinkender Sonne in ihrer ganzen Schärfe daliegen und roth
angehaucht werden. Diese Dünenkette verhüllt uns das breite Deltaland der oberen Ang
a ra ganz, wir sehen gar nicht die flachen, stark sumpfigen Niederungen, die den eigentlichen
Schauplatz des Lebens der Vögel am Abende bilden werden. Ueber das Dunkelgrün
der Zirbelkiefergebüsche fort eilt der Blick links und rechts den beiden Gebirgsketten
entlang, die sich unmittelbar von den Baikalufern in der Hauptrichtung N.-O. fortsetzen
und, in weiter Feme näher und näher tretend, in sich das spitze Dreieck des
Delta’s schliessen. J e n e Gebirge bieten keine besonders pitoresken Formen; in fast überall
gleichmässiger Höhe fortlaufend, zeigen sie meistens gut mit Nadelholz bestandene Seitenflächen,
aus denen hie und da die dunklen Massive der Gesteine hervortreten. Ihr Co-
lorit schwächt sich mit zunehmender Feme Abends vom dunklen Grünschwarz bis zum
sanften Grauviolet ab. Ersteigt man die Höhe einer Düne, so liegt vor dem Auge das
Delta selbst. Der ruhige Spiegel eines breiten Sees, welcher beide Mündungsarme der
nördlichen Angara, verbindet und den die Eingebomen als Talar-See bezeichnen, bespült
in unserer Nähe den weissen Sand des Dünenufers, während er am jenseitigen
Ufer in oft bogig einlaufenden Umrissen die üppig grünen, aber nicht hohen Gräser
und Sumpfpflanzen des Deltarandes tränkt. Auf der unbewegten Wasserfläche ruhen die
Blätter kleiner Nuphar- und Nymphaea-Kvtw, grosse Fleckep, die auf das dichteste
mit Polygamem Amphibium bedeckt sind, erscheinen jetzt, da diese Pflanzen blühen,
röthlich weiss und an anderen Stellen schoben sich die schmalen, langen Blätter einer
Potamogeton-Ait in einander, oder die Spitzen der MyriophyUen ragen hervor. So weit
der Blick dem Delta folgt, trifft er vornehmlich das frische Grün einer nordischen Sumpfvegetation;
nur hie und da tauchen niedrige bläuliche Weidengebüsche aus ihm auf. Die
beiden Angara-Mündungsarme sind in diese niedrigen Ebenen eingebettet, ihr Wasserspiegel
wird nur wenig von den Gewächsen überragt, ihre Fluthen wälzen sich in gleichmässiger
Schnelle dem Baikalsee zu; das mitgeführte Treibholz dreht sich hie und da
in den Strudeln und wird erst im Baikalsee abgesetzt. Am Tage bemerkt man hier kaum
Etwas von dem Reichthum an Anatiden, der sich-Abends hören und sehen lässt. Versteckt
zwischen den Binsen, Butomus- und Menyanthzs-Pflanzen warten die Süsswasserenten die
hier in grösser Zahl brüteten, ihrer Jungen, oder es verbergen sich an den entlegensten Plätzen
die flügellahmen Gänse, denen der Tunguse zur Zeit der Schwingenmauser eifrigst nachstellt;
Auf den angeschwemmten Baumstämmen sitzen die Rabenkrähen und harren der
Auswürfe des -Stromes, oder es schrillt' das Pfeifen desi schwarzen Milans von dort
her, wo - der Vogel mit aufgeblähtem Gefieder und nachlässig hängenden Flügeln ruht.
Ueber dem Talarsee schweben auch wohl kleine Seeschwalben und auf seinem sandigen
Ufer jagen/Bachstelzen nach den Insecten.
Erst wenn die. Dämmerung einbricht, beginnen die ersten--Klänge. Sie wachsen und
steigern-sich sehr bald. Es giebt gewisse Versammlungsplätze im Delta, wohin die Gesellschaften
ziehen; von dort her verbreitet sich der Lärm. Die wichtige Periode des
Herbstzuges naht ja, die Brut.wird flügge,- es giebt unendlich viel -sich mitzutheilen.
Die Dunkelheit sdhützt vor der Verfolgung, den Anforderungen des- Tages ist Genüge
geleistet. Die geflügelten Bewohner gemessen die ungehinderte Müsse, Sind es nicht
geistige Interessen, denen sie in ihren so, angeregten-Concerten einen Ausdruck geben?
Warum lännen sie in so bestimmter Weise und in so bestimmter Zeit? Der Grund
dieser Lebensäusserung muss ein psychischer sein!
Vom Baikalsee .heimkehrend, wo am Tage eifrig getaucht und gefischt wurde,
zieht über,uns, meistens nur einzeln, der grosse TauCher {Colymb. arcticus), sein eiliges,
kurzarticulirtes Gakern, dem er den volksgebräuchlichen Namen Gagära verdankt, lässt
sich oft hören,- er wiederholt’ es auch, nachdem er den Platz zur Nachtruhe im Delta
erreichte, und.seine Stimme spielt eine bedeutende Rolle'Tm ConcCrte mit. Sie beginnt
dasselbe nämlich. Wenig später, als Colymimn begann, erschallen dann die gewisser-
maassen dassischen Anschläge alter Märzenten-Erpel. Sie Sind nach bereits eingetretener
Dunkelheit die;Signale für alle übrigen Vögel, welche dem Lärm beistimmen; sie auch vernimmt
man nach eigetretenen Pausen immer wieder zuerst. Bald nun fallen alle Enten mit
ein. Hoch durch das wirre Getöse klingen die Sopranstimmeh älter Schwanengänse, oder wenn
in allmählich abnehmender Intensität der Ruf der eigentlichen Anatiden nach und nach
schwächer wird und man schon ab und zu das bescheidene Quaken nahe vorbeifliegender
Krick- oder Knäkenten unterscheiden kann, setzt mit förmlich jauchzendem Ausdrucke eine
Saatgans ein, und augenblicklich folgen ihr die Entenarten. Unmittelbar in unserer Nähe
Wurde schon viel früher Alles still. Der Milan-begäb sich zur Nachtruhe -sammt den Rabenkrähen
in die Wipfel hoher Kiefern, die Bachstelzen verbargen sich an den hohen Carex-
Humpen der Sümpfe und auf den vordersten Spitzen kleiner Sandbänke concentrirten sich die
Seeschwalben, um zu ruhen. Der Mond schwankt über, die dunkle, schweigende Waldung
empor. Der ruhige Wasserspiegel des Baikals erglänzt, es. herrscht überall absoluter
Friede. Ein verspäteter 'Flug' Pfeifenten schiesst an.uns vorbei, er wird im Delta von den
gemeinschaftlich ruhenden Enten mit wildem Geschrei begrüsst; eine Pause tritt ein,